Pop-Duo: Wie ein Grammy das Karriereende von Milli Vanilli einläutete

Sie waren das erfolgreichste Pop-Duo ihrer Zeit: Im Februar 1990 wurden Milli Vanilli mit dem begehrtesten Musikpreis der Welt ausgezeichnet: Dem Grammy-Award. Doch der Höhepunkt ihrer bis dahin noch jungen Karriere läutete auch gleichzeitig ihr Ende ein.  

Für den 23-jährigen Robert „Rob“ Pilatus und den 21-jährigen Fabrice „Fab“ Morvan aus München wird ein Traum wahr, als sie im Januar 1988 ihren Vertrag mit dem Produzenten Frank Farian (†2024) unterschreiben. Er hat einen großen Namen in der Musikindustrie, ein eigenes Musiklabel und schon unzählige Erfolge gefeiert, unter anderem mit Boney M. Jetzt will er mit den beiden jungen Tänzern ein ähnliches Projekt starten.

In seinem Tonstudio in Rosbach bei Frankfurt am Main liegt bereits das nächsten Erfolgsstück in der Schublade: „Girl You Know It’s True“, eine Coverversion, damals eingesungen von Charles Shaw und Brad Howell. Die zwei sollen dazu nur die Lippen bewegen. Sie willigen ein – weil der Vertrag ihnen keine andere Wahl lässt, wie sie später erklären. Und ihr größter Wunsch ist es, berühmt zu werden. 

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Das Lied schlägt ein, wie eine Bombe. Der Song wird in 23 Ländern ein Top-5-Hit. Ende der 1980er verkauft es sich weltweit mehr als 30 Millionen Mal. Es dauert nicht lange und die Erfolgswelle schwappt auch nach Übersee. In den USA wird ihr Debüt-Album 1989 sechs Mal mit Platin ausgezeichnet, belegt sieben Wochen lang Platz eins in den Charts. Es folgt eine monatelange Club MTV Live-Tour durch die USA. 107 Städte in acht Monaten. Auch wenn es am 21. Juli 1989 bei einem Auftritt in Bristol, Connecticut, zu einer technischen Panne kommt und das Playback hängt, fliegt der Schwindel nicht auf. Die Welt liegt dem stets top gestyltem, charismatischen Duo mit ihren auffälligen Rastazöpfen und ihren coolen Dance-Moves förmlich zu Füßen.

Manager schlägt Milli Vanilli für die Grammys vor

In den Vereinigten Staaten kümmert sich Todd Headlee um das Pop-Duo, Assistenzmanager von Sandy Gallin, der große Stars wie Michael Jackson oder Dolly Parton unter Vertrag hat. Dass seine Schützlinge zwar Millionen an Alben verkauft, eine erfolgreiche Tour absolviert, aber bis dahin keine einzige Note selbst gesungen haben, weiß er nicht. „Die meisten kannten das Geheimnis, aber ich nicht. Mir hatte keiner was gesagt“, erzählt er später. „Also dachte ich, sie singen selbst“. Er ist es auch, der dafür sorgt, dass Milli Vanilli für den begehrteste Musikpreis der Welt nominiert werden. 

„Wir waren in einem Meeting und ich sagte: ‚Ich denke Milli Vanilli könnte für einen Grammy nominiert werden‘. Alle lachten und sagten, dass sie nie für einen Grammy nominiert würden“. Er ruft bei der National Academy of Recording Arts and Sciences an und spricht dort mit ihrem Präsidenten Mike Green, der auch Leiter der Grammys ist. „Ich wusste damals nicht, wie es zu einer Nominierung kommt und er sagte, sie schreiben einfach auf ihr Firmen-Briefpapier den Satz: ‚Bitte ziehen sie Milli Vanilli für einen Grammy in Betracht'“. Er faxt das Schreiben an die Academy. „Als Milli Vanilli dann unter den Nominierungen waren, war die Kacke am Dampfen.“

Der Aufstieg und Fall von Milli Vanilli

Auch heute erinnert sich Morvan noch gut an den Abend des 21. Februar 1990. „Wir stiegen aus dem Wagen und gingen rein. An dem Tag war der Druck riesig. Da waren all diese Stars. Schließlich mussten wir auf die Bühne“. Kalter Schweiß bricht bei ihm aus. „Bei den Grammy vor all diesen Künstlern aufzutreten, das war nervenaufreibend. Diese Leute hatten jahrelang auf diesen Punkt hingearbeitet und wir wurden hierher katapultiert. Es war krass, als sie die Namen der Nominierten aufzählten“. Neben Milli Vanilli sind an jenem Abend auch Neneh Cherry, Indigo Girls, Soul II Soul und Tone Loc für einen Grammy in der Kategorie „Beste Nachwuchskünstler“ nominiert. „Ich erinnere mich, wie ich da sitze und denke, die gesamte Industrie wusste, dass sie nicht selbst sangen“, so Ken Levy, Vizepräsident vom Musiklabel Arista.

Milli Vanilli steigt der Ruhm und die Lüge zu Kopf

Milli Vanilli holen den Preis in ihrer Kategorie. In seiner Dankesrede sagt Pilatus: „Wir möchten sagen, es gibt viele Künstler hier im Saal und viele draußen in der Welt, die dasselbe erreichen können, was wir heute erreicht haben. Der Preis geht an alle Künstler in der Welt. Vielen Dank.“ Nach der Show bekommt Todd Headlee einen Anruf von einem aufgebrachten Sandy Gallin: „Sieh, was du getan hast“, rief er. Headlee ist irritiert: „Ich dachte: Warum will keiner, dass sie einen Grammy gewinnen?“ Der Grammy befördert Milli Vanilli nun endgültig auf den Olymp der Musikindustrie. Sie stehen jetzt aber auch mehr denn je im Fokus der Öffentlichkeit. Es ist ein entscheidender Wendepunkt in ihrer Karriere, die ab jetzt nicht mehr allzu lange dauern sollte.

