Internationaler Frauentag: Stutenbissigkeit: Es kann nur eine geben. Oder?

Am Internationalen Frauentag gehen Frauen gemeinsam auf die Straße. Aber wie ist es sonst um die Solidarität unter Schwestern bestellt? Gibt es die viel zitierte „Stutenbissigkeit“ – oder ist sie ein Mythos? 

Neulich auf der Lesung eines renommierten Schriftstellers. Das Publikum gut gekleidet, informiert und belesen. Mehr Frauen als Männer. In der Reihe hinter mir lästerten zwei Damen über eine Dritte, die vor der Bühne herumlief und offenbar zum Orga-Team gehörte. Nicht mehr jung, stark geschminkt, die Haare lang. „Von hinten Lyzeum, von vorn Museum“, sagte die eine zur anderen. 

„Damen unter sich“ richten sich mit Blicken und Worten, wusste schon Mascha Kaléko: „Was geschieht/ wenn eine alternde Hyäne/ Eine jugendliche Schöne sieht?/ Ein Schlangenbiß ist ein Kinderkuß/ Gegen diesen Blick“, dichtete die Großstadtlyrikerin.

Aber ist das nicht ein überholtes Klischee? Frauen vernetzen sich, organisieren Mentorinnen-Programme und Frauenstammtische. Stutenbissigkeit, Zickenkrieg, Queen-Bee-Syndrom – wenn Frauen, die es geschafft haben, andere niedermachen, um ihren Thron nicht teilen zu müssen – sind das nicht alles Vorurteile, die längst widerlegt sind? 

113 Jahre Internationaler Frauentag

Heute, vor 113 Jahren, wurde der erste Internationale Frauentag gefeiert. Über eine Million Frauen gingen in Europa und den USA auf die Straße, forderten aktives und passives Wahlrecht. Das ist seit 1918 in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem gibt es bei der Gleichberechtigung  noch immer viele Baustellen. Frauen werden in Deutschland noch immer schlechter bezahlt als Männer. Auf der ganzen Welt gehen Frauen heute auf die Straße. Gemeinsam sind wir stark. Aber wie ist es im Alltag um die Solidarität von Frauen untereinander bestellt? 

Die Komikerin Carolin Kebekus hat kürzlich ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Während der Schwangerschaft wunderte sie sich über die Sticheleien von Frauen. Sie würde sich noch wundern, wenn sie erstmal Mutter sei. Nichts würde sie mehr schaffen. „Woher kommt denn diese Gehässigkeit, jetzt? Seit wann sind wir denn keine Freundinnen mehr? Was ist denn hier los?“, fragte sich die Komikerin.

Carolin Kebekus 13.55

Kebekus hätte gewarnt sein können. Sie hat 2021 ein herrliches Buch über den Zickenkrieg unter Frauen geschrieben: „Es kann nur eine geben.“ Auf fast 350 Seiten rechnet die Komikerin mit ihren Geschlechtsgenossinnen ab. „Wenn selbst Frauen Frauen abwerten, dann werden wir das Patriarchat doch nie stürzen.“

Studien, die den Zickenkrieg unter Frauen belegen, gibt es viele: Eine Studie der Universität Amsterdam kam 2011 zu dem Ergebnis, dass Männer kooperativer miteinander umgingen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen kanadische Forscher 2017. Niederländische Wissenschaftler fanden heraus, dass der Konkurrenzkampf überall dort tobt, wo Minderheiten um ihren Platz kämpfen – Frauen in sogenannten Männerberufen, zum Beispiel. Frauen neigten allerdings auch dazu, Männer nachzuahmen und distanzierten sich deshalb von ihren Geschlechtsgenossinnen.

Brasilianische Wissenschaftler, die 2018 Millionen Daten aus 5600 Gemeinden auswerteten, bezweifelten das Queen-Bee-Syndrom dagegen. Chefinnen würden sich untergeordneten Frauen gegenüber wohlwollend verhalten, wenn sie nur den Spielraum hätten. Das „Phänomen der Bienenkönigin“ sei „entweder selten oder nicht existent“. „Bienenköniginnen“ seien in Wirklichkeit „Königliche Anführerinnen“. Brasilianerinnen gehen offenbar freundlicher miteinander um. 

Männer fördern Männer, die ihnen ähnlich sind

Hierzulande haben Frauen es jedenfalls schwer, überhaupt nach ganz oben zu kommen. 83 Prozent der Vorstände sind Männer. Die meisten sind im selben Alter, haben die gleiche Ausbildung und heißen Thomas. Sie fördern Männer, die ihnen ähnlich sind. „Thomas-Kreislauf“ nennt die AllBright-Stiftung diesen Effekt, der dazu führt, dass mehr Männer als Frauen auf Chefsesseln sitzen. 

