FC Bayern München: Das Ende des Perfektionisten: Warum die Trennung von Tuchel nicht die einzige Änderung bleiben darf

Nach etwas mehr als einer Saison trennen sich die Wege von Thomas Tuchel und dem FC Bayern München. Das Ende war absehbar, doch ist der Trainer nicht alleine verantwortlich für die Misere.

Chancenlos waren die Bayern bei der Niederlage in Leverkusen, ideenlos beim 0:1 in Rom, glücklos und verunsichert beim 2:3 in Bochum – binnen einer Woche könnte dem FC Bayern München die komplette Saison entglitten sein. Der Schuldige für die Krise beim deutschen Dauermeister ist schnell gefunden: Am Mittwoch verkündeten die Münchner die Trennung von Trainer Thomas Tuchel zum Saisonende – nicht mal ein Jahr, nachdem der 50-Jährige als Nachfolger von Julian Nagelsmann vorgestellt wurde. „Wir sind in einem offenen, guten Gespräch zu dem Entschluss gekommen, unsere Zusammenarbeit zum Sommer einvernehmlich zu beenden. Unser Ziel ist es, mit der Saison 2024/25 eine sportliche Neuausrichtung mit einem neuen Trainer vorzunehmen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreeßen in einer Stellungnahme. Es ist die folgenrichtige Entscheidung in einer seit Wochen kriselnden Mannschaft.

Bereits seit Monaten rumort es im Verein. Nach dem peinlichen Ausscheiden im DFB-Pokal bei Drittligist Saarbrücken mehrten sich die Gerüchte, dass vielen Spielern die distanzierte Art Tuchels aufstoße. Auch, dass der Trainer nahezu jeden Spieler öffentlich kritisierte und nach der Niederlage in Rom seine Spieler verbal angegangen sein soll, soll davon zeugen, dass es keinerlei gemeinsame Ebene von Spielern und Trainer mehr gibt. Tuchel hat, um im Sportlersprech zu bleiben, die Kabine verloren. Dass die Bayern aktuell nur Zweiter sind, hat aber auch mit der dominanten Saison der Leverkusener zu tun. Erst einmal in der Geschichte der Bundesliga hatte ein Tabellenzweiter nach dem 22. Spieltag mehr Punkte als die Bayern auf dem Konto. Das war in der Saison 2015/2016 Borussia Dortmund mit einem Zähler mehr (51). Der Trainer der Dortmunder damals: Thomas Tuchel.

Nachfolger Thomas Tuchel Bayern München13.37

Thomas Tuchel schaffte es nicht, das Team zu entwickeln

Schaut man sich die Entwicklung des Teams seit der Ankunft des 50-Jährigen im März 2023 an, muss man fragen, ob es überhaupt irgendeine (positive) Entwicklung gab. Eine Spielidee Tuchels war nie zu erkennen, vom „intensiven, schnellen attraktiven“ Fußball, den Tuchel am Anfang der Saison versprach, war in den letzten Wochen rein gar nichts mehr zu sehen. Tuchel selbst wirkte ratlos, saß teils kopfschüttelnd und mit Händen vor dem Gesicht auf der Trainerbank. Bereits nach seiner Ankunft im März schaffte es Tuchel nicht, den Bayern neues Leben einzuhauchen. Die Meisterschaft feierten die Bayern nicht, weil sie die Saison souverän zu Ende spielten, sondern weil Borussia Dortmund am letzten Spieltag die Nerven versagten.

Dazu stagnierte die individuelle Entwicklung der Mannschaft. Leroy Sané und Jamal Musiala laufen seit Wochen ihrer starken Form zu Saisonbeginn hinterher, 100-Millionen-Mann Harry Kane trifft zwar weiterhin halbwegs beständig, bekommt aber kaum noch Bälle von seinen Mitspielern serviert. Dass sich Kane im Hinspiel des Champions-League-Spiels in Rom die Bälle im Mittelfeld holen musste, ist symptomatisch für das aktuell einfallslose Geplänkel der Bayern. Das Bild wird Bayern-Fans nicht unbekannt vorkommen, sah es doch bereits ähnlich kurz vor der Trennung von Julian Nagelsmann im  März 2023 aus. Tuchel aber gelang es nicht, die Spieler zu fördern und auf das Talent zu heben, das sie ohne Frage haben.

