Wirtschaftsweise: „Auch wenn die Zeiten stürmischer werden“: Grimm will weitermachen

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm verteidigt ihre Pläne, in den Aufsichtsrat von Siemens Energy einzurücken. Einen Rücktritt lehnt sie im Interview weiter kategorisch ab. Sie wolle weitermachen

Frau Grimm, die Diskussion um Ihre mögliche Doppelrolle als Wirtschaftsweise und Aufsichtsrätin bei Siemens Energy wird hart geführt. Halten Sie weiter an der Entscheidung fest, beide Rollen ausfüllen zu wollen?
Ja. Ich habe prüfen lassen, ob das Aufsichtsratsmandat kompatibel ist mit meiner Aufgabe im Sachverständigenrat. Zusätzlich gab es eine Compliance-Prüfung bei der Siemens Energy. Beide sind zum gleichen Ergebnis gekommen. Und zwar, dass es nichts zu beanstanden gibt. Es gibt mehrere Präzedenzfälle, in denen Mitglieder des Sachverständigenrats Aufsichtsratsmandate hatten. Im Sachverständigenrat ist man damit immer sehr kooperativ, kollegial und sehr gewissenhaft umgegangen.

Tatsächlich unterscheidet sich Ihr Fall aber von den drei Präzedenzfällen. Sie sind Energieökonomin und wären damit die erste, die ein Mandat im eigenen Forschungsgebiet hätte. Können Sie die Kritik verstehen?
Ich bin als unabhängige Wissenschaftlerin Mitglied des Sachverständigenrats und werde mein Mandat auf Basis meiner wissenschaftlichen Expertise und vor allem auf Basis von nachvollziehbaren Argumenten wahrnehmen. Es gibt übrigens verschiedenste Funktionen – auch in der Wirtschaft – in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland aktiv sind, auch nahe an ihrem Fachgebiet. Das ist auch gut so, weil man so aus dem Glaskasten herauskommt und die Einschätzung von Sachverhalten geschärft wird. Wichtig ist dabei die Transparenz. Kann der Eindruck entstehen, dass ich mich für Siemens Energy äußere? Nein. Es ist gar nicht vorgesehen, dass sich einfache Mitglieder des Aufsichtsrats für das Unternehmen äußern.

CAPITAL Porträt Grimm 21.00

Können Sie denn noch werturteilsfrei energiepolitische Fragen beantworten, die unweigerlich auf den Sachverständigenrat zukommen werden – oder müssen Sie bei diesen Fragen aussteigen?
Auf Basis meiner wissenschaftlichen Expertise und meiner Arbeiten zu Energiesystemen und -märkten kann ich natürlich zur Debatte beitragen. Natürlich würde ich mich in dieser Doppelfunktion nicht zu Angelegenheiten öffentlich positionieren, die das Unternehmen direkt betreffen. Der Sachverständigenrat ist in diese Entscheidungen aber auch nicht eingebunden.

Also haben Sie die Diskussion nicht an die Öffentlichkeit gebracht?
Warum sollte ich ein Interesse daran haben? Ich habe schon im letzten Jahr den Kolleginnen und Kollegen den Austausch über den Umgang mit der Situation angeboten. Einen Umgang mit der Frage müssen wir intern klären – und zwar im Einklang mit den für unsere Arbeit geltenden Rahmenbedingungen.Die Boss mit Veronika Grimm 17.35

Wie soll es weitergehen – können Sie sich eine Zusammenarbeit in der aktuellen Konstellation weiter vorstellen?
Ja, natürlich. Die Mitglieder des Sachverständigenrats sind jeweils für fünf Jahre berufen. Und Achim Truger, der von den Gewerkschaften nominiert wurde, nun sogar für eine zweite Amtsperiode bis 2029, wozu ich ihm herzlich gratuliere. Der gesetzliche Auftrag ist klar: die Politik und auch die Öffentlichkeit zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen zu informieren. Es ist aus gutem Grund nicht vorgesehen, dass die Politik Mitglieder des Sachverständigenrats während ihrer Amtszeit abberuft: damit dieses Gremium unabhängig beraten kann und eben nicht unter dem Druck steht, nur eine bestimmte, gewünschte Meinung zum Ausdruck zu bringen. Auch wenn die Zeiten aktuell stürmischer werden, werde ich mein Mandat weiterhin gewissenhaft wahrnehmen.

Sie machen also weiter – auch wenn Ihnen die Kollegen den Rücktritt nahegelegt haben?
Ja.

Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin „Capital“, das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist. 

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