„Männer sind überall sichtbarer als Frauen“, klagt Kebekus in ihrem Buch. Musik von Frauen wird seltener gespielt. Es gibt sogar weniger Klos für Frauen in Deutschland, und zwar obwohl sie häufiger müssen. Und dann machen sich Frauen auch noch gegenseitig das Leben schwer. Vieles, was Kebekus schildert, klingt so vertraut. Selbst erlebt oder gehört von anderen Frauen. Die „Freundin“ aus Schultagen, die ihren Gang imitierte und sich vor Lachen kaum halten konnte. Kebekus lachte mit, heulte zu Hause. In den sozialen Netzwerken mokierten sich nur Frauen über das vermeintliche „Gewabbel“ von Kebekus Oberarmen. 

Oder die Sache mit dem Fernsehchef bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, dem sexuelle Anmache vorgeworfen wurde. Als die Vorwürfe laut wurden, unterstützten Frauen ihn, beteuerten in einem offenen Brief, dass dieser Typ sie niemals angegrapscht habe. „Was für eine seltsame Aktion war das?“, fragt Kebekus. „Wenn er der einen Frau nichts getan hat, heißt das doch noch lange nicht, dass er keiner anderen etwas angetan hat. Das Einzige, was dieser Brief wirklich gebracht hat, war: Die Kolleginnen wurden als unglaubwürdig hingestellt.“ 

Business-Frauen 14.01

Doch das Buch ist mehr als eine Anekdotensammlung über den alltäglichen Kleinkrieg zwischen Frauen. Kebekus und ihre Co-Autorin Mariella Tripke haben viele Quellen ausgewertet, um zu untersuchen, wie Frauen diskriminiert werden und woher diese Feindseligkeit untereinander kommt. Frauen, so ihre These, würden seit Jahrhunderten zu Konkurrentinnen erzogen. Stutenbissigkeit habe historische Gründe. „Die Rivalität unter Frauen hat Gründe. Lebensnotwendige sogar. Jahrtausendelang waren wir nun mal von dem Wohlwollen eines Mannes abhängig.“ Am Ende mahnen sie mehr Solidarität unter Frauen an. „Es gibt genug Platz für alle, wir müssen ihn uns nur nehmen.“

„Das Buch hätte sie besser gelassen“

Das Buch trifft einen Nerv, rund 700 Bewertungen bei Amazon sind fast durchweg positiv. „Ein wütender und witziger Rundumschlag – und ein flammendes Plädoyer für Frauensolidarität“, lobt Emma. „Ziemlich viel Wahrheit“, liest die „Wienerin“ aus dem Buch. 

Doch es gibt auch Kritik von berufener Seite. „Das Buch hätte sie besser gelassen“, schrieben die Wirtschaftswissenschaftlerin Fabiola Gerpott und ihr Kollege Ralf Lanwehr, offenbar ohne zu merken, dass die Forderung, das Buch wäre besser nicht geschrieben worden, gefährlich nach Bücherverbrennung klingt. Die Thesen von Kebekus seien „falsch, kontraproduktiv und frauenfeindlich“. Den „Queen-Bee-Effekt“ gebe es nicht, er sei durch die brasilianische Studie widerlegt. „In Summe“ dürfte das Buch von Kebekus „mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften“. Als ob nur Bücher veröffentlicht werden dürften, die einen gesellschaftlichen Nutzen hätten (wer bestimmt den?) und objektiv sein müssten. Hätte Fabiola Gerpott diese Kritik alleine formuliert, wäre man versucht, ihr das vorzuwerfen, was sie gemeinsam mit einem Co-Autor negiert: Stutenbissigkeit. 

STERN PAID 11_24 FS Allein Unter Männern

Ich bin davon überzeugt, dass es Stutenbissigkeit gibt. Das, was ich erlebt habe, würde ebenfalls ein Buch füllen. Fing früh an, in der Schule. Lange her. Schwamm drüber. Und ging später weiter. Schwamm drüber. Ich war auch nicht immer nett zu meinen Geschlechtsgenossinnen, zugegeben. Aber es tut sich was. Inzwischen ärgere mich häufiger über Männer, die mir ungefragt die Welt erklären wollen. Über Frauen ärgere ich mich so gut wie gar nicht mehr. Deshalb war ich so geschockt über die beiden Damen auf der Lesung. Aber die haben es bestimmt nicht so gemeint. Oder? Das nächste Mal frage ich sie. Freundlich. Anstatt sie anzuzischen. Und dann gehen wir vielleicht zusammen ein Bier trinken. Und verbünden uns. Wie Männer.

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