KI als Schlichter: Die Lösung im Bahnstreik könnte so einfach sein – man müsste nur auf ChatGPT hören

Seit Wochen beharken sich im Bahnstreik die Lokführer-Gewerkschaft GDL und die Bahn und legen wortwörtlich das Land lahm. Die Lösung im Bahnstreik wäre eigentlich ganz einfach – wenn bloß die sturen Menschen nicht wären.

Es ist eine verlockende These: Wenn mal wieder ein Streit wie die aktuellen Tarifverhandlungen und der daraus resultierende Bahnstreik ansteht, warum sollte man ihn nicht von einer Instanz aushandeln lassen, die wirklich neutral ist – nämlich einer Künstlichen Intelligenz? Dieser Vorschlag geistert gerade vermehrt durch die sozialen Medien. Wir haben es einfach mal getestet. Und ChatGPT als Schlichter eingesetzt.

Das ist natürlich keine ideale Besetzung: Das Sprachmodell von OpenAI soll ja eigentlich keine Verhandlungen moderieren, sondern Texte verfassen. KI kann allerdings vor allem dann glänzen, wenn sie für einen Einsatzzweck optimiert wurde. Aber: Beim Verhandeln geht es ja auch darum, Argumente zu verarbeiten und sie dann zu bewerten. Das kann eine Sprach-KI dann doch ganz gut. Anders als menschlichen Schlichtern kann man dem Chatbot außerdem keine mangelnde Neutralität vorwerfen.

STERN PAID Interview Weselsky16:47

Bahnstreik: Das ist laut KI die Lösung

Der Versuchsaufbau ist einfach: Wir füttern ChatGPT erst einmal mit allen Positionen der beiden Parteien, im aktuellen Tarifstreit also der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL. Die Lokführer wollen mehr Geld für weniger Wochenstunden, um die Inflationsfolgen und die gesundheitliche Belastung zu dämpfen. Die Bahn möchte das verhindern – und argumentiert mit Kostendruck und Problemen bei der Schichtbesetzung. Dem Bot muss man das alles natürlich in deutlich größerem Detail erklären, als es hier nun nötig ist. Dann kommt die große Frage: Ist ein Kompromiss möglich?

Nach einigem rattern spuckt ChatGPT – genutzt wurde das aktuelle Modell PGT-4 – tatsächlich eine Lösung aus. Beachtlich: Die KI wägt die Positionen ab, verlangt von beiden auch harte Zugeständnisse. Zudem betont sie, dass es sich nur um einen möglichen Vorschlag handelt. Aber sie zeigt eben auch: Eine neutraler, beide Seiten berücksichtigender Kompromiss ist möglich. Hier finden Sie den Kompromiss-Vorschlag:

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Der menschliche Faktor

Was der schöne Kompromiss leider nicht bedenkt – und es nach der ersten Aufforderung ja auch gar nicht soll –, ist der Faktor Mensch. Denn leider ist es nunmal nicht so, dass die Verhandlungen von neutralen Algorithmen geführt werden. Die Bahn-Verhandler und der Gewerkschafts-Chef Claus Weselsky sind eben Menschen. Auch sie wissen natürlich, dass ein Kompromiss den Streit schnell beenden würde. Bloß: Bereit sich in der Mitte zu treffen, sind beide Seiten aktuell nicht. Was also, wenn man diesen Faktor nun mit ins Spiel bringt?

Dann sieht auch ChatGPT Probleme. „Wenn beide Seiten hart auf ihren Positionen beharren, wird es schwieriger, eine gütliche Einigung zu erzielen“, grübelt der Bot. „Aber es gibt immer noch Szenarien, wie ein Kompromiss gefunden werden kann.“

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Das sind fromme Ideen. Das merkt sogar ChatGPT. Und fügt an: „Angesichts der extremen Positionen beider Seiten kann keiner dieser Ansätze eine schnelle Lösung garantieren. Aber solche Verhandlungen sind oft ein Prozess, und es kann einige Zeit dauern, bis eine Einigung erzielt ist. Es ist wichtig, dass beide Parteien den Willen zeigen, eine Lösung zu finden, die im besten Interesse aller Beteiligten liegt.“

Ohne Gefühl wird’s leichter

Nun dürfte aber gerade das ein Problem sein. Weselsky geht im Herbst in Rente, es sind seine letzten großen Verhandlungen mit der Bahn. Die 35-Stunden-Woche könnte sein großer Knall zum Abschied sein. Bei der Bahn wiederum soll es Menschen geben, die dem dort wenig geliebten Gewerkschafter diesen Erfolg nicht gönnen. Wie geht man damit also um, liebe KI?

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Doch genau das fällt ja gerade offenbar so schwer.

Was macht Verhandlungs-KI so schwer?  

Eine wirklich neutrale Verhandlungs-KI zu erstellen, dürfte ohnehin fast unmöglich werden. Denn das würde gleich mehrere, riesige Voraussetzungen erfüllen: Die KI müsste nicht nur die Positionen der Parteien bis ins kleinste Detail kennen – sondern auch die verborgenen Motivationen der jeweiligen Verhandler. Hinzu kommt: Beide Parteien müssten die Künstliche Intelligenz mit wirklich jedem Aspekt ihrer Position und der Motivation dahinter füttern und dabei durchgehend ehrlich sein – mit der KI, aber vor allem auch mit sich selbst. Wenn das der Fall wäre, bräuchte man aber fast keine KI mehr. Dieses grundlegende Dilemma des Faktors Mensch erkennt auch ChatGPT bereits:

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Wenn das doch nur so einfach wäre.

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