Angesichts des 35-Stunden-Streiks der Lokführergewerkschaft GDL im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn (DB) werden Forderungen nach einer Änderung des Streikrechts laut. „Wir müssen für die kritische und alternativlose Infrastruktur in Deutschland neue Regeln schaffen“, sagte der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Freitagsausgabe). Dazu gehöre auch die Bahn.
Wenn der öffentliche Nah- und Fernverkehr bestreikt werde, treffe dies alle, vor allem aber andere Arbeitnehmer. Der Staat müsse künftig sicherstellen, „dass es eine gewisse Grundversorgung immer gibt“, sagte Naumann. „Das muss jetzt angegangen werden“. Dafür sei eine Änderung des Streikrechts zwingend notwendig.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr brachte eine Einschränkung des Streikrechts ins Gespräch. „Streiks dürfen schmerzhaft sein, aber sie müssen verhältnismäßig bleiben, insbesondere wenn es sich um kritische Infrastruktur handelt“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir sollten in den kommenden Wochen prüfen, ob die Regeln für Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur modernisiert werden müssen.“
Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben, sprach sich dafür aus, das Streikrecht kleiner Arbeitnehmerorganisationen zu beschneiden. Nötig seien Regeln für Streiks, „die die kritische Infrastruktur betreffen, wie es auch in anderen Ländern der Europäischen Union der Fall ist“, sagte er dem „Handelsblatt“.
Houben schlug vor, dass ein Streik künftig mindestens 60 Stunden vor Beginn gegenüber der gegnerischen Partei angekündigt werden soll. Vorstellbar wäre nach seiner Auffassung zudem, dass nur eine bestimmte Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder in einem Bereich der kritischen Infrastruktur gleichzeitig streiken dürfte. „So wären während eines Arbeitskampfs die Grundversorgung, Notstands- und Erhaltungsmaßnahmen nicht gefährdet, während gleichzeitig die streikenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihrem Recht auf Streik Gebrauch machen können.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Überlegungen zu einer möglichen Gesetzesänderung mit Blick auf Streiks der Lokführergewerkschaft GDL Ende Januar zurückgewiesen. Deutschland habe „aus guten Gründen ein sehr gutes Verfassungsrecht“, sagte er. Das Recht, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen und Arbeitskämpfe zu führen, „gehört zu den Freiheiten, die in unserem Grundgesetz so fest geregelt sind, dass sie nicht einfach abgeschafft werden können, auch nicht durch Gesetze“.
Gleichzeitig hatte Scholz im Januar die GDL zur Mäßigung aufgerufen: Die in der Verfassung verbrieften Rechte hielten „niemanden davon ab, von seinen Möglichkeiten, unseren Rechten, immer mit klugem Maß Gebrauch zu machen“. Das sei sein Appell.
Das Streikrecht in der Bundesrepublik ergibt sich aus der im Grundgesetz verankerten Koalitionsfreiheit. Nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist das Arbeitskampfrecht in Deutschland dabei im Wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelt worden. Vorherrschendes Grundprinzip jedes Arbeitskampfes sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) das Verhältnismäßigkeitsgebot. Zudem müsse sich die Forderung, für die gestreikt werden soll, auf einen Gegenstand beziehen, der grundsätzlich in einem Tarifvertrag regelbar ist. Politische Streiks etwa sind daher in Deutschland unzulässig.