Dating-Apps: 500 Swipes am Tag: Wie die Sucht nach Tinder-Matches einen Mann in Therapie brachte

Seit seinem 18. Lebensjahr matcht Ed Turner in Dating-Apps wie Tinder eine Frau nach der anderen. Die Jagd nach dem perfekten Match und dem Dopamin-Schub hätte ihn fast zerstört. Ganz aufhören kann er trotzdem nicht.

Es ging schon im Bett los. Noch im Halbschlaf begann Ed Turner zur Hochzeit seiner Sucht in Dating-Apps nach rechts zu swipen. Immer wieder. Ganz egal, wie die Frauen aussahen, die ihm Tinder, Bumble und Co. vorschlugen. Dann begann das Warten. Auf das Match. Auf die daraus folgenden Chats. Auf den Rausch der Aufmerksamkeit. Online-Dating beherrschte sein Leben. Selbst, als er dann tatsächlich eine Beziehung fand.

„Diese Apps haben meine gesamte Stimmung und Persönlichkeit beeinflusst“, berichtet der heute 27-jährige Brite gegenüber „I News“. „Wenn eine Person nicht antwortete oder gar nicht erst schrieb, zerstörte mich das.“ Der ganze Tag habe irgendwann nur noch daraus bestanden, Frauen bei gleich mehreren Dating-Apps parallel zu matchen und mit ihnen zu schreiben. Selbst bei der Arbeit habe er die ganze Zeit darüber nachgedacht.

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Tinder gleicht Glückspiel

Dass die Mechaniken hinter Dating-Apps Suchtverhalten begünstigen können, ist bekannt. „Ein bisschen ist Tinder ja wie einer dieser Glücksspielautomaten: Beim nächsten Mal könnte der ganz große Gewinn dabei sein“, warnt selbst die Krankenkasse DAK bereits auf einer Informationsseite. Schon beim schnellen Wischen schüttet der Körper das Glückshormon Dopamin aus, bei einem Match steigt das Glücksgefühl noch weiter. Variable Belohnungen nennt man das zugrunde liegende Prinzip in der Wissenschaft. Und es wird tatsächlich auch in Spielautomaten genutzt.

Das Auf und Ab erfuhr Turner am eigenen Leib. „Ich war in einem totalen High, wenn ich viele Matches von Leuten bekam, die ich auch attraktiv fand“, erinnert er sich. „Aber dann kam immer der Absturz. Das lässt sich einfach nicht aufrechterhalten.“

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Daten um des Datings Willen

Um echte Partnersuche ging es irgendwann ohnehin nicht mehr. Turner wischte bei jeder Frau nach rechts – ganz egal, ob er sie wirklich attraktiv fand. Erst wenn es zu einem Match kam, dachte er darüber überhaupt nach. Bis zu 500 Swipes machte Turner zum Höhepunkt seiner Sucht – pro Tag. Er chattete gleichzeitig mit zehn Frauen, traf etwa einmal die Woche eine. „Ich wusste gar nicht mehr, was ich brauche. Ich kam an den Punkt, an dem ich Frauen nur noch nach Dates fragte, weil die das Gespräch sonst abgebrochen hätten“, weiß er heute. Um die Frauen oder gar eine Beziehung ging es nicht mehr, nur um die Bestätigung. „Ich wusste: Du musst sie nach einem Date fragen. Dabei hatte ich an diesem Punkt meistens schon fast wieder das Interesse verloren.“ 

Selbst als er 2021 seine bisher einzige längere Freundin hatte, konnte er während der einjährigen Beziehung nicht aufhören. Zwar habe er zu Anfang die Dating-Apps nicht mehr genutzt, irgendwann installierte er sie aber dann doch wieder. Weil er weiter täglich daran dachte. „Ich fühlte mich wie ein schlechter Partner“, gesteht er. „Auch wenn ich mit den Frauen nie sprach, während ich in dieser Beziehung war, hatte es einen Effekt. Das High fehlte mir.“ Erst sein Therapeut habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die Apps selbst Teil des Problems seien und seine Depression verschärften.

Klage gegen Tinder und Co.

Turner ist damit nicht alleine. In den USA wurde zum Valentinstag erstmals eine Klage gegen die Geschäftspraktiken der Dating-App-Betreiber eingereicht. Die Apps seien nicht zufällig suchtgefährlich, argumentieren die Kläger. Und die Betreiber wie der Tinder-Mutterkonzern Match wüssten das genau. „Match nutzt gezielt Funktionen, um die Dopaminzufuhr über Spielmechaniken zu beeinflußen. Nutzer sollen dadurch wie Glückspieler in psychologischen Belohnungschleifen gehalten werden, um den Profit durch Abonnements zu maximieren“, heißt es in der Klageschrift. Damit hätten die Datingportale gegen Verbraucherschutzgesetze verstoßen, argumentieren die Kläger.

Auch Turner hatte zeitweise gleich mehrere Abos für Dating-Apps laufen, um unbefristet swipen und chatten zu können. Mehr als 400 Euro hatte er in der Hochphase innerhalb von 18 Monaten in Dienste wie Tinder oder Bumble gesteckt. Selbst nach seiner Therapie habe er wieder Abos abgeschloßen, zuletzt 70 Euro für eine dreimonatiges Bumble-Abo gezahlt, gestand er „I News“. Dann ließ er es aber doch auslaufen. 

Dass er nicht ganz auf die Apps verzichten kann und will, liegt auch daran, dass er sich nun eben doch nach einer Partnerschaft sehnt. Mehreren seiner Freunde sei es gelungen, über die Apps tatsächlich stabile Beziehungen aufzubauen. Um das zu erreichen, versucht Turner sich nun in Moderation: Er wischt nur noch nach rechts, wenn ihm die Frauen wirklich gefallen. Und datet nur noch alle paar Monate.

Quellen: I News, DAK, Klageschrift, NPR

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