Transparenzgesetz für Krankenhäuser: Wenn der Gesundheitsminister mit deiner Masterarbeit wedelt: „Bin fast vom Stuhl gefallen“

Die Blockade ist gelöst, das Krankenhaus-Transparenzgesetz soll kommen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach begründet es mit den Erkenntnissen einer Masterarbeit – der 29-jährige Verfasser kann sein Glück kaum fassen. 

Buenos Aires, sonnige 33 Grad, leichter Wind. Nils Kollmann lächelt in die Kamera, über ihm leuchtet der Himmel blau. „Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt der 29-Jährige. Damit meint er nicht etwa die halbjährige Auszeit, die er sich gerade in Argentinien gönnt. Er spricht von seiner Masterarbeit.

Eigentlich hat Kollmann die Arbeit schon vor drei Jahren eingereicht, zum Abschluss seines Studiums der Gesundheitstechnik. Damals konnte er noch nicht wissen, welche Reformen ein späterer Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD angehen wird. Und dass seine Masterarbeit in der Argumentation des Ministers eine wichtige Rolle einnehmen wird.

Doch genau so sollte es kommen. Im Dezember 2022 kündigt Lauterbach eine „Revolution“ für die Krankenhäuser an. Ihre Zahl soll reduziert, sie selbst anders finanziert werden, um so auch die QuaIität der Eingriffe zu verbessern. In einem ersten Schritt soll ein Online-Portal entstehen. Hier können sich Patientinnen und Patienten darüber informieren, welche Leistungen welche Krankenhäuser in welcher Qualität erbringen. Das ist, grob vereinfacht, der Inhalt des sogenannten Transparenzgesetzes, welches der eigentlichen Krankenhaus-Reform vorgeschaltet ist.

Lauterbach: „Patienten erfahren, wo sie am besten behandelt werden“

Schon beim Transparenzgesetz gerät die Reform ins Stocken. Monatelang blockieren es die Bundesländer, beklagen den Eingriff in ihre Planungshoheit. Für Lauterbach beginnen Wochen des Ringens, der mühevollen Überzeugungsarbeit. Und hier kommt Kollmanns Untersuchung ins Spiel. Denn deren Ergebnisse geben dem Minister Schützenhilfe: Für Lauterbach zeigen sie auf, warum sein Transparenzgesetz so wichtig ist. Im Januar lädt der Minister sogar zu einer Pressekonferenz, auf der Kollmanns Studiengangsleiter an der Technischen Universität Berlin, Reinhard Busse, diese Ergebnisse präsentiert.

Was Kollmann herausgefunden hat: Dass die verfügbaren Krankenhausqualitätsdaten (die notwendigerweise aus der Vergangenheit stammen und aktuell mit etwa zwei Jahren Verzug veröffentlicht werden) einen sinnvollen Einblick geben, wie gut eine Klinik heute einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder  Oberschenkelhalsbruch behandeln kann. Und das ist genau die Idee von Lauterbachs Transparenzregister, das für alle zugänglich werden soll.

„So könnten Hunderte Menschenleben gerettet werden“

Für die Menschen, die sich dort darüber informieren können, soll das eine deutliche Verbesserung bringen. Denn auch das lässt sich aus Kollmanns Untersuchung ableiten: „Werden nur fünf Prozent von Schlaganfall-Patienten in einer der dafür besser gewappneten Kliniken behandelt statt in einer schlechteren, könnten in Deutschland Hunderte Menschenleben pro Jahr gerettet werden“, so Kollmann.

Artikel Top 100 2023

Eine Masterarbeit, die relevant wird im politischen Berlin – wie viele können das schon von sich behaupten? Kollmann jedenfalls ahnt nichts davon, als er 2021 monatelang in seiner Freizeit daran arbeitet, seine auf deutsch verfasste 120-Seiten-Masterarbeit in eine gekürzte englische Fassung zu bringen, um sie bei einer Fachpublikation einzureichen. Im vergangenen November hat es geklappt – PLOS veröffentlicht seine „observational study of German hospital data“.

Mit dieser Veröffentlichung geht es los: Sein Studiengangsleiter, der in Lauterbachs Expertenrat sitzt, habe den Minister auf die Studie aufmerksam gemacht, erzählt Kollmann. Der Minister teilt die Studie dann im sozialen Netzwerk „X“ (ehemals „Twitter“). 

„Als ich den Tweet gesehen habe, bin ich fast vom Stuhl gefallen“, sagt der 29-Jährige. Besser gesagt vom Berliner S-Bahn-Sitz, denn er war gerade auf dem Heimweg. „Meine Masterarbeit – vom Gesundheitsminister geteilt! Das hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen.“ Bei Lauterbachs Pressekonferenz sitzt er in einer der hinteren Reihen und lauscht dem Minister – er habe das „alles eigentlich nicht fassen können“.

21: Einigung zu Transparenzgesetz für Kliniken – 12cbcc1d00a50f88

Lauterbach hat sie womöglich geholfen. Am Mittwochabend nun konnte der sogenannte Vermittlungsausschuss die Blockade lösen. Das Gesetz kann kommen. „Patientinnen und Patienten erfahren endlich, wo sie am besten behandelt werden“, kommentiert Lauterbach das Ergebnis. Am 22. März müssen die Länder noch im Bundesrat darüber abstimmen. Der Minister zeigt sich zuversichtlich.

Verwandte Beiträge