Fried – Blick aus Berlin: So zermürbend wie mit der Ampel war es noch nie

Die Koalition streitet, die Medien berichten. Ein Vergnügen ist das für beide Seiten nicht. Unseren Autor öden die Streitereien an. Er fragt sich: Muss ich das noch verstehen? 

Neulich erzählte ein eigentlich kluger Regierungsmensch einigen Journalisten vom Leben in der Ampelkoalition. Dass es mühsam sei, aber durchaus an Ergebnissen orientiert; dass man schon einiges erreicht habe, aber leider durch öffentlichen Streit den Journalisten immer wieder „einen Gefallen“ tue. Einen Gefallen? Ich glaube, das ist ein Irrtum. Mir tut die Koalition mit Streitereien keinen Gefallen. Im Gegenteil: Sie öden mich an.

Jüngstes Beispiel: Äußerungen des FDP-Generalsekretärs. Bijan Djir-Sarai hat der „Bild am Sonntag“ gesagt, er wolle lieber mit der Union regieren als mit SPD und Grünen. Die Meldung schaffte es in der „Tagesschau“ auf Platz zwei, sie stand in vielen Zeitungen. Aber jetzt mal ehrlich: Was soll das?

Mancher Ampel-Streit ist viel Lärm um Geschwätz

Die Frage ist gar nicht, ob ich das verstehe. Die Frage ist: Muss ich das noch verstehen? Muss ich mich überhaupt noch bemühen, das zu verstehen? Vor ein paar Wochen haben sich die FDP-Mitglieder für das Weiterregieren in der Ampel entschieden. Und jetzt redet der Generalsekretär schon wieder über das Gegenteil. Es gibt keine Mehrheit im Parlament für Schwarz-Gelb, es gibt keine Mehrheit in den Umfragen für Schwarz-Gelb. Was es gibt, ist nur ein Haufen Probleme, woran die Liberalen ihren Anteil haben, wenn auch nicht allein.

STERN PAID Neuer FDP-Chef Bijan Djir-Sarai 13.46

Natürlich könnte ich Djir-Sarais Äußerungen jetzt analysieren, seine Absichten interpretieren und mutmaßen, inwieweit Parteichef Christian Lindner dahintersteckt. Ich könnte mit den Umfragen argumentieren, das Drohpotenzial der FDP innerhalb der Koalition abwägen oder darüber klugscheißen, welche Zielgruppe Djir-Sarai im Auge hat (ehrlich gesagt: keine Ahnung …). Aber wie ich es auch hin und her wende, am Ende bleiben Djir-Sarais Worte eben nur Geschwätz.

Das alles ist viel zu billig – für Journalisten und Politik

Ja, ich weiß, dass die Medien ihren Teil zu dieser Entleerung beitragen. Allein ich habe in meinem Leben bestimmt Tausende Artikel geschrieben, die in etwa mit dem Satz begannen: „Die Koalition streitet über …“ Das war schon viele Jahre vor der Ampel so. Und lange Zeit war ich auch ziemlich scharf drauf.

Streit gehört zur Demokratie, im Idealfall dokumentiert er das Ringen um den besten Weg oder um den fairen Kompromiss. Kriege, Klimawandel, Wohnungsnot, soziale Schieflagen und vieles mehr bieten ausreichend Stoff für intensive, interessante Debatten. Dafür gibt es Berichtspflicht, erst recht, wenn es kontrovers zugeht.

Aber diesen Streit um des Streites willen, die Provokation der Schlagzeile wegen, das Sticheln und Nachkarten – das finde ich an dieser Koalition so zermürbend wie an keiner anderen zuvor. Und ich bleibe dabei: Wir Journalisten sind nicht die Verursacher, sondern die Überbringer.

FS Rosenmontag Umzüge11.50

Womit wir zum entscheidenden Punkt kommen: Wollen Sie überhaupt überbracht bekommen, ob Bijan Djir-Sarai lieber mit der Union regieren will? Ich glaube es nicht. Und genau das stört mich am Gedanken unseres Gesprächspartners, die Koalition tue uns „einen Gefallen“. Dafür ist das alles viel zu billig – für uns Journalisten zu billig zu bekommen und von der Politik zu billig, um Menschen zu interessieren. Deshalb schadet die Ampel nicht nur sich selbst, sie schadet auch uns.

Natürlich werden wir trotzdem weiter auch solches Zeug berichten. Ich rede mir dann ein, dass die Aussagekraft mancher Äußerung bisweilen sogar in ihrer völligen Sinnlosigkeit liegen kann. Mir ist nur wichtig: Wenn Sie beim Lesen den Kopf schütteln, sollen Sie wissen, dass es für uns Journalisten auch kein Vergnügen ist.

Verwandte Beiträge