Tiktok: Victoria Reichelt, sind junge Menschen anfälliger für Populismus?

Sie ist für viele das junge Gesicht von ARD und ZDF. Zehntausende schauen ihre Videos bei Tiktok, in denen sie Politik erklärt. Ein Gespräch über Debattenkultur auf Tiktok und den umstrittenen Podcast „Hoss und Hopf“.

Frau Reichelt, Sie sprechen in Ihren Videos für „ZDF heute live“ oder das Funk-Format „die da oben“ auch über Rechtsextremismus und die AfD. Worauf achten Sie bei diesen Themen?
Das sind beides Formate öffentlich-rechtlicher Sender, da stehen jeweils Redaktionen hinter, die journalistisch arbeiten. Aber auch auf meinem privaten Kanal nenne ich früh in den Videos Zahlen, Belege und Quellen. Damit die Zuschauer erkennen: Das hier ist ein faktenbasiertes Video, es geht nicht primär um meine eigene Meinung. 

Oftmals berichten öffentliche Personen von Hasskommentaren, wenn Sie in sozialen Medien über rechtsextreme Strukturen oder Themen sprechen. Erleben Sie das auch?
Das kommt auf die Plattform an. Bei Tiktok bin ich eine Zeit lang ausgestiegen, weil mir das Klima zu feindlich, zu aggressiv geworden ist. Momentan habe ich aber das Gefühl, man muss diesem Hass etwas entgegensetzen – mit Informationen, die ausgewogen sind.STERN PAID Alice Weidel AfD Interview 09.17

Was meinen Sie damit, das Klima sei zu feindlich geworden?
Ein Beispiel: In einem aktuellen Video auf meinen privaten Social-Kanälen spreche ich über die Umfragewerte der AfD. Die Reaktionen auf Instagram sind bei solchen Videos gemischt. Manche bedanken sich für die Informationen, andere behaupten einfach, die „Correctiv“-Recherche über das Treffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremen sei gelogen und staatsfinanziert. Das stimmt natürlich nicht.

Und auf Tiktok?
Auf Tiktok ist mir bei dem gleichen Video eine Flut an negativen bis rechtspopulistischen Kommentaren entgegengeschlagen. Diese Leute setzen sich aber gar nicht mit dem Inhalt auseinander, sondern schreiben pauschal Pro-AfD-Kommentare, mit blauen Herzen oder rot-weiß-schwarzen Punkten, die für die Reichsflagge stehen. Sicher wird diese Flut an Kommentaren auch durch sogenannte Social Bots beeinflusst, aber für manche dort bin ich als öffentlich-rechtliches Gesicht zum Feindbild geworden. Das merke ich auch an den Zuschriften. Das Absurde ist, je mehr Kommentare ein Video erhält, desto stärker wird es gepusht. Das heißt, wenn in 500 oder mehr Kommentaren steht, was das für ein schlimmes Video sei, wird es noch weiter verbreitet.

Welche politischen Themen bleiben bei jungen Menschen hängen und warum?
Was für junge Menschen auf Social Media funktioniert, funktioniert auch bei Älteren: einfache Antworten auf komplexe Fragen. Noch vor wenigen Jahren schien zumindest in Deutschland alles in Ordnung zu sein. Und plötzlich scheint alles auseinander zu fallen. Sich mit komplexen Problemen wie Kriegen oder der Klimakrise auseinanderzusetzen, ist anstrengend und macht Menschen Angst. Wenn dann jemand auf Tiktok kommt und einen Sündenbock dafür liefert, verfängt das. Insbesondere bei jungen Menschen zwischen 15 und 20 Jahren, die sich gerade erst für Politik interessieren. Aber nicht nur bei denen.

Wie sollten Medienhäuser darauf reagieren?
Das ist das Problem, an dem sich alle Redaktionen gerade aufreiben. Extreme und polarisierende Inhalte klicken gut, sind aber das Gegenteil von dem, was Qualitätsjournalismus will: vielfältige Meinungen abbilden, verschiedene Perspektiven beleuchten, ausgewogen sein. Deshalb müssen wir die Medienkompetenz in allen Altersstufen verbessern.

Der Podcast „Hoss & Hopf“ ist deshalb in den Schlagzeilen. Eine Autorin des stern warf den Podcastern vor, ihr Kind mit radikalem Gedankengut zu füttern. Viele besorgte Eltern meldeten sich anschließend bei uns und schilderten ähnliche Erlebnisse. Warum funktioniert ein solcher Podcast so gut?
Weil junge Menschen eine soziale Beziehung zu den Machern aufbauen. Im Fall von „Hoss & Hopf“ begeistern sich Leute wohl für die Finanztipps und Anlagestrategien der beiden. Darin haben sie scheinbar Expertise – das schafft Vertrauen. Wenn solche Personen sich dann zu politischen Themen äußern, ist es ein kleiner Schritt der Follower zu sagen: „Der hat Ahnung, das wird schon stimmen.“ Fantum schlägt Skepsis. Auch das muss ein Teil von Medienbildung werden: das eigene Vertrauen zu öffentlichen Personen zu hinterfragen.

Wie kann das gelingen?
Indem Follower zum Beispiel nicht nur diesen einen Podcast hören, sondern auch Artikel von anderen Medien dazu lesen und sich eine eigene Meinung bilden. Aber das passiert gerade bei einer jüngeren Zielgruppe kaum noch. Deshalb übernehmen viele Menschen blind die Meinungen, die da rausgehauen werden. Wenn dann noch Verschwörungsmythen verbreitet oder Themen verkürzt dargestellt werden, wie bei „Hoss & Hopf“, wird es problematisch.Mein Sohn würde die AfD wählen 11.24

Sind junge Menschen anfälliger für Populismus? 
Nicht nur junge Leute. Aber aus meiner Sicht empfinden gerade sie die aktuelle Politik als nicht sehr vorausschauend. Viele Probleme die uns gerade bewusst werden, werden die Lebenszeit junger Menschen entscheidend beeinflussen. Stichwort Klimakrise. Gleichzeitig haben die Parteien in Deutschland eher ältere Menschen im Blick, weil junge Leute die Minderheit sind. Das erklärt, wieso sich junge Menschen von der Politik abwenden. Weil sie das Gefühl haben: Wir werden nicht gehört, aber müssen den ganzen Mist später ausbaden.

Lassen sich diese Leute zurückholen?
Wir können es uns als Demokratie gar nicht leisten, sie nicht zurückzuholen. Damit meine ich gar nicht die Menschen, die ganz bewusst Desinformation streuen. Aber die Hörer und Zuschauer, die sich zu diesen Angeboten hingezogen fühlen. Es ist unsere Aufgabe, um diese Leute zu kämpfen und sie wieder in den demokratischen Diskurs zu holen.

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