600 Kilo Schönheit: Wahl der Miss Ostfriesland: Deutschland sucht die schönste Kuh

Deutschland hat eine neue Miss Ostfriesland: Bei der Wahl in Leer wurde die Kuh Pamela zur schönsten Kuh gekürt. Am Ende gab es sogar Tränen. Die Schauwettbewerbe sind wichtige Events für die Züchter.

Der schöne Wahnsinn findet sich in der Ostfrieslandhalle: Es ist Mittwoch in Deutschland, die Ministerpräsidenten streiten mit dem Kanzler über Migration, Polizisten fahnden nach zwei untergetauchten RAF-Terroristen und im ostfriesischen Leer werden 1500 Menschen auf Kühe starren. 

Hier im äußersten Nordwesten der Republik wird heute die Miss Ostfriesland gekürt. Und die bringt keine Modelmaße mit, sondern 600 Kilogramm und jede Menge Milch auf die Waage. Ihre Züchter haben die vergangenen Wochen hart auf diesen Tag hingearbeitet, schließlich geht es um Ruhm und beste Werbung für den eigenen Betrieb.

Juliane Hassbargen ist mit sechs Kühen angereist. Bene, Bella, Bacara, Britt, Lavendel und Internationale liegen und stehen, je nach Laune, in einer Nebenhalle auf einem Strohbett. Seit zwei Tagen sind sie hier, um sich zu akklimatisieren.  

Kuhfitter föhnen die Stars

Ihr Fell ist kurz geschoren, ihre Euter adrig und prall und in den vergangenen Tagen wurde sie gleich vier Mal mit Kuhshampoo gewaschen; das erledigt sonst eigentlich nur der Regen. Vor ihrem Auftritt werden sie noch von sogenannten Kuhfittern geföhnt, mit Schwanz-Toupets versehen und die Euter mit Öl besprüht, damit sie richtig zur Geltung kommen. Gemolken wurden sie zuletzt am Vorabend. Gut 500 Euro an Kosten kann man pro Kuh für die Teilnahme rechnen. 

Babyöl und Schwanz-Toupets, die wichtigsten Utensilien für die Kuhfitter
© Joanna Nottebrock

„Das, was wir machen, ist irgendetwas mit I – Idealismus oder Idiotie“, sagt Hassbargen. Vor 35 Jahren machte sie bei ihrem ersten Wettbewerb mit, da war sie gerade fünf Jahre alt. 1997 belegte sie zum ersten Mal bei einem Wettbewerb mit einer ihrer Kühe den zweiten Platz, seitdem kann sie nicht mehr loslassen. Mit der Zeit wurden die Wettbewerbe immer professioneller. Ihren Mann, der ebenso sehr für die Schönheitswettbewerbe brennt, lernte sie auf einer Rinderzuchtreise nach Kanada für Jungzüchter kennen. Auch ihre drei Kinder (7, 10 und 13 Jahre) sind schon begeistert dabei. 

130 Kühe treten zu den Misswahlen an

In der Ostfrieslandhalle treten am Mittwoch 130 Kühe in verschiedenen Klassen gegeneinander an. Je nachdem, wie häufig sie schon gekalbt haben, werden sie eingeteilt. Die Klassensieger treten am Ende im Finale zur Misswahl an. 

„Am wichtigsten bei der Kuh ist das Euter. Sie müssen über ein sehr drüsiges, fest aufgehängtes Euter verfügen. Sehr schöne Übergänge in der Vordereuteraufhängung haben und eine perfekte Zitzenplatzierung“, sagt Richter Henrik Wille, der schon in Österreich, Luxemburg und Russland Schauen gerichtet hat und mit beneidenswerter Seriosität auftritt. 

Heavy Metal Kühe 18.11

Nach und nach werden die Kühe in die Arena geführt, rundherum sind die Tribünen gut gefüllt. Im Kreis geht es dann durch die Manege. Die Führer sind alle in weiß gekleidet, so will es die Kleiderordnung. Während sie führen, versuchen sie gleichzeitig den Richter und ihre Kuh zu fixieren. Richter Wille läuft in seinem Anzug auf und ab, lässt seinen Blick über die Kühe wandern und ruft, wenn er sich entschieden hat, die Gewinnerin in die Mitte und danach die jeweiligen Plätze dahinter. 

Am wichtigsten ist das Euter bei der Kuh

Wenn Wille seine Wahl dann vor den Zuschauern per Mikrofon begründet, dringen Sätze wie diese aus den Lautsprechern: „Sie ist noch feiner im Hals, hat leichte Vorzüge im Hinterbein, ein höheres Euter, etwas mehr Frische und etwas mehr Länge im Körper.“ 

In Stall nebenan steigt derweil die Nervosität bei Juliane Hassbargen. Gleich führt sie Bene, ihre große Hoffnung, raus. „Sie hat ein hervorragendes Fundament und ein tolles Euter“, schwärmt sie über die schwarzbunte Kuh. Aber bloß nicht zu nervös werden, das überträgt sich sofort aufs Tier.

