Putin-Kritiker: Wo ist Nawalnys Leichnam? Seine Mutter kämpft darum, ihren Sohn zu beerdigen

Seit Tagen sucht Ljudmila Nawalnaja, die Mutter des toten Kremlkritikers Alexej Nawalny, vergeblich nach ihrem Sohn. Den Antrag, ihr den Leichnam zu übergeben, will ein Gericht erst im März verhandeln. Das Verfahren könnte sich über Monate ziehen.

Seit mehr als fünf Tagen ist der russische Oppositionelle Alexei Nawalny tot. Doch von seiner Leiche fehlt bislang jede Spur. Mit einer Klage will die Mutter des in Haft gestorbenen Kremlkritikers erreichen, dass sein Körper übergeben wird – doch das zuständige Gericht in der sibirischen Stadt Salechard will sich erst in rund eineinhalb Wochen damit befassen. 

Die Verhandlung über den Antrag von Ljudmila Nawalnaja sei für den 4. März angesetzt worden, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass am Mittwoch. Bislang sei der Leichnam nicht freigegeben worden und habe nicht unabhängig untersucht werden können.

Tass berichtete weiter, dem Gericht liege eine Klage wegen „illegaler Handlungen“ vor. Die Anhörung werde unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Nawalnys Team zufolge hatten die Behörden den Angehörigen zuvor mitgeteilt, dass der Leichnam wegen „chemischer Untersuchungen“ noch zwei Wochen unter Verschluss bleibe.STERN PAID 09_24 Titel Nawalny12:30

Nawalny soll am „plötzlichen Todessyndrom“ gestorben sein

Trotz internationaler Proteste verweigern die Behörden den Angehörigen jeglichen Zugang zu Nawalnys Leiche. Sein Team, das dem russischen Machtapparat Mord vorwirft, sieht darin einen Vertuschungsversuch. Russland hatte den Tod des inhaftierten Oppositionspolitikers am Freitag bekannt gegeben.

Nach Angaben von Nawalnys Sprecherin Kira Jarmisch teilten die Ermittlungsbehörden dem Anwalt des Oppositionspolitikers am Samstag mit, dass die Todesursache des 47-Jährigen noch unklar sei und der Körper weiter untersucht werden müsse. 

Allerdings gibt es auch andere Informationen: Nach Angaben von Nawalnys Sprecherin hatten die Behörden vor der offiziellen Todesnachricht seiner Mutter mitgeteilt, die Todesursache sei ein „plötzliches Todessyndrom“. Dies berichtet auch die „Moscow Times“ unter Berufung auf einen Mitstreiter Nawalnys. Unter plötzlichem Tod oder Sekundentod versteht man Erkrankungen, die zu einem unerwarteten Herzstillstand mit Todesfolge führen. Der staatliche Sender RT zitierte eine namentlich nicht genannte Quelle mit den Worten, Nawalny sei an einem Blutgerinnsel gestorben.

Die in Russland von den Behörden geschlossene und im Ausland wiedereröffnete Zeitung „Nowaja Gaseta“ berichtete am Wochenende unter Berufung auf eigene Quellen, Nawalnys Leiche werde im Bezirkskrankenhaus der Stadt Salechard aufbewahrt. Eine Obduktion habe zumindest bis Samstag noch nicht stattgefunden. Zudem soll der Körper des Toten blaue Flecken aufweisen.Putins Feinde9:16

Unklar, wo der Leichnam ist

Die kremlkritische „Nowaja Gaseta“ zitiert einen anonymen Mitarbeiter des Rettungsdienstes. Die blauen Flecken deuteten darauf hin, dass Nawalny vor seinem Tod einen Krampfanfall erlitten habe und von Justizangestellten festgehalten worden sei. Ein Bluterguss auf der Brust sei zudem ein Indiz für tatsächliche Wiederbelebungsversuche. Aus dem Zeitungsbericht geht allerdings hervor, dass der Informant selbst Nawalny nach dessen Tod nicht mehr gesehen hat, sondern nur von Kollegen über dessen Zustand informiert wurde.

