„Gesichert extremistisch“?: Die AfD will Stufe zwei verhindern – und könnte Stufe drei bekommen

Darf die AfD als Gesamtpartei vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt werden? Darum geht es in einem Prozess vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Diese Folgen könnte eine Entscheidung haben.

Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de.

Seit Jahren wehrt sich die AfD dagegen, vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall oder gar als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft zu werden. In einem Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster steht nun eine wichtige Entscheidung an – die möglichen Folgen reichen bis zu einem Verbotsantrag. Und dennoch dürfte das Urteil auf die Landtagswahlen im September kaum Auswirkungen haben. Schaden könnte es der AfD aber in Westdeutschland. Ein Überblick.

Worum geht es vor dem OVG Münster?

Formal ist die AfD nicht Beklagte, sondern Klägerin: Sie klagt „gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz“, wie das OVG Münster im Januar mitteilte, als die Termine für die mündliche Verhandlung bekannt gegeben wurden. Praktisch handelt es sich um drei Berufungsverfahren:

Erstens will die AfD erreichen, dass der Verfassungsschutz sie nicht als Verdachtsfall einstufen darf. Das Verwaltungsgericht Köln – in Köln hat das Bundesamt seinen Sitz – hatte diese Einstufung schon im März 2022 zugelassen.Zweitens soll der „Flügel“ um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke weder als Verdachtsfall noch als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft werden. Die Einstufung als Verdachtsfall hatte das Verwaltungsgericht Köln vor zwei Jahren für zulässig erklärt, die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch allerdings nicht – mit der Begründung, dass der „Flügel“ formal aufgelöst sei.Und drittens will die AfD auch für ihre Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) durchsetzen, dass diese kein Verdachtsfall ist.

In Teilen hat die Realität den Prozess überholt. Die „Junge Alternative“ wird vom Verfassungsschutz bereits seit dem April 2023 nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Dagegen klagte die AfD erfolglos vor dem Verwaltungsgericht Köln. Der „Flügel“ ist mittlerweile nicht nur formal aufgelöst, sondern „in der Partei aufgegangen“, wie der Rechtsextremismusexperte Axel Salheiser ntv.de sagt. Zugleich ist Höcke heute „die zentrale Führungsperson innerhalb der AfD, auch wenn er auf Bundesebene kein Amt hat“, so der Jurist Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. An Höckes Position in der AfD lasse sich geradezu die Radikalisierung der Partei nachzeichnen.

AfD Verfahren Münster6.04

Was bedeutet die Einstufung als Verdachtsfall?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz kennt drei Stufen, um auf extremistische Gefahren aufmerksam zu machen. Stufe eins ist der sogenannte Prüffall. Als solcher wurde die AfD im Januar 2019 eingestuft, wenige Monate, nachdem Thomas Haldenwang Chef des Verfassungsschutzes wurde. 2021 folgte Stufe zwei: die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall, die es dem Verfassungsschutz ermöglicht, die AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Die Überwachung von Mails und Telefonaten ist damit allerdings nur theoretisch möglich, in der Praxis muss es dafür Anhaltspunkte für schwerwiegende Straftaten wie Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit, Bildung einer terroristischen Vereinigung oder Volksverhetzung vorliegen, wie die „Letal Tribune Online“ erläutert. Stufe drei schließlich ist die Bewertung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung.

Wie wehrt sich die AfD?

Die AfD hat am OVG drei Befangenheitsanträge gegen Richter gestellt, die allesamt abgelehnt wurden. Der letzte Befangenheitsantrag wurde gestellt, weil der AfD die Frist nicht reichte, um sich auf den Prozess vorzubereiten: Nachdem der Verfassungsschutz dem Gericht Anfang Januar „umfangreiche Unterlagen“ übermittelt hatte, verschob das OVG die Verhandlungstermine von Ende Februar auf den 12. und 13. März. Das war der AfD zu kurz, sie forderte mindestens sechs Wochen.

