Oscar-Nominierter İlker Çatak: „Wie wir über Menschen mit Migrationsgeschichte in diesem Land schreiben, ist verheerend“

İlker Çataks Film „Das Lehrerzimmer“ ist als bester internationaler Film bei den Oscars nominiert. Dennoch ist der Filmemacher wütend über die deutsche Berichterstattung. Zu einseitig, zu nationalistisch. Menschen mit Migrationsgeschichte würden übersehen, lautet sein bitteres Urteil.

Herr Çatak, herzlichen Glückwunsch zur Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester internationaler Film“.

İlker Çatak: Lassen Sie uns bitte zur Sache kommen. 

Sie klingen aufgebracht, so als ob Sie den Medien gerade nicht so wohlgesonnen sind …

Ich bin den Medien nicht wohlgesonnen. Da haben Sie recht. 

Auf Instagram haben Sie mehrere Screenshots über die Oscar-Berichterstattung in Deutschland geteilt. Da geht es etwa um Zeilen wie „Sandra Hüller und Wim Wenders … die beiden Deutschen und die anderen“. Was stößt Ihnen daran so übel auf?

Der nationalistisch-patriotische Ton in den Medien, der zwar die deutsch Deutschen hervorhebt, aber die Menschen mit Migrationsgeschichte außer Acht lässt.  

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Fühlen Sie sich übersehen?

Es geht hier nicht um mich. Es geht um ein größeres Problem, ein strukturelles Problem. Es geht darum, wie Menschen mit Migrationsgeschichte vernachlässigt und ignoriert werden. Es geht darum, wie wir uns als Deutsche im Deutschsein feiern, wie dieses Gedankengut in allen Leitmedien verbreitet wird und dadurch den Nährboden für rechte Tendenzen schafft. Wir müssen uns nicht wundern, dass die AfD so viel Zuspruch erhält. Wir alle tragen dazu bei. Sie tragen dazu bei. Ich trage dazu bei, weil ich viel zu lange geschwiegen habe. Deutschland mit seiner Geschichte muss sich hier einfach mal an die eigene Nase fassen – und auch die Journalistinnen und Journalisten in diesem Land. Wir alle tragen eine Verantwortung und Sie als Leitmedien ganz besonders. 

Sie sind wütend.

Natürlich bin ich wütend. Ich bin wütend über die Headlines, die immer wieder diese Fixierung aufs Deutsche betonen müssen. „Wir sind Weltmeister“, „Wir sind Papst“, „Wir sind Oscar“, „Unter den Opfern auch Deutsche“. Und gleichzeitig bin ich wütend über Ihre Ignoranz in diesen Texten immer nur jene Menschen hervorzuheben, die auch einen typisch deutschen Namen tragen. Mir geht hier nicht um mich, das will ich betonen. Es geht um all jene Menschen mit Migrationsgeschichte, die immer mehr leisten müssen, um Anerkennung in dieser Gesellschaft zu bekommen. Ich habe dieses Thema bisher nie angesprochen, weil ich keine Lust auf eine Agenda hatte, keine Lust auf öffentliche politische Debatten. Aber jetzt trage ich eine gewisse Verantwortung und ich möchte meinen Teil tun, damit es Folgegenerationen einfacher haben.

Sie schreiben auch, dass Sie Sandra Hüller beide Daumen drücken. Sie fragen sich aber bei einer Headline wie „Eine von uns“, ob Migrantenkinder auch eine solche bekommen würden. Vernachlässigen die Medien Menschen mit Migrationsgeschichte?

Die Frage stelle ich Ihnen!

Erfahren Sie von Ihren Oscar-nominierten Kolleginnen und Kollegen Unterstützung?

Gestern rief mich Sandra Hüller an und bekundete ihre Solidarität. Weil auch ihr die einseitige Berichterstattung auffällt. Das war so bedeutend für mich. Ich hatte Tränen in den Augen. Heute schrieb mir Wim Wenders. Auch sehr bestärkend.

In vielen Artikeln wird Ihr Name immer wieder falsch geschrieben, auch beim stern. Katak, Catak, Çatak.

