Weltfrauentag: Hilfe, die Alten kommen! „Wir müssen Arbeits- und Arbeitszeitmodelle dringend neu denken“

Jedes Jahr begehen wir am 8. März den Tag für Frauenrechte und Gleichstellung – seit 1921. Doch wenig passiert. Palais F*luxx, ein Online-Magazin für Frauen ab 47 Jahren, hat deshalb eine wichtige Kampagne gestartet – der stern hat mit Silke Burmester, der Initiatorin, gesprochen.

Lediglich in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist der Weltfrauentag ein Feiertag. Doch zum Feiern gibt es am 8. März auch nach mehr als 100 Jahren keinen Anlass, es hat sich immer noch viel zu wenig für Frauen geändert. Weder verdienen sie ebenso viel wie Männer, noch erfahren sie in puncto Haushalt und Kindererziehung gleichberechtigte Unterstützung. Und wenn sie älter werden, Falten und graue Haare bekommen, findet die Gesellschaft das weitaus weniger attraktiv als bei Männern. Silke Burmester hat mit Palais F*luxx ein Team zusammengestellt, das einen anderen Blick auf die Realität wirft – einen gleichberechtigten. Sie hat dem stern ihr Anliegen geschildert.

Frauen werden im Alter beruflich diskriminiert. Woran zeigt sich das?
Frauen werden in ihrem gesamten Berufsleben diskriminiert, etwa, indem sie oft nicht die gleichen Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten haben wie Männer. Zudem erhalten sie für die gleiche Arbeit zum Teil weniger Geld: Wir haben immer noch ein Gender Pay Gap von 18 Prozent. Im Alter verstärkt sich diese Schieflage, weil der Status Quo für Frauen ein anderer ist. Wenn wir uns einen 54-jährigen Mann und 54-jährige Frau vorstellen, die sich bewerben, dann ist dieser Mann meist beruflich sehr viel weiter und hat mehr verdient als die Frau, seine Ausgangsbasis für das, was kommen kann, ist viel besser. 

Silke Burmester, 57, Journalistin und Dozentin, Moderatorin und Buchautorin, gründete 2020 das Online-Magazin Palais F*luxx. Heute moderiert sie Veranstaltungen und vermittelt als Speakerin zum Thema „Modern Aging“, welche Chancen – für Frauen als Individuen genauso wie für Unternehmen und die Gesellschaft – in dem sich wandelnden Altersbild liegen.
© Eva Häberle

Warum hängen Frauen in den 50ern so zurück?
Viele Frauen waren dadurch, dass sie sich um die Kinder und die Familie gekümmert haben, aus dem Berufsleben raus. So ist der Wiedereinstieg enorm schwierig. Sie haben häufig für ihren Lebenslauf und die Rentenkasse nicht so viel vorzuweisen wie jene, die sich nicht um die Familie gekümmert haben. Das, was sie an Wissen mitbringen, zählt nicht. Das ist eine Form der Diskriminierung, die sich ändern muss.

Früher hieß es: „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“. Mit anderen Worten: Die Frau bleibt unsichtbar im Hintergrund. Ist das heute auch noch so?
Wenn wir uns angucken, wer in diesem Land Karriere macht, wer Macht und Einfluss hat, dann sind das eher Männer, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen so schwierig ist. Das ist ein Unding. Wenn es aber so ist, sollte es für beide Elternteile gelten. Ich glaube, wenn man Männer bei der Einstellung fragen würden: „Ich sehe, Sie haben Familie. Wie wollen Sie das denn geregelt kriegen?“, ohne dass die Antwort lauten kann „Meine Frau ist zu Hause“, würde sich sehr schnell sehr viel ändern.

Das würde auch nicht verheirateten Frauen und Alleinerziehenden helfen, die von der Rente, die sie bekommen werden, nicht mehr ihre Miete bezahlen und leben können – obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet und Kinder großgezogen haben.
Ja, dass die Rente so gering ist, obwohl man gearbeitet hat, betrifft Frauen deutlich stärker als Männer. Das ist wieder ein Ergebnis unseres patriarchalen Systems: Weil Frauen weniger aufsteigen, mehr Teilzeit und generell in schlechter bezahlten Jobs arbeiten, haben sie eine geringere Rente. Der Gender Pension Gap beträgt aktuell 29,9 Prozent. Ohne Berücksichtigung der Hinterbliebenenrente sind es sogar 42,6 Prozent.

