Spitzenkandidatur zur Europawahl: Die Frau gegen Trump – Ursula von der Leyen will es nochmal wissen

Die CDU nominiert die „liebe Ursula“ einstimmig als Spitzenkandidatin für die Europawahl. Zur Wahrheit gehört: Von der Leyen hat zu ihrer Partei ein kompliziertes Verhältnis.

Die Begrüßung zur Pressekonferenz gibt es an diesem Montagmittag auch auf englisch. Es sei ja eine „special press conference“ in der CDU-Parteizentrale, wie die Pressesprecherin den extra angereisten ausländischen Journalisten erklärt. Grund dafür, klar, ist ein spezieller Gast, der lange nicht mehr die Gremien der Partei besucht hat. 

Ursula von der Leyen, 65, ist nach Berlin gekommen, um sich nominieren zu lassen. Und der CDU-Bundesvorstand hat ihr diesen Gefallen getan. Einstimmig schlagen die Christdemokraten die EU-Kommissionspräsidentin als Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni vor. Das kommt wenig überraschend – und war doch lange überfällig. 

Interview Lewandowsky18:27

Merz lobt die „liebe Ursula“ für ihre Arbeit in der Pandemie, ihre Wirtschaftsprogramme gegen die Rezession und ihr Engagement für die Ukraine. Sicherheit und Wohlstand seien die wichtigsten Herausforderungen für Europa, sagt er. „Nur so können wir auch die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gewährleisten.“

Von der Leyen erwidert die warmen Worte, bedankt sich freundlich bei Merz für die „stete Unterstützung und die exzellente Zusammenarbeit“. Sie treffe „eine ganz bewusste und wohlüberlegte Entscheidung.“ Von der Leyen blickt voll des Lobes auf die erste Amtszeit von der Leyens zurück. „Wir haben mehr geschafft, als wir uns je vorstellen konnten.“ 

Merz und von der Leyen treten bei der Pressekonferenz betont harmonisch auf. Aber wie gut ist das Verhältnis der CDU zur Kommissionspräsidentin wirklich? Und was hat von der Leyen in Brüssel bislang erreicht? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten. 

Warum erklärt Ursula von der Leyen sich erst jetzt?

Von der Leyen hat sich bis zuletzt bedeckt gehalten. Alle rechneten mit ihrer Kandidatur, aber öffentlich erklärt hatte sie sich dazu nicht – bis heute. Ganz anders die Konkurrenz in Deutschland: SPD, Grüne und FDP haben ihre Spitzenkandidaten schon vor Wochen gekürt. Auch auf europäischer Ebene ist bei vielen anderen Parteienfamilien längst alles klar. Die Sozialdemokraten schicken einen EU-Kommissar aus Luxemburg vor, dessen Namen man sich eher nicht merken muss. Die Grünen setzen wieder auf ein Team aus erfahrenen Europapolitiker*innen aus unterschiedlichen Ländern.

Und die Europäische Volkspartei (EVP), der CDU und CSU angehören? Sie will ihre Spitzenkandidatin bei einem Parteitag Anfang März aufstellen. Am Mittwoch läuft die interne Frist ab, sich für die EVP-Kandidatur zu bewerben. Von der Leyen musste sich also nicht stressen. Als offizielle Begründung für ihre Zurückhaltung gelten ihre Amtsgeschäfte. Es gibt vor der Wahl noch so viel tun, war aus ihrem Umfeld zuletzt immer wieder zu hören. Der Rollenwechsel von der Präsidentin zur Spitzenkandidatin soll daher so spät wie möglich vollzogen werden.

Auch ein anderes Amt in Brüssel darf man in diesem Kontext nicht vergessen. Von der Leyen war auch immer wieder als nächste Nato-Generalsekretärin gehandelt worden. Das soll nun Bundeskanzler Olaf Scholz verhindert haben, wie die „Welt am Sonntag“ berichtete. Man mag darüber streiten, welcher der beiden Posten der einflussreichere ist. Von der Leyen jedenfalls nutzte am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Gelegenheit, ihr sicherheitspolitisches Profil zu schärfen. Sollte sie Kommissionspräsidentin bleiben, sagte sie, würde sie einen Kommissar für Verteidigung einsetzen. 

Kreise: Von der Leyen will zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin 12.53

Man konnte auch das schon als offizielle Bewerbung verstehen. Die letzte, die ihre Kandidatur erklärte, ist von der Leyen damit im europäischen Vergleich übrigens nicht. Die Liberalen haben noch nicht entschieden, wie sie sich aufstellen. 

Was hat Ursula von der Leyen in den vergangenen fünf Jahren erreicht?

Es gibt da diesen Satz, den der kürzlich verstorbene Ex-US-Außenminister Henry Kissinger mal gesagt haben soll. „Wen rufe ich denn an, wenn ich Europa anrufen will?“. Eine gute Frage, auch 2024 noch. „Na, mich natürlich“, würde Ursula von der Leyen wohl antworten. Ihre erste Amtszeit war von diesem Führungsanspruch geprägt ein. Mit dem Helikopter flog sie 2020 an der griechischen Landgrenze zur Türkei entlang, als dort immer mehr Geflüchtete versuchten, in die EU zu gelangen. Es war ein eindeutiges Signal: Das ist auch meine Außengrenze. 

