Kinderlähmung: Paul Alexander lebte 72 Jahre lang in einer Eisernen Lunge – nun ist er gestorben

Paul Alexander hat einen Rekord aufgestellt, um den ihn wohl niemand beneidet: 72 Jahre lang lebte er mit und in einer Eisernen Lunge. Nun ist der Polio-Patient mit 78 Jahren gestorben.

Gut zwei Meter lang und rund 300 Kilo schwer ist das Gerät, das Paul Alexander seit 1952 am Leben hält: eine Stahlröhre mit einer Öffnung für seinen Hals. „Alte Dame“ nennt er laut dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ die Eiserne Lunge, gebaut in den 1930er Jahren. Wobei es korrekt heißen müsste: nannte. Denn Paul Alexander, der Mensch, der am längsten mit einem solchen Gerät lebte, ist am Montag verstorben.

Mit sechs Jahren hatte sich Alexander mit Polio infiziert – auch Kinderlähmung genannt. Das war 1952. Die Krankheit greift das Nervensystem an und kann zu Lähmungen führen – bis die Atemmuskulatur ausfällt und der Erkrankte erstickt. Alexander kam im Krankenhaus rechtzeitig in eine Eiserne Lunge, die durch Unterdruck dafür sorgt, dass regelmäßig frische Luft in seine Lungen strömt. 

Ansonsten sind seine Arme und Beine gelähmt, er kann aber den Kopf drehen und über einen Spiegel sein Zimmer betrachten. Alleine atmen kann er nicht. Fällt das Gerät aus, droht der Mensch darin zu ersticken. Seit 1970 werden keine Eisernen Lungen mehr hergestellt, 2005 hat die letzte Firma die Wartung eingestellt. Reparaturen erledigen nun Freunde von Alexander. Bis vor wenigen Jahren konnte er das Gerät stundenlang verlassen, zuletzt fehlte ihm dazu die Kraft, berichtet das Magazin.PAID 41_22 Kinderlähmung und Sinn des Impfens 17.16

Polio noch immer nicht ausgerottet

Einen ersten Polio-Impfstoff gibt es seit 1955 – er wurde also nach Alexanders Infektion entwickelt. Trotz seiner schwierigen Lebensumstände hat der Mann aus Dallas, US-Bundesstaat Texas, ein erfülltes Leben geführt, sagte er dem SZ-Magazin. Er hat als Anwalt gearbeitet, geliebt, Sex gehabt, das Meer gesehen, lautstark bei Konzerten mitgesungen und sein Geld im Casino verprasst.

Das vor 35 Jahren von der WHO zusammen mit Partnern beschlossene Ziel, die auch Poliomyelitis genannte Erkrankung auszumerzen, sei bis heute nicht erreicht, heißt es im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts zum Weltpoliotag 2023. Im Jahr 2022 habe es in Teilen Pakistans und Afghanistans einen Anstieg erfasster Infektionen mit Poliowildviren (WPV) gegeben. Ein noch größeres Problem stellten in den letzten Jahren aber Infektionen mit sogenannten vakzineabgeleiteten Polioviren (cVDPV) dar.

Für 2022 sind laut Bulletin weltweit 880, für die ersten zehn Monate 2023 305 solche Fälle erfasst. Sie treten vor allem in Gebieten auf, in denen ein hoher Anteil der Bevölkerung ungeimpft ist. „Die abgeschwächten Viren in der Schluckimpfung können lange Zeit unentdeckt zirkulieren, sich dabei verändern und schließlich wieder akute schlaffe Lähmungen verursachen“, heißt es beim RKI. Durch die sehr niedrige Zahl mit Symptomen assoziierter Fälle werde bei einer nachgewiesenen Erkrankung jeweils mit etwa 200 weiteren, nicht erkannten Infektionen gerechnet.GeschichtederImpfpflichtPLUS 10.04

Paul Alexander: glücklich trotz Eiserner Lunge

Einer der Ausbrüche 2022 ereignete sich im US-Bundesstaat New York, schien aber 2023 weitgehend eingedämmt. Nachdem Anfang des Jahres noch vereinzelt Erreger im Abwasser des Bundesstaates nachgewiesen wurden, seien nun schon länger keine mehr gefunden worden, teilten die Gesundheitsbehörden vergangenen Herbst mit. Der Katastrophenfall, den Gouverneurin Kathy Hochul 2022 ausgerufen hatte, war bereits im Dezember des Jahres ausgelaufen.

Alexander ist wohl der letzte Mensch auf der Welt, der nach einer Polio-Infektion durch einen solchen Apparat am Leben gehalten wurde. Auch mit der Eisernen Lunge konnte er ein erfülltes Leben führen: „Ich kann alles machen, was ich will“, sagte er dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ Monate vor seinem Tod durch eine Corona-Infektion. „Ich bin ein glücklicher Mann.“

Quellen:„Süddeutsche Zeitung Magazin“, DPA, „Epidemologisches Bulletin 42/2023“ des RKI (als PDF).

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