Düstere Aussichten: Wirtschaftsprognose der Regierung: 176 Seiten, aber kein Plan

Konkrete Kurskorrekturen bleibt der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung schuldig. Dabei verdüstert sich der Ausblick für die deutsche Wirtschaft.

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Verunsicherte Konsumenten, schlechte Geschäfte, schleppende Investitionen. An der gegenwärtigen Wirtschaftsschwäche Deutschlands ist wenig herumzudeuteln. Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung bestätigt, was zu erwarten war: Mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent kommt die deutsche Wirtschaft 2024 nicht vom Fleck. In der Analyse der Schwächen sind sich die Koalitionspartner weitgehend einig. Nicht so in den Impulsen, die dagegen zu setzen wären. Die Differenzen werden in dem Bericht übertüncht. 

Ein von Wirtschaftsverbänden gefordertes Aufbruchsignal bleibt der Wirtschaftsbericht schuldig. Dabei warnt die Regierung, um das Potenzial für wieder erstarkendes Wachstum zu heben, müsse viel getan werden. 2025 könne die Konjunktur mit einem Prozent Zuwachs wieder anziehen. Mittelfristig ist ein Ende der Wirtschaftsschwäche somit nicht in Sicht. 

Grund seien unter anderem der demografisch bedingte Arbeitskräftemangel, die von russischem Gas übermäßig abhängige energieintensive Industrie und auch geopolitische Risiken. „Dies alles führt zu einem erheblichen Anpassungsdruck auf den Wirtschaftsstandort Deutschland„, heißt es, denn es handle sich um strukturelle und längerfristige Entwicklungen.

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Robert Habeck: „Reformen boostern“

Zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs verteidigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bisherige Abwehrmaßnahmen zugunsten der Wirtschaft. Es gebe schon einen existierenden Reformbooster, der müsse aber noch weiter aktiviert werden, so seine Kernbotschaft. „Wir sind nicht wehrlos“, sagte der Grünen-Politiker vor der Presse. „Wir müssen Reformen boostern, mit einer Haltung des Unterhakens“, sagte er mit Blick auf die Koalitionspartner SPD und FDP hinzu. Als „Booster“ nannte er vorrangig den Abbau von Bürokratie, (noch) schnellere staatliche Entscheidungen und die günstigere Umsetzung im internationalen Vergleich. 

Zugleich dämpfte Habeck Erwartungen auf konkrete Schritte. Der Jahreswirtschaftsbericht lege dafür ein Fundament, er sei die Grundlage, was nun abzuarbeiten sei – etwa mit den Tarifpartnern am runden Tisch, wo es um Fragen wir länger arbeiten im Alter oder eine Flexibilisierung im Berufsleben gehe. 

Jahreswirtschaftsbericht: Konkrete Maßnahmen fehlen

Dass Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) über erforderliche Gegenmaßnahmen uneins sind, ist kein Geheimnis. Beide sehen die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschlands Firmen gefährdet, unter anderem, weil sie von Steuern und Energiekosten höher belastet werden als in anderen Ländern. 

Während Habeck auf „Hausaufgaben“ setzt und der Schwäche mit schnellerer Entbürokratisierung sowie einer Belebung des Arbeitsmarkts zu Leibe rücken will, – Fachkräftemangel wird als eine der Wachstumsbremsen gesehen –, bringt Lindner ein „Dynamisierungspaket“ ins Spiel, das in der Breite Firmen entlasten soll, etwa durch geringere Kosten für Energie und Bürokratie, oder durch niedrigere Steuern.

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Auch im Wirtschaftsministerium dreht der Fokus in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode stärker vom Klimawandel und der Energiepreiskrise zur Steigerung des Wachstums. Dennoch sollen Steuerabschläge für Unternehmen nach dem dortigen Verständnis möglichst an Anstrengungen in Richtung grüne Wirtschaft gekoppelt sein. Die „Transformation“ bleibt der rote Faden.

