Europawahlen 2024: Nicolas, der Unbekannte: Dieser Sozialdemokrat will Ursula von der Leyen herausfordern

In Brüssel dürfte er vielen ein Begriff sein – aber ansonsten ist Nicolas Schmit in Europa eher ein Unbekannter. Dabei will der Sozialdemokrat in das höchste Amt der EU. Hat er eine Chance?

Kennen Sie Nicolas Schmit? Nein? Keine Sorge, da sind Sie wahrscheinlich nicht der Einzige. Dennoch hat der Luxemburger das Ziel, das Amt des Kommissionspräsidenten zu übernehmen – das derzeit die Deutsche Ursula von der Leyen innehat. 

Die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) hat Schmit am Wochenende in Rom zum Spitzenkandidaten für die Wahlen im Juni ernannt. Damit beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs für die europäischen Sozialdemokraten.STERN PAID Olaf Scholz in Straßburg 16.10

Nicolas Schmit, ein Kenner Brüssels

Die diesjährigen Europawahlen gelten für viele als die wichtigsten seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Bestehen der Union. Und für die Sozialdemokraten, die nach der Europäischen Volkspartei (EVP) die zweitgrößte Fraktion im Europaparlament stellen, geht es um nicht weniger als die „Seele Europas„, die in Gefahr sei, wie etwa der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez den Delegierten deutlich machte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Kongress teilnahm, warnte in einer Rede vor „Rechtspopulisten, die Wahlkampf gegen unser geeintes Europa und seine Grundwerte machen“ und weltweit in Demokratien auf dem Vormarsch seien.

Und Schmit soll es richten. Obwohl sein Name vielen Europäern unbekannt ist, gilt der Luxemburger als Experte in der Brüsseler Politik. Er verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in Regierungsämtern und der EU. Derzeit ist er Arbeitskommissar, kümmert sich also etwa um Arbeitnehmer in der EU, um Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen.

„Nicolas Schmit ist in der europäischen Gewerkschaftswelt und auch in den sozialdemokratischen Bewegungen, für die soziale Fragen im Mittelpunkt stehen, sehr beliebt“, sagte Marc Angel, Vizepräsident des EU-Parlaments, im November dem „Luxemburger Wort“.EU-Beitrittskandidaten 13.09

Europawahl: Duell zwischen Schmit und von der Leyen?

Der heute 70-jährige Schmit war von 1991 bis 2004 Mitglied des luxemburgischen Staatsrats. Seine EU-Karriere begann bereits ein Jahr zuvor, als er 1990 Botschaftsrat bei der Ständigen Vertretung Luxemburgs bei der Europäischen Union in Brüssel wurde. Von 1998 bis 2004 war er sogar Botschafter und Ständiger Vertreter des Fürstentums bei der EU. Für die luxemburgische Regierung war er unter anderem an den Verhandlungen zu den Verträgen von Maastricht und Nizza beteiligt.

Danach kehrte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler in die luxemburgische Politik zurück und wurde zunächst Beigeordneter Minister für auswärtige Angelegenheiten und Immigration, dann Minister für Arbeit, Beschäftigung und Immigration sowie für Sozial- und Solidarwirtschaft. 2019 wechselte er ins Europäische Parlament und in die EU-Kommission. Dort war er maßgeblich an der Entwicklung eines 100-Milliarden-Euro-Programms für Kurzarbeitsregelungen während der Coronakrise beteiligt.

Schmit wird voraussichtlich gegen seine derzeitige Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), antreten. Die könnte bereits beim EVP-Kongress in den kommenden Tagen in Bukarest zur Spitzenkandidatin gewählt werden.