Deswegen ist es gerade für viele Frauen ab der Lebensmitte wichtig zu arbeiten, um mehr Rentenpunkte anzusammeln. Doch oft müssen dann Angehörige gepflegt werden, und die Frauen sind wieder weg vom Arbeitsmarkt. Wir müssen Arbeits- oder Arbeitszeitmodelle dringend neu denken, um Frauen ab 47 mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt einzuräumen. Sichtbarkeit Frauen Elke Jensen 13.05 

Durch den Fachkräftemangel werden Männer aus der Rente zurückgeholt, weil sie für ihr Wissen und ihre Kompetenz geschätzt werden. Von Frauen hört man das kaum.
Wir haben eine unterschiedliche Wahrnehmung von Alter. Wenn Männer älter werden, sind die Zuschreibungen sehr positiv. Gerade grauhaarige Männer werden als erfahren wahrgenommen, als jemand, der sich viel Wissen angeeignet hat, der souverän ist. Grauhaarige Frauen gelten als „verbraucht“. Das ist der Punkt, an dem unsere Kampagne ansetzt. Ich habe über Palais F*luxx sehr viel mit älteren Frauen zu tun, die sich beruflich einbringen oder noch mal neu aufstellen möchten. Die das Gefühl haben, kategorisch ausgeschlossen zu werden. Sie bekommen keine Antworten auf Bewerbungen, werden nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, werden von Weiterbildungsmöglichkeiten innerhalb ihres Betriebes ferngehalten. 

Genau das wollen Sie ändern.
Ja, die Wirtschaft klagt darüber, nicht genügend Arbeits- und Fachkräfte zu haben. Wir merken alle, dass etwa Bäckereien früher schließen, die Taktung der öffentlichen Nahverkehrsmittel geringer wird  und Arztpraxen ihre Öffnungszeiten reduzieren.

Uta Zwölfer-Dorau, 62, Projektingenieurin für Windkraftanlagen. Als eine von zwölf Frauen ist sie Teil der Plalais-F*luxx-Kampagne gegen Altersdiskriminierung.Uta Zwölfer-Dorau steht für den Frauenklassiker: statt im studierten Beruf zu arbeiten, hat sie Kinder bekommen. Mit 49 Jahren und großen Kindern wollte sie gern endlich den erlernten Beruf ausüben. Die Meteorologin brachte sich auf den neuesten Stand und hatte Glück: Die Nachfrage war im boomenden Windenergiesektor groß und Vorurteile in ihrem Betrieb nicht vorhanden. Im Gegenteil, man wollte gern eine Frau einstellen. Heute profitieren alle von ihrem Alter – es sind die Jüngeren, die Nachwuchs bekommen und häufig ausfallen.
© Sonja Tobias

Da dachte ich: Das muss man zusammenbringen! Wir müssen die Wirtschaft darauf aufmerksam machen, dass da diese Vielzahl an Frauen ist, die enorm wertvoll für die Wirtschaft ist. Ebenso müssen wir diesen Frauen klarmachen, dass das, was sie mitbringen, ihre Expertise, ihre Kenntnis, das Know-how und auch ihre Gelassenheit enorm wertvoll für den Arbeitsmarkt sind. 

Sie hatten mit Palais F*luxx eine Pressekonferenz im Bundesfamilienministerium. Welche Idee steckt dahinter? Gibt es konkrete Forderungen?
Einen konkreten Forderungskatalog haben wir nicht. Wir wollen zunächst nur sensibilisieren. Wir brauchen als Gesellschaft ein neues Verständnis von Alter. Wir brauchen neue Altersbilder, gerade von Frauen. Unser Verständnis von Alter ist in den 90er-Jahren hängengeblieben. Die Menschen, die jetzt alt werden, sind viel agiler, flexibler und moderner als die Generationen davor. Das gilt es zu begreifen. 

Sichtbarkeit Frauen Mo Asumang IV 13.02

Wie zeigt sich das in der Kampagne?
Abgesehen von den zwölf Protagonistinnen, die diesem Ansatz ein Gesicht geben, lösen auch wir das ein. Die beteiligten Frauen, von der Fotografin über die Visagistin bis zur Grafikerin, und wir, die wir uns das ausgedacht haben, sind alle 47+. Wir zeigen damit deutlich, dass es Quatsch ist, für tolle Ideen und kraftvolle Umsetzung auf „jung“ zu setzen. So verstehen wir unsere Kampagne „Ohne mich würdet ihr alt aussehen“ als Anstoß für die Wirtschaft. Als Puff in die Seite. Zum Aufwachen. Gleichzeitig möchten wir durch die Gesichter, die wir zeigen, Frauen 47+ unterstützen, sich des eigenen Wertes – auch für die Arbeitswelt – bewusst zu werden. Was Frauen mit 47+ mitbringen, ist Gold wert.

Es heißt, Frauen in den Wechseljahren hätten weniger Energie. Widerlegen Sie das damit?
Die Energie lässt ab einem gewissen Alter durch den sinkenden Testosteronwert auch bei Männern nach. Aber, ja, Zweidrittel der Frauen erleben die Wechseljahre als belastend und auch einschränkend. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Unternehmen die Wechseljahre ihrer Arbeitnehmerinnen in den Blick nehmen und schauen, was sie tun können, um die Frauen zu unterstützen. Viele Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit im Kontext der Wechseljahre, einige gehen ganz raus. Das kann sich die Wirtschaft nicht leisten. Deswegen bieten wir zum Beispiel mit „Hidden Champions“ ein Beratungsangebot für Firmen, das ihnen hilft, die Frauen zu unterstützen und als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Denn natürlich entscheide ich mich als Arbeitnehmerin für eine Firma, die das im Blick hat.

Die Porträts der Frauen finden Sie hier.

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