Die FDP dagegen würde am liebsten den Solidaritätszuschlag für Unternehmen abschaffen, also mit der Gießkanne Erleichterungen schaffen. Habeck schlug zur Finanzierung von Steuerentlastungen ein neues Sondervermögen vor. Eine Schuldenfinanzierung lehnt wiederum Lindner ab.

176 Seiten Bericht

Unter dem Motto „Zeit für eine umfassende und gezielte Angebotspolitik“ geht die Ampel in dem 176 Seiten dicken Bericht nun auf verschiedene Aktionsfelder zur Dynamisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland ein. Der Strukturwandel könne Wohlstand erhöhen, wenn die Ressourcen tendenziell von weniger zu höher produktiven Bereichen wechselten. Diese Angebotspolitik nehme Standortfaktoren in den Blick, die sich als Wachstumsbremsen erwiesen: darunter Bürokratie, ein knapper werdendes Angebot an Arbeitskräften, der Wegfall günstiger Energiequellen, mangelhafte Infrastruktur, zögerliche Digitalisierung, knapper bezahlbarer Wohnraum sowie eine „mitunter hohe Belastung mit Steuern und Abgaben“.

Ohne auf mögliche Erleichterungen einzugehen, wird nur konstatiert: „Die Belastung von Kapitalgesellschaften ist in Deutschland in Bezug auf die nominalen Steuersätze in internationalen Vergleich sehr hoch.“ Ein modernes und wettbewerbsfähiges Steuersystem stärke die Kapazitäten der Unternehmen für Investitionen und sichere die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Im Übrigen wird „zur Stärkung der Investitionsdynamik“ auf steuerliche Anreize im Wachstumschancengesetz verwiesen. Das allerdings hängt noch im Vermittlungsausschuss fest. 

Wachstumsaussichten mau

Die schlechten Konjunkturaussichten hatten auch die Wirtschaftsweisen vor kurzem bestätigt. Die Prognosen werden von der bisherigen Annahme von 0,7 Prozent Plus gesenkt, hieß es dort, wobei auch geringeren Ausgaben des Staates zu berücksichtigen seien. Eine aktualisierte Prognose soll Mitte Mai folgen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnte vor einer großen Krise und erwartet nach einer Mitgliederbefragung quer durch Branchen und Regionen, dass die heimische Wirtschaft 2024 sogar um 0,5 Prozent schrumpft. Die Bundesbank hatte für Europas größte Volkswirtschaft bereits im letzten Quartal 2023 ein Schrumpfen um 0,3 Prozent beobachtet, gefolgt Anfang 2024 von einem weiteren Minus. Zwei Minus-Quartale in Folge gelten als technische Rezession. 

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Doch tritt die Bundesbank auch dem Eindruck einer Dauerkrise entgegen: Eine Rezession im Sinne eines deutlichen, breit angelegten und länger anhaltenden Rückgangs der Wirtschaftsleistung könne weiterhin nicht festgestellt werden und sei derzeit auch nicht zu erwarten, schrieben die Experten zuletzt. Die Bundesbank geht auch davon aus, dass die Konsumlust der Verbraucher angesichts eines stabilen Arbeitsmarktes, steigender Löhne und einer abnehmenden Inflationsrate perspektivisch wieder anzieht.

Auch Habeck setzt auf eine sich verbessernde Tendenz. Zwar seien die Kaufkraftverluste aufgrund der hohen Inflation hoch, die Sparquote sei auf 11,3 Prozent gestiegen. Zusammen mit einem steigenden Zinssatz habe das die Binnennachfrage deutlich gedämpft. Für 2024 werde nun eine Inflationsrate von 2,8 Prozent erwartet, für das Folgejahr von zwei Prozent. Die Geldentwertung sinke, während der Anstieg des verfügbaren Einkommens nachwirke. 

Wie sollen Investitionen angekurbelt werden?