Schmit will grünere und sozialere EU

Die Wahl des Spitzenkandidaten in der EU geht auf die Europawahl 2014 zurück. Jean-Claude Juncker – ebenfalls Luxemburger – trat damals gegen den SPD-Mann Martin Schulz an. Damit sollte der Politikverdrossenheit und dem Eindruck, der Wählerwille spiele keine Rolle, entgegengewirkt werden. Am Ende entscheiden die Mitgliedstaaten über einen Vorschlag des EU-Ratspräsidenten zur Wahl des Kommissionspräsidenten. Das EU-Parlament muss diesen dann bestätigen. Der Sieger der Spitzenkandidaten wird im besten Fall auch Kommissionspräsident. 

Schmit hat angekündigt, entschlossen für ein geeintes Europa zu kämpfen. Sein Hauptziel ist es, die europäischen Werte zu verteidigen und dem Rechtsruck in der EU entgegenzutreten. Parteien wie die AfD, die Fratelli d’Italia oder der Rassemblement National in Frankreich bezeichnete er als „Gift“ für die Demokratie. 

In Rom betonte Schmit, dass er Respekt statt Hass möchte. Die Rechten hätten „kein Projekt für Europa“: „Die beste Antwort auf die extreme Rechte ist unsere Vision und unser Projekt für Europa, damit jeder Bürger und jedes Kind ein besseres Leben haben kann.“ Dafür wolle er auch den Klimaschutz vorantreiben und gleichzeitig das Soziale nicht aus den Augen verlieren: „Wir werden für einen Green Deal mit rotem Herzen kämpfen“, versicherte er.Malte Gallée Offener Brief_5.00

Ein Wahlkampf ohne Aussicht auf Erfolg?

Gleichzeitig betonte er die Wichtigkeit einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik: „Wir Europäer müssen unsere Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine betont er, dass man die Ukrainer niemals im Stich lassen werde. 

Der Sozialdemokrat möchte dafür auf die europäische Jugend setzen. Er wolle sich für ein Europa einsetzen, das für junge Menschen attraktiv ist und sie besser anspricht: „Bis vor kurzem haben wir vor allem junge Menschen nicht erreicht, wenn wir Europa als Friedensprojekt dargestellt haben.“ 

Trotz der kämpferischen Worte dürften die europäischen Sozialdemokraten kaum zulegen – und Schmit auf verlorenem Posten stehen. Darauf deuten zumindest die aktuellen Umfragen hin. Im Vergleich zu den Europawahlen 2019 werden sie voraussichtlich eher Verluste hinnehmen müssen. Die EVP liegt derzeit vorn, jedoch sind EU-kritische und rechte Parteien in einigen Ländern im Aufwind, wie zum Beispiel die AfD.

Ein weiteres Problem für Schmit ist, dass sowohl er als auch von der Leyen einen ähnlichen Fokus auf die Sicherheit Europas legen. Von der Leyen möchte mehr Verteidigung für den Kontinent, aber ebenso Schutz vor Armut und Krankheit sowie den Kampf gegen Korruption. Die Sozialdemokraten haben ähnliche programmatische Ziele; die deutliche Abgrenzung fehlt.

Nach den Europawahlen im Juni muss der Posten des EU-Kommissionspräsidenten neu besetzt werden. In der Regel wird ein Kandidat der europäischen Parteienfamilie nominiert, die bei den Wahlen am besten abgeschnitten hat. Aufgrund des deutlichen Vorsprungs der EVP und der Beliebtheit und des guten Rufs von der Leyens stehen die Chancen gut, dass sie Präsidentin bleiben kann. Dennoch hat Schmit auch andere Kommissionsposten für die SPE im Blick, wie zum Beispiel Wirtschaft, Klimaschutz und Soziales. Letzteren hat er derzeit inne. Wenn es noch mehr als nur der würde – an Herausforderungen für Schmit wäre wahrlich kein Mangel.

Quellen: Nachrichtenagenturen AFP und DPA, Profil von Nicolas Schmit bei der Europäischen Kommission, Regierung Luxemburgs, S&D-Fraktion im Europaparlament, „Euractiv“, „Euractiv“ (2), „Vorwärts“, Bundeszentrale für politische Bildung, Europäische Kommission, Euronews, tagesschau.de

Verwandte Beiträge