Es gibt noch andere Strategien, zum Beispiel die Selbstverharmlosung, wie Cremer ein solches Vorgehen nennt. Die „Berliner Zeitung“ berichtete, dass der AfD-Bundesvorstand per Brief bei Mandatsträgern und Funktionären der Partei abgefragt hat, ob Menschen mit Migrationshintergrund darunter seien oder sie einen „Migranten“ als Ehepartner hätten. Diese Angaben will die AfD vor dem OVG Münster „in unserem juristischen Abwehrkampf gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz“ nutzen.

Bereits 2018 bildete die AfD eine Arbeitsgruppe zum Umgang mit dem Verfassungsschutz. Sie wurde 2021 aufgelöst, weil das Ziel erreicht worden sei, wie das damalige AfD-Vorstandsmitglied Alexander Wolf sagte. Ein paar Monate zuvor hatte das Verwaltungsgericht Köln dem Verfassungsschutz untersagt, die AfD als Verdachtsfall einzustufen. Erster Leiter dieser Arbeitsgruppe war übrigens der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig – der (mittlerweile ehemalige) Mitarbeiter von AfD-Chefin Alice Weidel, der am berüchtigten Treffen von Potsdam teilnahm.

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Wie könnte das Verfahren in Münster ausgehen?

„Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Einstufung bestätigt wird“, sagt Axel Salheiser. Aber auch dann dürfte der juristische Streit erst einmal weitergehen. „Zunächst einmal würde die AfD das Urteil anfechten“, so Salheiser. „Dann geht es in die nächste Instanz, ans Bundesverwaltungsgericht, und schließlich an das Bundesverfassungsgericht, bei dem die Verfahrensprüfung liegen würde.“

Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ droht der AfD nach dem Urteil aus Münster zudem die Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung – also Stufe drei. Das Gutachten dazu soll bereits fertig sein, lediglich die „Erwägungen“ des Gerichts sollen noch „möglichst berücksichtigt werden“.

Würde eine Einstufung als extremistisch der AfD politisch schaden?

Hendrik Cremer geht davon aus. „Ich hoffe und erwarte, dass sich dann die Debatte über die AfD und der Umgang mit der Partei verändern“, sagt der Jurist im Interview mit ntv.de. Momentan sei mit Blick auf die AfD nur von einer „rechtspopulistischen“ oder „in Teilen rechtsextremen“ Partei die Rede. „Noch immer hat sich nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Partei längst insgesamt zu einer rechtsextremen Partei entwickelt hat.“

Dagegen sagt Salheiser, die politischen Folgen wären ambivalent. „Denn die Einstufung als gesichert rechtsextrem würde auch die Selbstviktimisierung, die Opfererzählung der AfD verstärken.“ Das würde ebenso für einen etwaigen Verbotsantrag gelten, den Salheiser dennoch für geboten hält: „Wenn die Beweislast erdrückend ist, dann hat der Staat eine Handlungspflicht.“ Ein solcher Verbotsantrag wird derzeit zwar politisch diskutiert. Aber er müsste vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden, damit das Bundesverfassungsgericht entscheiden kann. Bislang zeichnen sich dafür keine Mehrheiten ab.

Folgen für die Landtagswahlen im September erwartet Salheiser nicht. „Der Eindruck auf die Wählerinnen und Wähler gerade in den drei ostdeutschen Ländern, in denen im September Landtagswahlen stattfinden, in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, dürfte denkbar gering sein.“ Die Proteste gegen Rechtsextremismus als Reaktion auf das Treffen von Potsdam hätten der AfD in den Umfragen zwar erkennbar geschadet – dies aber vor allem in Westdeutschland. „Wenn Menschen mit Migrationshintergrund von rechtsextremen Ideologien und Parteien angefeindet und abgewertet werden, dann geht das dort für sehr viele in den persönlichen Nahbereich.“ Dies sei eine Erfahrung, die viele in Ostdeutschland nicht teilen.

FS Chronik AfD 17.34Sehen Sie in der Fotostrecke: Als eurokritische Partei war die AfD vor zehn Jahren gestartet. Seither hat sie sich stark verändert, steht heute deutlich weiter rechts. Ein Teil der Mitgliedschaft will den Austritt Deutschlands aus der EU. Dennoch drängen etliche auf die Europawahl-Liste.

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