Den Abbau von Bürokratie als kostenloses Konjunkturprogramm hat schon Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt. Nun bestätigt der Jahresbericht: Unnötige Bürokratie soll abgebaut, auf „unverhältnismäßige zusätzliche Bürokratie“ verzichtet werden. Laut Bundesbank dämpfen neben Bürokratie zudem gestiegene Finanzierungskosten die Investitionen.

Renommierte Ökonomen wie Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut oder der Präsident des Berliner DIW, Marcel Fratzscher, empfehlen der Bundesregierung einhellig, gemeinsam mit der Opposition daran arbeiten, öffentliche Investitionen zu verstetigen. Mehr öffentliche Gelder für Infrastruktur beim Verkehr, im Digitalen und auch ins Bildungssystem tragen aus ihrer Sicht zur Vertrauensbildung und besseren Rahmenbedingungen bei.

In dem Jahreswirtschaftsbericht verweist die Ampel nun auf geplante Investitionen in Höhe von gut 70 Milliarden Euro für 2024 im Kernhaushalt. Hinzu kämen noch einmal gut 49 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds für Kilmaschutz, Energiewende, Mobilität und Digitalisierung. Aufgrund oft langwieriger Genehmigungsverfahren geht indes viel Zeit ins Land, bis Unternehmen von Investitionen in die Infrastruktur profitieren. Habeck betonte, Finanz- und Wirtschaftsministerium setzten sich mit großer Entschlossenheit auch für die Erleichterung privater Investitionen ein. Die staatliche Investitionsquote von Bund und Ländern sei auf dem höchsten Niveau seit Mitte der 1990er-Jahre. 

Zuvor hatte bereits der Kanzler auf ein starkes Interesse aus dem Ausland am deutschen Standort verwiesen. So sei neben Großinvestitionen von Chip-Konzernen wie Intel und TSMC auch von Microsoft ein Anstieg von 3,2 Milliarden Euro für den Ausbau Künstlicher Intelligenz angekündigt. 

Scholz erklärt die aktuelle Schwäche Deutschlands vor allem mit der lahmenden Weltwirtschaft, unter der die hiesige Exportindustrie leide. Auch diese Nachfrageschwäche nach „Made in Germany“ wird laut Bundesbank aber zunächst anhalten. Der Jahreswirtschaftsbericht erwartet eine Zunahme der Exporte um 0,6 Prozent, nachdem sie 2023 noch um 1,8 Prozent zurückgegangen waren.

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Arbeitskräftemangel als Bremse 

Bei der Erwerbstätigkeit geht aus den Eckdaten des Berichts zwar die Erwartung einer leichten Zunahme hervor. Die Arbeitslosenquote dürfte geringfügig auf 5,9 Prozent steigen, nach 5,7 Prozent im Vorjahr. Doch müsse das Angebot an Arbeitskräften gesteigert werden, um ein Wachstumshemmnis zu beseitigen. Dafür zielt die Bundesregierung auf eine stärkere Aktivierung von Arbeitslosen und verbesserte Erwerbsanreize insbesondere für Ältere und Zweitverdienende, was häufig Ehefrauen und Mütter sind.

Die dafür in den Blick genommene Reform des Vaterschaftsurlaubs dürfte dabei wohl nur eine untergeordente Rolle spielen. Ansonsten werden Vorhaben genannt, wie meist schon geplant sind. Habeck hob vor allem darauf ab, dass die gelebte Zuwanderung steigen müsse – auch durch schnellere Visaverfahren sowie durch Sprachkurse und Qualifizierungen schon im Ausland. Für künftiges Wachstum „fehlten Hände und Köpfe, Arbeitskräfte an allen Ecken und Kanten“. 

Allein hunderttausende offene Stellen zu besetzen hätte einen erheblichen Wachsumseffekt. Alle Bildungspolitiker seien gefordert, jenes Potenzial von 17 Prozent der 20-30-Jährigen zu heben, die keinen berufsqualfizierenden Abschluss hätten: mehr als 2 Millionen. 

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