Auch gibt es Zweifel, ob Nawalny tatsächlich im Krankenhaus liegt. Am Samstag berichtete Sprecherin Jarmisch auf der Plattform X (früher Twitter), dass Nawalnys Mutter und sein Anwalt im Leichenschauhaus der Stadt keine Spur von der Leiche gefunden hätten. Das Leichenschauhaus sei geschlossen, und der Anwalt habe unter der am Eingang angebrachten Kontaktnummer keine zufriedenstellende Antwort erhalten. „Ihm wurde gesagt, dass er bereits der siebte Anrufer an diesem Tag sei“, schrieb Jarmisch. „Und der Leichnam Alexejs befinde sich nicht bei ihnen im Leichenschauhaus.“

Auch das unabhängige russische Medium „Astra“ berichtete am Samstag auf Telegram, das gerichtsmedizinische Untersuchungsamt in Salechard habe nicht den Körper von Nawalny. Das Leichenschauhaus habe „Astra“ mitgeteilt, dass es keine Leichen aus dem Straflager annehme.

Mutter von Alexej Nawalny appelliert an Putin

Unmittelbar nach Bekanntwerden von Nawalnys Tod reiste Ljudmila Nawalnaja in die Strafkolonie IK-3 in Charp am Polarkreis, wo ihr Sohn inhaftiert war. Seit ihrer Ankunft am Samstag wird ihr jedoch der Zugang zu seinem Leichnam verwehrt. Nawalnaja hatte am Dienstag in einem Video den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich gebeten, ihren Sohn so schnell wie möglich sehen und beerdigen zu dürfen.

Video Nawalnaja

„Ich wende mich an Sie, Wladimir Putin. Die Entscheidung der Frage hängt nur von Ihnen ab. Lassen Sie mich doch endlich meinen Sohn sehen“, sagte Ljudmila Nawalnaja. Sie erhalte bisher weder den Leichnam noch werde ihr gesagt, wo der Körper aufbewahrt werde. Nach der kurzen Ansprache der von Trauer sichtlich gezeichneten Nawalnaja war in dem Video hinter dem Stacheldraht die orthodoxe Kirche auf dem Gelände des Straflagers zu sehen. Nach russisch-orthodoxem Brauch werden Verstorbene eigentlich spätestens am dritten Tag nach ihrem Ableben beerdigt.

Die Lösung der Angelegenheit liege allein beim Kreml-Chef, sagte Nawalnaja in dem von Nawalnys Organisation veröffentlichten Video. „Ich verlange, dass Alexejs Leiche sofort freigegeben wird, damit ich ihn auf würdige Weise beerdigen kann“, sagte sie. Dem Aufruf schloss sich auch Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja an. 

Kremlchef Putin reagierte nicht auf den Appell. Auch zum Tod seines wichtigsten politischen Gegners hat sich Putin bislang nicht geäußert.

70.000 Russen unterzeichnen Aufruf zur Herausgabe des Leichnams

Die Ermittler hätten die Möglichkeit, den Toten über lange Zeit vor der Öffentlichkeit zu verstecken, befürchtet der Anwalt Jewgeni Smirnow. So könne nach der ersten Überprüfung ein Strafverfahren eingeleitet werden, um weitere Manipulationen vorzunehmen. „Einen juristischen Grund zu finden, um den Leichnam Monate oder sogar länger einzubehalten, ist sehr einfach“, sagte er.

Zahlreiche westliche Politiker machten die russische Führung und Putin selbst für den Tod seines prominenten Widersachers verantwortlich. In Russland haben bereits mehr als 70.000 Menschen einen Aufruf unterzeichnet, der die Herausgabe des Leichnams an die Angehörigen fordert. 

Die russische Strafvollzugsbehörde hatte erklärt, Nawalny habe sich am Freitag nach einem Freigang in seiner abgelegenen Strafkolonie in der Arktis „unwohl gefühlt“ und sei zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche der Vollzugsbeamten seien vergeblich gewesen, hieß es. Die Gründe für den Tod des 47-Jährigen würden untersucht, hieß es.

Nawalny war zum Zeitpunkt seines Todes erst 47 Jahre alt, aber durch einen Giftanschlag im Jahr 2020 und wiederholte Einzelhaft im Lager geschwächt.

Weitere Quellen: „Astra“, „Moscow Times“

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