Fest und prall – so sollte das Euter aussehen
© Joanna Nottebrock

Im Stallbereich dröhnt Hip-Hop aus Lautsprechern. Der Altersschnitt ist jung, viele der Helfer sogenannte Jungzüchter, also jünger als 25 Jahre. Immer wieder springen Menschen mit Eimern auf. Wann immer eine Kuh uriniert oder kotet, muss das aufgefangen werden. Sonst darf man die ganze Kuh wieder sauber machen. Der Zewa-Verbrauch hier dürfte allein 100 Arbeitsplätze des Herstellers sichern. Wer ganz viel Pech hat, steht hinter einer Kuh, wenn sie sich erleichtert und gleichzeitig hustet. Einem der Söhne von Hassbargen spritzt so der gesamte Pullover mit Kot voll. 

Die 107 ist die Schönste

Hassbargen betritt nun unter einem mit Blumen geschmückten Tor die Arena mit Bene. Sie lässt sich gut führen und bockt nicht. Wochenlang hat die gelernte Landwirtin zuvor mit ihren Milchkühen das Gehen am Geschirr geübt. Kennen die Milchkühe ja sonst nicht. 

Auf der Zuschauertribüne raunt eine Frau zu ihrem Sitznachbarn: „Die 107 ist die bislang schönste Kuh, die hier war!“ Die Nummer 107 gehört Bene. Der Richter umkreist die Tiere, schreitet festen Schritts durch die Einstreu, die Führer fixieren ihn mit ihren Blicken – und dann ruft er Bene als erste in die Mitte. Erster Etappensieg für Hassbargen! Nur noch ein Klassenstechen und dann wäre sie unter den ersten vier, die unter sich die Miss Ostfriesland ausmachen. PAID STERN 2019_45 Die Wahrheit über Milch _7.35

Also wieder raus, gegen die besten drei anderen Kühe, die bereits zwei Geburten – oder wie man hier sagt Abkalbungen – hinter sich haben. Die Konkurrenz ist brutal, für den Laien ist kaum zu erkennen, welches Euter besser hängt und welches Bein im besseren Winkel steht – alles im Übrigen Indikatoren dafür, wie langlebig die Kuh zur Milchproduktion genutzt werden kann. Der Richter läuft nun zu rhythmischem Klatschen der Menge zwischen den vier Kühen hin und her. Er tut scheinbar unentschlossen. Doch dieses Mal gibt es kein Happy End. Der Richter entscheidet sich für Pamela. Bene wird Zweite, Reservesiegerin.

Es wird ernst, die Spannung steigt

Hassbargen ist trotzdem überglücklich. „Deshalb machen wir das Ganze! Wahnsinn“. Nicht nur Bene hat eine Wertung gewonnen, auch ihre anderen Kühe erzielen am Ende Topplatzierungen.

Seit fast fünf Stunden werden mittlerweile Kühe in der Arena vorgeführt und nun naht der Höhepunkt. Die Schlange am Würstchenstand wird immer länger, eine Mantaplatte kostet 6,50 Euro. Die Zuschauer kommen überwiegend selbst aus der Landwirtschaft, von jung bis alt ist alles dabei und unter den Züchtern selbst herrscht Kollegialität sowie eine ziemlich ausgeglichene Frauen- und Männerquote.  

Dass es jetzt richtig ernst wird, merkt man an den Kamerateams, die sich wie aus dem Nichts an der Manege postieren. Die finalen vier Kühe betreten die Arena, eine von ihnen wird gleich die neue Miss Ostfriesland. Sie haben bereits die Schärpen für den Gewinn ihrer jeweiligen Klasse um den Hals, aber nur eine kann die Allerschönste werden. Sie reihen sich in der Mitte von links nach rechts vor der Tribüne auf. 

„Ich bin überwältigt von der Qualität der heute gezeigten Kühe“, sagt Richter Henrik Wille.

„Und jetzt möchte ich Sie bitten sich zu erheben und mit mir den Grand Champion dieser Schau zu verkünden.“ 

Rhythmisches Klatschen. Dramatische Musik. 

Miss Ostfriesland Pamela und Führerin Anna Hobbie
© Joanna Nottebrock

Wer wird Miss Ostfriesland?

Der Richter geht nach links zur Kuh, wendet sich nach rechts zur nächsten Kuh, macht einen kurzen Schritt nach links, wieder nach rechts, bis zur äußersten Kuh, hält kurz inne, geht wieder nach links in die Mitte. Und dann bleibt er stehen, diesmal wirklich. Kuh 93 vor ihm. Es ist Pamela, die Bene im Stechen geschlagen hat.

Fanfaren. Jubel.

Der Richter greift wieder zum Mikrofon. „Diese Kuh kam in den Ring und hat mich so gefangen. Sie hat einen wahnsinnigen Milchtyp, sie hat so ein tolles Euter, sie strahlt so viel Gelassenheit aus, sie hat so eine offene, tiefe Rippe, sie hat ein perfektes Becken und bewegt sich auf einem guten Fundament.“, während er redet, stürmen mehrere junge Frauen in die Manege und fallen der Führerin von Pamela, Anna Hobbie, in die Arme. Es fließen Tränen. 

„Dass es für den Miss Ostfriesland-Titel reicht, damit haben wir wirklich nicht gerechnet“, sagt Hobbie inmitten der Gratulanten. „Es ist ein grandioses Gefühl gerade.“

Es ist nicht ihr erster großer Erfolg. 2017 konnte schon die Schwester von Pamela die Miss Ostfriesland-Wahl gewinnen. Schönheit liegt eben in der Familie.

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