Mehrfach hat von der Leyen in Krisensituationen die EU-Kommission zur entscheidenden Koordinierungsstelle gemacht. Sie hat unter anderem für die Mitgliedsstaaten Impfstoffe gegen Corona bestellt und einen Plan für Munitionslieferungen in die Ukraine vorgelegt. Die Ergebnisse waren und sind – etwa bei diesen beiden Beispielen – nicht nur überzeugend. Aber die CDU-Politikerin hat damit Präzedenzfälle europäischer Zusammenarbeit gesetzt, hinter die künftige Kommissionen kaum zurückfallen können.

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit legte von der Leyen mit dem „Green Deal“ ihren Fahrplan vor, wie es Europa gelingen soll, die Pariser Klimaziele einzuhalten. Es folgte ein ganzes Paket von Gesetzen, die auf europäischer Ebene verabschiedet wurden – auf nationaler Ebene aber oftmals noch nicht umgesetzt sind. Der „Green Deal“ ist mit von der Leyen verbunden wie wohl kein anderes Projekt. Ob es ein Erfolgsprojekt wird? Das ist noch nicht klar. Schon allein deshalb dürfte von der Leyen entschieden haben, die EU-Kommission weitere fünf Jahren lenken zu wollen. 

Was hält die Union von Ihrer Spitzenfrau für Europa?

Man muss vielleicht noch einmal daran erinnern: Es war nicht die CDU, die Ursula von der Leyen den Job in Brüssel besorgte. Es war nicht einmal Angela Merkel. Nein, es war Emmanuel Macron, der vor fünf Jahren überraschend auf die Idee kam, die damalige deutsche Verteidigungsministerin als EU-Kommissionspräsidentin vorzuschlagen. Der französische Präsident schätzt von der Leyen. Das war damals so, daran hat sich – nach allem, was man weiß – wenig geändert. Aber Macrons Manöver damals diente vor allem einem Zweck: Manfred Weber verhindern. 

Weber? Ja, richtig, Manfred Weber, CSU-Politiker aus Niederbayern, war 2019 Spitzenkandidat der EVP. Und weil man diese Spitzenkandidaturen eigentlich erfunden hatte, um die Europawahl in der öffentlichen Wahrnehmung direkt-demokratischer zu gestalten, sollte Weber nach der Wahl Kommissionspräsident werden. Schließlich hatte die EVP mit ihm die Wahl gewonnen. Macron allerdings hielt das für eine weniger gute Idee – und von der Leyen durfte in ihre Geburtsstadt Brüssel umziehen, wo schon ihr Vater Ernst Albrecht einst für die Vorgängerorganisation der EU gearbeitet hatte.

In der CSU mag man sich noch nachtragend an diese Episode erinnern. In der CDU aber spielt von der Leyens Politik der vergangenen Jahre für Ihre Beurteilung die entscheidendere Rolle. Und die fällt, um es kurz zu sagen, bestenfalls gemischt aus. Vor allem den Green Deal nehmen ihr viele Parteifreunde übel: zu viel Plan, zu wenig Markt, und alles in allem nur noch mehr Bürokratie. Dass von der Leyen nun in Dauerschleife über die Wettbewerbsfähigkeit Europas spricht, ist dementsprechend nicht nur der ökonomischen Realität geschuldet, sondern auch den Bedürfnissen der deutschen Christdemokratie. In Migrationsfragen beweist sie schon länger eine Balance von Humanität und Härte, die zur CDU von Friedrich Merz passt. 

Die CDU begleite ihre Kandidatur mit „großer Sympathie und viel Unterstützung“, sagte Merz am Montagmittag. Und dennoch: Alles in allem ist es wie damals, als die Bundesministerin von der Leyen die Familienpolitik der Union modernisierte. Die Partei liebt sie nicht. Aber sie weiß, dass sie nicht auf sie verzichten kann. Von der Leyen bleibt die Unvermeidliche.

Wie sind von der Leyens Chancen auf eine weitere Amtszeit?

Gewinnt die EVP mit von der Leyen die Wahl, wird sie wieder Kommissionspräsidentin. Ganz einfach, ein kleiner Vorsprung reicht, davon darf man ausgehen. Wie vor fünf Jahren entscheiden darüber die Staats- und Regierungschefs. Das Verfahren hat sich nicht geändert. Aber anders als damals lässt sich eine zweite Amtszeit der CDU-Politikerin nun auch mit dem Wunsch nach mehr direkt-demokratischer Wahrnehmung begründen. Sie tritt schließlich als Spitzenkandidatin an. 

Die Staats- und Regierungschefs werden es in diesem Sommer kaum zu einer tagelangen Hängepartie um die künftige Kommissionsspitze kommen lassen. Zu groß sind die geopolitische Herausforderungen. Und zu wahrscheinlich ist eine zweite Amtszeit Donald Trumps als US-Präsident. Um ihm auf Augenhöhe zu begegnen, braucht die EU eine erfahrene Politikerin an der Spitze der Kommission, keinen Neuling. Auch in dieser Hinsicht ist eine weitere Amtszeit von der Leyens unvermeidlich – und dementsprechend sicher. 

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