Bayern Nachdreh Bochum7:10

Schuld darf beim FC Bayern München nicht nur der Trainer sein

Den drohenden Misserfolg bei den Bayern, es könnte die erste titellose Saison seit der Spielzeit 2011/2012 werden, nur dem Trainer anzukreiden, wäre falsch. Nach elf Meisterschaften in Serie wirkt ein Teil der Mannschaft gesättigt, mit größeren Rückschlägen kamen viele Spieler bislang selten in Kontakt – oder liegen sie wie das verlorene „Finale Dahoam“ Ewigkeiten zurück. In der jetzigen Krise wirkt die Mannschaft verunsichert, leblos und komplett ideenlos. Selbsterklärte Führungsspieler wie Joshua Kimmich und Thomas Müller stecken so tief in einer Formkrise, dass sie mehr mit sich beschäftigt sind , als dass sie dem Team auch nur irgendwie weiterhelfen können. Die Bilder von Kimmich, der nach der Niederlage in Bochum Co-Trainer Zsolt Löw anging, zeugen von den blank liegenden Nerven bei einzelnen Spielern. Trotz aller Emotionalität, die Kimmich mitbringt, darf sich die Wut über eine Auswechslung nicht so entladen. So aber wird Kimmich auch zum Gesicht der Krise in München.

Im Team hat man sich zu sehr auf die individuelle Klasse einzelner Spieler verlassen. Kane, Sané oder Musiala können im Alleingang Spiele entscheiden, eine mannschaftliche Geschlossenheit, wie sie in der aktuellen Phase nötig wäre, ist aber nicht zu erkennen. Einen Spielgestalter, der die Partie an sich reißt, sucht man in München seit dem Abgang von Thiago vergebens und wird neidisch nach Leverkusen gucken, wo Florian Wirtz als Ideengeber das Spiel belebt. Dass man nicht nur mit dem Trainer, sondern auch mit den Spielern unzufrieden ist, ließ Dreesen in seiner Stellungnahme ebenfalls durchblicken. Es sei „jeder Einzelne im Club ausdrücklich gefordert, um in der Champions League und in der Bundesliga das maximal Mögliche zu erreichen“, erklärte Dreesen. Eine deutliche Ansage auch an die Mannschaft.

Die Führung muss sich hinterfragen

Dabei muss sich die Clubführung auch selbst hinterfragen, denn bereits vor der Saison sorgte sie dafür, dass der Kader der Bayern an vielen Stellen unterbesetzt ist. Mit Lucas Hernández, Benjamin Pavard und Josip Stanisic wurden gleich drei Verteidiger abgegeben, die auch außen spielen können, mit Raphaël Guerreiro nur ein Ersatz präsentiert, der ob seines Offensivdrangs weniger Verteidiger denn Flügelspieler ist. Erst im Winter legten die Bayern nach, verpflichteten Sacha Boey von Galatasaray Istanbul. Angekommen ist dieser aber noch nicht.

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Auch die dringend benötigte Verstärkung im defensiven Mittelfeld blieb in beiden Transferphasen aus: Die Bayern schafften es nicht, Tuchels Wunschspieler Declan Rice zu verpflichten, auch mögliche Alternativen wechselten nicht an die Isar. Stattdessen müssen diese Position weiterhin Leon Goretzka und Kimmich abdecken, die keineswegs klassische Sechser sind.

Verantwortlich für die Transfermisere ist aber bei den Bayern nicht der Trainer allein, sondern der „Ausschuss Sport“. Neben Tuchel gehören diesem unter anderem Uli Hoeneß, Karl-Heinz-Rummenigge, Präsident Herbert Hainer und eben Dreesen an. Sie alle verantworten die fehlgeschlagene Transferpolitik der laufenden Saison. Und knüpfen damit nahtlos an das an, was man zwingend vermeiden wollte. Denn unter den im Mai 2023 entlassenen Vorständen Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn glänzten die Bayern mit zahlreichen missglückten Transfers. Vermeindliche Top-Verpflichtungen wie Sadio Mané, Ryan Gravenberch oder Marcel Sabitzer verließen teils nach nur einer Saison wieder den Verein, andere wie Bouna Sarr, Joao Cancelo oder Omar Richarads entpuppten sich als Bankdrücker. Für die von Dreesen proklammierte „Neuausrichtung“ bedarf es aber nicht nur eines Trainers, sondern auch eines schlüssigen Transferkonzeptes, von dem man in München seit Jahren weit entfernt ist.

Für die Bayern beginnt nun die Suche nach einem neuen Trainer, dem vierten binnen vier Jahren. Namhafte Kandidaten gibt es genug, allen voran Jürgen Klopp und Zinedine Zidane sind groß genug, um Deutschlands größten Verein wieder in eine glanzvolle Zukunft zu führen. Dass es dabei aber nicht nur auf der Bank Änderungen geben muss, muss auch dem Vorstand klar werden. Der FC Bayern München braucht auch im Kader einen Umbruch, um an alte Zeiten anknüpfen zu können. Sonst droht die Landeshauptstadt wieder zum FC Hollywood der 90er-Jahre zu werden.

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