Frank Farian13.00

„Nachdem sie den Grammy gewonnen hatten, hoben sie komplett ab“, so Headlee. „Je berühmter sie wurden, desto mehr Starallüren bekamen sie, verlangten unter anderem Sushi in der Garderobe.“ In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Time“ nur wenige Wochen nach der Verleihung behauptet Pilatus sogar, sie seien musikalisch talentierter als Paul McCartney und Mick Jagger. „Ich bin der neue Rock’n Roll. Ich bin der neue Elvis“, wird er zitiert. Um ihren Höhenflug und die Lüge um ihren Gesang zu bewältigen, nehmen die jungen Männer immer mehr Drogen und Alkohol zu sich. „Diese Last auf unseren Schultern wurde immer schwerer“, erinnert sich Morvan. „Wir tranken mehr, nahmen mehr Drogen um uns irgendwie zu betäuben.“

Irgendwann halten sie es nicht mehr aus. Als Farian bereits das zweite Album produziert, dass sie mit einem Auftritt am 3. November bei „Wetten, dass..?“ promoten sollen, reicht es den beiden. Zum Videodreh für die neue Single „Keep on Running“ tauchen sie gar nicht erst auf. „Pilatus und Morvan hatten genug. Wir wollten singen. Wir wollten uns als Sänger beweisen. Wir wollten nicht länger seine Marionetten sein“, sagt Morvan. Sie besorgen sich einen renommierten Anwalt. „Unsere Strategie war, ihn zu nerven. Wir verlangten mehr Geld“. Am Vorabend des Auftritts verlangt Pilatus von Farian eine halbe Millionen Mark, andernfalls würden sie nicht auftreten. Ein Fahrer bringt einen Scheck über 450.000 Mark nach Linz, wo die Sendung aufgezeichnet wird. Sie schicken ihn weg und wollen am darauffolgenden Montag mit Farian über eine Zahlung von einer Millionen Mark für das neue Album verhandeln.

Doch zu dem Treffen kommt es gar nicht erst. Jetzt hat auch Farian die Nase voll. „Ich lasse mich von diesen zwei Idioten nicht mehr erpressen“, sagt er zu seiner Assistentin und Lebensgefährtin Ingrid Segieth. Die beiden fliegen nach New York, wo Farian am 15. November 1990 die Bombe platzen lässt und öffentlich macht, dass die beiden Künstler ihre Hits gar nicht selber gesungen haben. Die Folge: Ein unglaublicher Shitstorm. Medienwirksam werden CDs öffentlich vernichtet, eine Mutter verklagt das Duo und seine Plattenfirma Arista auf Schadenersatz, weil ihr 14 Jahre alter Sohn betrogen worden sei. Ein US-Gericht entscheidet, dass die Fans drei Dollar je gekaufter CD zurückbekommen. Milli Vanilli muss seinen Grammy zurückgeben – ein nie dagewesener Vorgang in der bis dahin 33-jährigen Geschichte des Awards. 

Auf einer Pressekonferenz in Los Angeles im November 1990 entschuldigen sich Milli Vanilli bei den Fans. Robert Pilatus: „Wenn wir den Deal nicht akzeptiert hätten, wären wir immer noch in München und ich würde immer noch bei McDonalds arbeiten.“

Bei einer Pressekonferenz von Pilatus und Morvan am 20. November in einem Tonstudio in Los Angeles fallen rund 200 Reporter erbarmungslos über die beiden her. Sie erklären ihnen, sie seien jung und naiv gewesen, als sie einen „Pakt mit dem Teufel“ geschlossen hätten. Das oberste Ziel sei es gewesen, berühmt zu werden. „Wir halten uns für talentiert, wir lieben die Bühne. Das war unser oberstes Ziel. Es war nicht das Geld“, erklärt Pilatus. „Wenn wir den Deal nicht akzeptiert hätten, wären wir immer noch in München und ich würde immer noch bei McDonalds arbeiten.“

Ein Neuanfang unter dem Namen Rob & Fab scheitert, ebenso wie ein geplantes Comeback. Während Morvan sich von dem Skandal erholt und später seine eigene Musik macht, rutscht Pilatus immer tiefer in den Drogensumpf, raucht Kokain und konsumiert Crack. Mehrfach gerät er mit dem Gesetz in Konflikt. Nachdem er im Februar 1998 in Deutschland erneut einen Entzug macht, findet ihn Farians Lebensgefährtin am 3. April leblos in seinem Hotelzimmer in Friedrichsdorf bei Frankfurt am Main. Er stirbt im Alter von 33 Jahren in Folge einer Überdosis aus Psychopharmaka, Kokain und Alkohol an Herzversagen.

Sehen Sie oben im Video: „Milli Vanilli“ erzählt nach einer wahren Begebenheit einen der größten Pop-Skandale der 90er nach. Der Film mit Matthias Schweighöfer in der Rolle des Musikproduzenten erschien am 21. Dezember in den deutschen Kinos. 

 

Quellen:  Paramount+, Time Magazine, Hessenschau, Musikexpress, Los Angeles Times, DPA-Archivmaterial 

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