Es ist beschämend. Ich habe mit der DPA gesprochen, in der mein Name in einer Meldung immer wieder falsch geschrieben wird. Dort heißt es Catak statt Çatak. Es muss doch bei allen heutigen technischen Möglichkeiten möglich sein, so etwas anzupassen, wo ist das Problem? 

Verletzt Sie das?

Das ist Nachlässigkeit, Faulheit, Ignoranz – wenn Sie als Meinungsmacher nicht darauf achten, dann wird es die Leserschaft auch nicht. Dann kommen wir nie weiter, als Land, als Gesellschaft. Dann schlagen wir uns auch in 100 Jahren noch mit den selben Debatten rum. Ich habe alles seit letztem August getan, um der Verantwortung als deutscher Beitrag gerecht zu werden, habe Privatleben hintenangestellt und habe mehrfach den amerikanischen Kontinent bereist, um von unserem Film zu erzählen, von unserem deutschen Beitrag, weil ich diese kulturelle Identität bestmöglich verkörpern möchte. Und dann solche Formulierungen wie „Sandra Hüller, Wim Wenders, die zwei Deutschen und die anderen“. Ich kann den Oscar-Film machen, der für Deutschland ins Rennen geht, aber bleibe immer nur der Andere. Seit Tagen schreiben mir Leute immer wieder ähnliche Geschichten, die ihnen passiert sind. 

Was sind das für Geschichten?

Das Othering. Das Anderssein. Dass Sie genau aus diesem Grund ihren Kindern deutsche Namen geben müssen, weil sie Angst haben, dass sie diskriminiert werden. Die Art und Weise, wie wir über Menschen mit Migrationsgeschichte in diesem Land schreiben ist verheerend. Nehmen Sie das Beispiel Mesut Özil: Als er Weltmeister wurde, wurde er auf Händen getragen und mit einem Integrationsbambi bedacht. Als das Team irgendwann nicht mehr siegte, sondern verlor, war er nur noch der Türke, der die Nationalhymne nicht mitsingt. Diese Doppelmoral kotzt mich an. Presseschau Berlinale13.08

Was muss sich ändern? 

Ich wünsche mir von Ihnen als Meinungsmacher*innen, eine gewisse, Sensibilität an den Tag zu legen. In Anbetracht der Menschen, die hier leben, deren Großeltern das Land mit aufgebaut haben.  

Glauben Sie, dass das Übergehen in der Berichterstattung dazu führt, dass migrantische Künstler weniger Chancen auf einen Erfolg haben?

Ja. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Menschen mit Migrationsgeschichte einfach härter arbeiten müssen, um dahin zu kommen, wo andere schon längst sind. Also check your privilege

Sind Sie stolz auf Ihre Oscar-Nominierung?

Ach der Oscar! Bleiben wir doch mal beim Thema: Warum gab es nie eine Geschichte in den Medien, die in etwa so hätte aussehen können: Das Enkelkind eines Bauern, der erst in Deutschland lesen und schreiben lernte, holt uns nun eine Oscar-Nominierung? Das hätte mal eine schöne Geschichte zum Thema Migration sein können. Aber das hat Sie alle nicht interessiert. Sie interessiert der deutsche Erfolg und erst wenn ein Verbrechen oder eine andere Katastrophen passieren, gibt es Headlines zur Migration. 

Was würden Sie sich zukünftig in der Medienberichterstattung wünschen?

Dass Sie Ihre Arbeit als Journalistinnen und Journalisten ernst nehmen und einen gewissen Arbeitsethos hochhalten. Dass Sie unsere Namen korrekt schreiben. Dass sie über ihren weißen Tellerrand hinausschauen. Als ich im vorigen Jahr den Deutschen Filmpreis gewann, las die Laudatorin Iris Berben meinen Namen vor. Sie sagte İlker Katatsch. Nur zum Vergleich: Die Oscar-Academy aus den USA schickte mir neulich eine Email und bat um eine Audiofile mit der korrekten Aussprache meines Namens. Diese Feinfühligkeit, dieses Mitdenken würde ich mir für Deutschland wünschen. 

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