Fashion Week: Karl Lagerfeld, Jil Sander – und jetzt Chemena Kamali: Eine Deutsche mischt die Modewelt auf

Das Pariser Modehaus Chloé hat eine neue Kreativchefin: die Düsseldorfer Designerin Chemena Kamali. Zwar kennen sie außerhalb der Modewelt bisher nur wenige, doch das dürfte sich bald ändern.

Betritt man das Gebäude von Chloé in der Pariser Rue de la Baume, fällt einem sofort eine Bildergalerie im Eingangsbereich ins Auge – mit Portraits all der Kreativen, die bisher für das Modehaus gearbeitet haben. Zwar entdeckt man unter ihnen auch Karl Lagerfeld, aber es sind vor allem Frauen, die stilprägend für Chloé waren: Firmengründerin Gaby Aghion, Martine Sitbon, Stella McCartney oder die allseits gehypte Phoebe Philo. In diese illustre Runde gesellt sich nun die nächste Designhoffnung – die Düsseldorferin Chemena Kamali.

Eine deutsche Spitze für ein Pariser Luxushaus? Das hat es seit Karl Lagerfeld nicht mehr gegeben. Zwar haben sie einige deutsche Designer in der französischen Hauptstadt, doch die Kreativleitung eines berühmten Modehauses hatte lange niemand mehr inne. Volants und Transparenz: Chemena Kamali zeigte Kleider im Seventies-Look
© Scott A Garfitt 

Für ihre Auftaktshow am Donnerstag wählte Kamali, 42, eine ungewöhnliche Kulisse: eine Baustelle. In den Hallen einer ehemaligen Telefonzentrale im 9. Arrondissement schritten ihre Models über einen beigefarbenen Teppich, der eigens für sie ausgelegt war. Viele Gäste der Show, darunter Model Jerry Hall und Schauspielerin Sienna Miller, interpretierten das Setting als Neuanfang. Modisch gesehen war Kamalis Kollektion jedoch von den 70er-Jahren geprägt. Man sah viele transparente Rüschenblusen und Kleider, die mit ausgewachsenen Jeans, Overknee-Stiefeln oder Plateau-Schuhen kombiniert waren. Auch gab es viele voluminöse Cape-Mäntel über femininen Kleidern. Alles war in zartem Puder, Creme, blassem Lila und Brauntönen gehalten, den typischen Chloé-Farben. Viele Models trugen üppigen Schmuck, goldig glänzende Colliers oder Bauchketten mit großem Chloé-Schriftzug. 

Prägten Chloé: Firmengründerin Gaby Aghion und Karl Lagerfeld 

Kamalis Show erinnerte viele Besucher an die Mode, die Karl Lagerfeld in den 70ern prägte, andere erinnerte sie auch an Firmengründerin Gaby Aghion. Die jüdisch-ägyptische Schneiderin hatte die Marke 1952 gegründet – als Gegenentwurf zur damals vorherrschenden Haute-Couture-Mode. Statt damenhafter und sündhaft teurer Kostüme entwarf sie luftige, feminine Kleider, die für viele Frauen praktisch und erschwinglich waren. Aghion, die ihre Marke damals nach ihrer besten Freundin Chloé benannte, gilt als Erfinderin der Pret-à-Porter, der kommerziellen Mode von der Stange. Mutter und Tochter: Auch Model Jerry Hall (links) und Georgia May Jagger waren unter den Gästen
© Scott A Garfitt

Zwar zeigte Kamali – die groß, schlank und mit langen dunklen Haaren selbst aussieht wie eines ihrer Models – keine ungewöhnlich neuen Schnitte, aber sie ließ den jugendlich frischen, femininen Stil der Firmengründerin wieder aufleben. Den hatte ihre Vorgängerin Gabriela Hearst zuletzt vermissen lassen. Deren Entwürfe waren besonders und doch zu exklusiv. Der große Hype um Chloé blieb unter ihr aus.

Das könnte sich nun mit Kamali ändern. Tatsächlich kennt wohl kaum jemand die Marke so gut wie sie. Nach ihrem Modedesignstudium an der Hochschule Trier und am Londoner Central Saint Martins College of Art and Design arbeitete sie bei der deutschen Marke Strenesse in Nördlingen, ehe sie nach Paris zog. Zweimal entwarf Kamali bereits für Chloé, einmal unter Phoebe Philo, das andere Mal unter Claire Wight Keller. Dass sie nun einen dritten Anlauf bei der Pariser Marke unternimmt, erklärt Kamali so: „Mein Herz hat immer für Chloé geschlagen. Das war schon so, als ich vor mehr als 20 Jahren durch die Türen des Hauses getreten bin.“ 

Talent und Chuzpe brachten Chemena Kamali zu Chloé

Hommage: Firmengründerin Gaby Aghion gefielen einst die schwungvollen Buchstaben ihrer Freundin Chloé. Der Name des Modehauses war geboren
© Scott A Garfitt

Tatsächlich war dies ein besonderer Moment, wie sie kürzlich in einem Interview mit der Vogue erzählte. Damals sollte sie im Zuge ihres Studiums ein Praktikum absolvieren. Kamali wusste, wohin sie wollte: zu Chloé. Doch statt eine Bewerbung zu schicken, setzte sie sich einfach mit ihrer Mappe in den Zug von Düsseldorf nach Paris. Ohne Termin und Ansprechpartner, „ich wusste nur, wo der Hauptsitz war und tauchte einfach dort auf“, so Kamali. Ihre Chuzpe und ihr Talent überzeugten, zwei Wochen später hatte sie den Praktikumsplatz.

Dass sie im Herbst 2023 zur Kreativchefin ernannt wurde, ist nicht nur ein logischer Schritt, sondern auch ein wichtiges Signal. Denn noch immer wird die Modewelt von Männern beherrscht. Kamali ist die einzige Frau, die im vergangenen Jahr einen von neun freigewordenen Chefposten bekam.

Vielleicht fiel auch deshalb der Applaus nach ihrer Präsentation so frenetisch aus. Aufgedreht und mit breitem Lachen rannte die Designerin über den Laufsteg. Als einer ihrer im Publikum sitzenden, kleinen Söhne auf sie zulief, hob sie ihn kurz hoch wie eine Trophäe. Gestellt wirkte es nicht, sondern einfach wie pure Erleichterung. Die Gäste freuten sich für die deutsche Designerin – vielleicht aber auch nur darauf, sich schon bald in eine schicke Chloé-Bluse hüllen zu können.

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