Bahn statt WG: Vor eineinhalb Jahren endete für den Programmierer Lasse Stolley die Schule. Es folgte, wenig überraschend, der Auszug bei den Eltern. Statt im Studierendenwohnheim richtete er sich allerdings auf Europas Gleisen ein.
Athen, Ankara, Konstanza, Paris, Amsterdam, Narvik und Danzig: Das „Zuhause“ des 17-jährigen Lasse Stolley liegt an vielen Orten. Denn seine Wohnung hat Räder – und fährt auf Schienen. Seit rund eineinhalb Jahren lebt er als digitaler Nomade und ist inzwischen in ganz Europa unterwegs. Die Fahrtenkarte auf seiner Webseite „Leben im Zug“ gleicht einem Spinnennetz. Heute hier, morgen dort.
In einem Artikel, den „Business Insider“ über Stolley veröffentlicht hat, schildert der Programmierer, warum er dieses Leben gewählt hat. „Für das Leben im Zug entschied ich mich, als ich 16 Jahre alt war. Die Schulzeit lag hinter mir und die Welt stand mir offen.“
Erste Klasse durch Europa
Seit August 2023 besitzt er eine Bahncard 100 First, die ihm den Zutritt in die erste Klasse ermöglicht. Im Jahr kostet ihn das 7.714 Euro. Monatlich umgerechnet 643 Euro. Günstiger ist eine kleine Wohnung in einer Großstadt auch schon lange nicht mehr. Wie er sich das finanziert? Stolley arbeitet als IT-Spezialist für ein Start-up. Ein Büro muss er dafür nicht aufsuchen, fest Arbeitszeiten gibt es anscheinend nicht.
Wovon die einen träumen, ist für Lasse Alltag – endloses Fernweh. „Steht mir der Sinn danach, an die See zu reisen, setze ich mich morgens in den Zug gen Norden. Sehne ich mich nach dem Trubel der Großstadt, dann suche ich eine Verbindung nach Berlin oder nach München.“ Im vergangenen Jahr hat Stolley seine Grenzen erweitert. Das Interrail-Angebot der Europäischen Union und der sogenannte Global Pass, der je nach Klasse zwischen 600 bis 800 Euro kostet, führten ihn bis nach Narvik, nördlich des Polarkreises.
Lasse Stolley organisiert seinen Alltag mit der Bahn-App. Abends wird entschieden, wo es am nächsten Tag hingehen soll. Geschlafen wird im Zug. Über sein Leben führt er öffentlich Tagebuch. Trotz aller Bahnromantik bezeichnet er sein Dasein als „ziemlich rastlos“, erklärt er.
Bahn-Geheimtipps vom Vollprofi
Wird es ihm mal zu hektisch, weicht er daher auf Strecken aus, die ihn beruhigen und entschleunigend wirken. Aus dieser Überlebensstrategie ergeben sich für seine Follower wertvolle Tipps – denn wer, wenn nicht Lasse, kann die Schönheit einer Bahntrasse besser beurteilen?
„Meine Lieblingsstrecke führt durch das Mittlere Rheintal zwischen Mainz und Bonn. Hier fahren die Züge stets sehr langsam am Fluss entlang – eine malerische Route, die sich am Fuße der Weinberge erstreckt“, verrät er unter anderem. Ein weiterer Tipp: „Völlige Ruhe, das weiß ich, finde ich immer auf der Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald in Oberbayern. Hier, umgeben von den Bergen, die ich so sehr liebe, schlängelt sich die Bahn vorsichtig durch die Täler und vor den Fenstern erstreckt sich ein idyllisches Alpenpanorama.“
Noch zählt Stolley mit. Über eine halbe Million Kilometer will er inzwischen zurückgelegt haben, schreibt er. Seine aktuelle Bahncard 100 gilt noch ein halbes Jahr. Wie lange er das fortführen wolle, wisse er nicht, sagt er. Doch für ihn steht aktuell noch fest: „Genug gesehen habe ich noch lange nicht.“