Lieferung von Fernwaffen: Diskussion um den Taurus: Ohne Daten kann die Missile nichts – und hier liegt das Problem für Scholz

Damit der Taurus wirkungsvoll zuschlagen kann, will er mit Daten gefüttert werden, aus denen ein exaktes dreidimensionales Landschaftsmodell erzeugt wird. Diese Daten besitzt Kiew nicht, ganz ohne Deutschland fliegt die Missile nicht. Darum will Scholz diese Beteiligung nicht.

Seit Monaten wird über den deutschen Marschflugkörper Taurus berichtet. Wie schnell er ist, wie weit er reicht, wie wirksam der Tandem-Gefechtskopf gegen gehärtete Ziele wirkt, was für clevere Routen die Missile im Endanflug wählen kann – viel wortkarger wird es bei der Frage, wie die Wunderwaffe überhaupt eingesetzt wird. Einerseits ist das normal. Das Publikum hält sich auch sonst lieber an fassbaren Superlativen fest, die komplizierten Details, mit denen sich Zielradarsysteme voneinander unterscheiden, sind nur für ein Fachpublikum und sehr interessierte Laien verständlich. Dabei macht erst die Elektronik den Taurus so gefährlich.

Taurus: Früher und heute 

Doch die Crux des Taurus ist nicht die Reichweite, es ist der elektronische Hintergrund. Zur Veranschaulichung folgen zwei Beispiele, eines davon Old-School und ein anderes von heute mit leichtem Blick auf die Zukunft. So wurden Luftangriffe früher geplant: In Serien wie „Masters of the Sky“ oder Filmen wie „Luftschlacht um England“ kann man Kursbestimmung und Kommandostrukturen im Zweiten Weltkrieg bewundern. Da werden Kurse mit einigen wenigen Navigationspunkten festgelegt, dazu Höhe und Windrichtung bestimmt und dann machte sich man mit dem Rechenschieber an die Arbeit, damit die Geschwader wussten, zu welchem Zeitpunkt sie welchen Kurs einschlagen mussten. 

Sorm Shadow 16.32

Zur Korrektur flog man auffällige Landmarken an. Auf einem riesigen Tisch wurden dann Miniaturflugzeuge – die eigenen und die des Gegners – hin und her geschoben. In einem vollintegrierten elektronischen Schlachtfeld von heute beziehungsweise von morgen sieht das ganz anders aus. Also: Eine Drohne erfasst ein lohnendes Ziel des Gegners, sie übermittelt Position, Kurs und Art des Ziels an ein übergreifendes System. Dieses entscheidet, dass der Gegner mit einem Marschflugkörper, von einem Zerstörer aus gestartet, ausgeschaltet werden soll. Nun werden Zieldaten und ein optimaler Kurs mit einem Geländeprofil an die Missile übermittelt. Noch im Flug können die Daten optimiert werden. Das Ganze geschieht praktisch in Echtzeit. So wirkungsvoll so ein integriertes System ist, hat es auch einen Nachteil: Die einzelnen Komponenten erreichen ihre Wirksamkeit nur im Zusammenspiel mit den anderen Modulen.

Riesiger Datenmengen begleiten den Einsatz des Taurus

Der Taurus ist keine Zukunftswaffe, aber doch relativ neu. Ohne die Einbettung in eine dahinterliegende Elektronik ist sie nicht zu gebrauchen. Es ist nicht so, dass ein Offizier ein paar Daten von einer Exceltabelle abliest, die in einen PC eintippt und dann mittels Datenstick in die Waffe bringt. Es ist ungleich komplexer. Der Taurus kann extrem tief fliegen, das macht es für eine bodengestützte Abwehr fast unmöglich, sie zu erfassen, wenn der Kurs die Positionen der Verteidiger umgeht. Für Flughöhen von 50 Metern und darunter müssen die Geländedaten extrem genau sein. Jeder höhere Baum und jeder Strommast will berücksichtigt werden. Dazu müssen die aktuellen und sich verändernde Positionen der russischen Luftverteidigung in die Planung einfließen. Aus dieser Menge an Aufklärungs- und Geodaten wird für jeden Einsatz ein exaktes dreidimensionales Geländeprofil von Route und Zielgebiet erstellt. Dieses 3D-Modell ist die Welt, in der sich der Taurus bewegt. Und hier beginnen die Probleme des Kanzlers. Ein realistischer Einsatz des Taurus würde so aussehen: Der exakte Kurs wird von einem tragbaren Terminal auf die Missile übertragen – in der Ukraine von einem Ukrainer. Das dafür notwendige 3D-Modell wird aber von einer Kommandostruktur in Deutschland von Deutschen erstellt.

Gleitbomben 20.15

Allerheiligste der elektronischen Kriegsführung 

Selbst wenn es möglich wäre, diese Taurus-Kommandostruktur in die Ukraine zu verlegen – wo sie von Russen ausgeschaltet werden kann -, wäre damit nichts gewonnen. Sie müsste von dort Zugriff auf die Daten bekommen, die auch die Bundeswehr im Bündnis hat. Das könnte im Prinzip durch Ukrainer geschehen, aber kein Land wird Offizieren von Drittstaaten so tiefe Einblicke in das Allerheiligste der modernen Kriegsführung gewähren. Zumal hier die Gefahr besteht, dass diese Offiziere eventuell in russische Gefangenschaft geraten. Und das Grundproblem würde man nur verlagern: Das System in der Ukraine müsste weiter aus Deutschland mit Daten gefüttert werden.

Südkorea besitzt „Taurus-Komplett“

Ein Einwand gegen die Scholz-Entscheidung ist übrigens schlicht absurd. Häufig wird höhnisch gefragt, wo denn die deutschen Soldaten in Seoul sitzen, denn auch Südkorea verfügt über das Taurus-System. Die einfache Antwort: Südkorea hat nicht einzelne Missiles Second-Hand erworben. Sie haben nicht nur den Flugkörper, sondern auch die elektronische Struktur gekauft, aufgebaut und in ihre Streitkräfte integriert. So eine „Taurus Stand Alone Struktur Kiew“ gibt es aber nicht.

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Storm Shadow – Einsatz von Briten

Im Falle der Briten nimmt man an, dass sie die Programmierung der Storm Shadow durch eigene Leute vornehmen lassen und die Ukrainer quasi nur noch auf den Auslöser drücken. Ob die „eigenen Leute“ nun aktive Soldaten sind, oder Männer, die sich offiziell im „Sabbatical“ befinden oder die vor kurzem die Streitkräfte verlassen haben und nun als „Rentner“ aushelfen. 

Dergleichen stellen USA und Großbritannien exakte Ziel- und Kursdaten zur Verfügung. Das wird mehr oder weniger offen ausgesprochen. USA und Großbritannien gehen diesen Weg, auch wenn sie dosieren, wie und wann sie der Ukraine helfen und wo nicht. Doch beide Länder agieren in einem anderen Rechtsrahmen als Deutschland und haben eine Tradition, in der verdeckte und manchmal auch eher zweifelhafte Militäroperationen zumindest nicht unüblich sind.

Taurus – das letzte Wort läge beim Verfassungsgericht

Über diese Schwelle will Scholz nicht gehen. Der Kanzler wörtlich: „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein.“ Auf Nachfrage ergänzte er: „Auch nicht in Deutschland.“ Vermutlich darf der Kanzler gar nicht über diese Schwelle gehen. Ein solche Beteiligung läuft Gefahr vom Verfassungsgericht gestoppt zu werden. Das wäre der politische Super-Gau für die Ukraine-Hilfe.

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