Die Nachricht vom Tod ihres Mannes hatte Julia Nawalnaja während der Münchner Sicherheitskonferenz erreicht. Persönlich hat sie Alexej Nawalny seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Sie gab die Hoffnung nie auf, ihren Mann wieder in Freiheit zu sehen.
Schon seit zwei Jahren hatte Julia Nawalnaja ihren Mann nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen, als die Frau des prominenten russischen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny am Freitag bei der Münchner Sicherheitskonferenz ans Mikrofon trat. Nur Stunden zuvor hatten die russischen Behörden bekannt gegeben, dass der 47-Jährige in einem Straflager am Polarkreis gestorben war.
Nawalnaja hätte bei der Sicherheitskonferenz eigentlich über die Hoffnung auf ein „besseres Russland“ sprechen sollen, doch die Nachricht vom Tod ihres Mannes änderte alles. Statt nach Hause zu fliegen, entschloss sie sich nach eigenen Worten zum Bleiben – sie sei sicher, dass ihr Mann das Gleiche getan hätte.NACHRUF NAWALNYJ STERN PAID
Tränen in den Augen, atmete Nawalnaja auf dem Podium in München tief durch: „Wenn das wahr ist, will ich dass Putin, sein Personal, sein gesamtes Umfeld, seine gesamte Regierung, seine Freunde wissen, dass sie bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben“, sagte die Frau mit den zurückgebundenen platinblonden Haaren mit bebender Stimme. „Und dieser Tag wird sehr bald kommen.“
Nawalny zu seiner Frau Julia: „Ich fühle, dass du mir in jeder Sekunde nahe bist“
An der Seite von Alexej Nawalny erlebte Julia Nawalnaja die Hoffnung, welche die von ihrem Mann initiierten Großdemos in Russland verbreiteten. Sie brachte ihren Mann zur Behandlung nach Deutschland, nachdem er vergiftet wurde und tagelang zwischen Leben und Tod schwebte. Sie war bei ihm, als Nawalny nur wenige Monate später und kaum wiederhergestellt hoch erhobenen Hauptes nach Russland zurückflog und dort direkt nach der Landung verhaftet wurde.
Obwohl die russischen Behörden ihren Mann in diversen Prozessen zu 19 Jahren Lagerhaft verurteilten und trotz der schlimmen Haftbedingungen, unter denen er festgehalten wurde, gab die 47-Jährige die Hoffnung nicht auf. Sie glaube daran, ihren Mann wieder in Freiheit zu sehen, sagte Nawalnaja im vergangenen Jahr dem „Spiegel“: „Nichts ist schwierig, wenn man liebt.“FS Nawalny Leben in Bildern 14.00
Nawalny selbst sagte über seine Frau, ohne sie hätte er seinen erbitterten Kampf gegen den Kreml und Staatschef Wladimir Putin nicht durchgehalten. Seine letzte öffentliche Botschaft war ein Gruß an sie zum Valentinstag, in dem er schrieb: „Ich fühle, dass du mir in jeder Sekunde nahe bist.“
Julia Nawalnaja kämpfte für die Behandlung ihres Mannes in Deutschland
Im Gegensatz zu Staatschef Putin, dessen Privatleben in Russland als Staatsgeheimnis behandelt wird, zeigte das Ehepaar Nawalny sich und seinen Alltag öffentlich. Julia Nawalnaja wurde so mit der Zeit ebenso eine Person des öffentlichen Lebens wie ihr Mann.
Mitstreiter Nawalnys träumten gar von einer Zukunft Nawalnajas als Politikerin, schon bevor Nawalny selbst hinter Gittern saß. Sie selbst wies das von sich und betonte, sie sei vor allem Mutter und Ehefrau.
Nachdem Nawalny im August 2020 in Sibirien mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet wurde und ins Koma fiel, kämpfte Julia Nawalnaja tagelang darum, dass ihr Mann in Deutschland statt in Russland behandelt wird. Tagelang weigerten sich die russischen Ärzte, doch schließlich gelang es, Nawalny nach Berlin auszufliegen. „In jedem Augenblick habe ich gedacht, ‚ich muss ihn hier rausholen'“, berichtete Nawalnaja später.
Wird Nawalnaja die neue russische Oppositionsfigur?
Fünf Monate später zeigte sie erneut Stärke, als das Paar nach Moskau zurückkehrte – wohl wissend, dass die Reise im Gefängnis enden würde. „Kellner, bringen Sie uns Wodka, wir gehen nach Hause“, sagte Nawalnaja während des Fluges und zitierte damit eine Zeile aus einem russischen Kult-Film. Nach der Landung, an der Passkontrolle, wurde das Paar getrennt und sah sich danach nicht mehr in Freiheit wieder. Eine Menschenmenge empfing Nawalnaja damals vor dem Flughafen mit „Julia!“-Rufen.
Nach dem Tod von Alexej Nawalny fragen sich viele, wer außer Julia Nawalnaja die durch zahllose Festnahmen dezimierte oder ins Exil getriebene russische Opposition als Führungsfigur hinter sich vereinen könnte. Ihre Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat ihren Ruf als starke Frau und Persönlichkeit noch verstärkt. Für die Politologin Tatjana Stanowaja ist klar: „Ob Julia Nawalnaja will oder nicht – sie wird zu einer politischen Persönlichkeit.“ Am Montag wird sie beim Rat der EU-Außenminister in Brüssel erwartet.