Unsere Autorin Katharina Hoch wagt ein Experiment: Eine Woche dürfen sie, ihr Mann und ihre zwei Kinder (sieben und drei Jahre alt) keinen zugesetzten Zucker essen. Hier erzählt sie, wie es allen vier dabei erging.
Dieser Artikel stammt aus dem stern-Archiv und erschien erstmals am 23. August 2022.
Ich liebe es zu naschen. Schon als kleines Kind habe ich mich immer in unseren Vorratsraum geschlichen. Kein Tag verging, an dem ich mir nicht Toffifee, Gummibärchen oder Kinderschokolade einverleibte. Meine Eltern waren recht locker damit. Ich kann mich jedenfalls nicht an Diskussionen erinnern, die wir diesbezüglich hatten.
Dann wurde ich Mutter. Mittlerweile ist meine Tochter sieben und mein Sohn drei Jahre alt. Und auch bei uns gibt es jeden Tag Süßes. Mein Mann und ich führen oft Diskussionen darüber. Er findet, ich bin zu nachgiebig. Und ich finde, er ist zu streng.
An unserem Zuckerkonsum hätte ich jedenfalls nichts geändert, wenn nicht vor zwei Wochen der Vorschlag von der stern-Redaktion gekommen wäre, dass ich doch mal etwas über zuckerfreie Ernährung schreiben könnte. Daraufhin kam mir die Idee mit dem Experiment. Und die Redaktion fand sie gut. Warum eigentlich nicht, dachte ich mir. Ist doch mal eine tolle Erfahrung. Ganz euphorisch sagte ich meiner Familie beim Abendessen: „Wir machen jetzt eine Woche zuckerfrei!“ Meine Tochter konterte sofort: „Das könnt ihr vergessen. Ich mache da nicht mit.“ Bam. Super Start!
Die süße Welt der Ernährungswissenschaften
Ich beginne zu recherchieren. Was ist Zucker eigentlich und warum ist er angeblich so schädlich? Ich stoße auf einen Artikel von „quarks.de“. Darin wird erklärt, dass Zucker nicht gleich Zucker ist. Es gibt zum Beispiel Glucose (Traubenzucker), Fructose (Fruchtzucker) und Lactose (Milchzucker). Dann gibt es noch Stärke und Saccharose, womit der Industriezucker gemeint ist. Der Zucker, der von Natur aus in Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Milchprodukten vorkommt, ist nicht ungesund. Für eine gesunde Ernährung sollte man sogar fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag zu sich nehmen, sowie kleinere Portionen von Milchprodukten.
Was jedoch schädlich ist, ist der übermäßige Konsum von industriell hergestelltem Zucker. Von diesem nehmen wir viel zu viel zu uns und zwar durchschnittlich 30 Kilogramm pro Jahr. Die WHO empfiehlt allerdings, dass der sogenannte ‚freie Zucker‘ nur maximal fünf Prozent der gesamten Energiezufuhr ausmachen soll. Das wären dann 25 Gramm pro Tag, was wiederum neun Kilogramm pro Jahr wären. Wir essen also mehr als dreimal so viel Zucker wie wir sollten. Und das hat Folgen: Übergewicht, Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen. Sogar bestimmte Krebserkrankungen sollen mit übermäßigem Zuckerkonsum in Verbindung stehen.
Alles Gründe, um Zucker zu reduzieren, denke ich mir. Dass wir jegliche Süßigkeiten, Nutella, Schokomüsli, Kakao, Marmelade und Ähnliches von der Liste streichen, ist mir klar. Aber wo ist sonst noch Zucker drin? Ich studiere jede Packung. Von Fertigsoßen über Nudeln bis hin zu Apfelsaft. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass bei den Nährwertangaben „Kohlenhydrate davon Zucker“ steht. Ist das jetzt Zucker, den ich essen darf oder nicht?
STERN PAID 29_22 Warum lieben wir Zucker so sehr? Auf dem süßen Trip 17.00
Zucker ist nicht gleich Zucker
Bei der Recherche finde ich heraus, dass sich diese Bezeichnung auf den Zuckergehalt des Lebensmittels bezieht. Es kann also natürlicher oder zugesetzter Zucker gemeint sein. Wichtig ist, was auf der Zutatenliste steht. Wenn dort das Wort Zucker zu finden ist, ist dieser zugesetzt. Aber auch andere Begriffe weisen auf Zuckerzusatz hin – wie zum Beispiel Saccharose, Dextrose oder Raffinose. Um mich diesbezüglich noch mal abzusichern, kontaktiere ich einen Freund, der sich sehr gut mit dem Thema Ernährung auskennt. Er empfiehlt mir: Achte auf die Zutatenliste und verzichte komplett auf verarbeitete Lebensmittel, gehe nicht ins Restaurant und koche so viel wie möglich selbst.
Ich verbanne also alle verarbeiteten Lebensmittel, die zugesetzten Zucker enthalten, aus unserem Haushalt, ebenso alle Süßigkeiten. Und bin erstaunt, was ich in den verschiedenen Ecken des Kinderzimmers entdecke. Mein Mann schlägt vor, alles in eine große Kiste zu packen und in den Keller zu stellen. Dann, so hoffen wir, gibt es weniger Konflikte.
„Mama, es gibt nichts Leckeres, das ohne Zucker ist“
Meine größte Sorge: Was koche ich in den nächsten Tagen? Schließlich will ich nicht, dass meine Kinder verhungern oder in den Hungerstreik gehen. Besonders bei meiner Tochter sehe ich das als reale Gefahr. Zudem habe ich Lust, sie zu überzeugen, dass es sehr wohl leckere Sachen ohne Zucker gibt. („Mama, es gibt nichts Leckeres, das ohne Zucker ist.“)
Zuerst erstelle ich einen Essensplan für die nächsten Tage:
Banana-Pancakes ohne Zucker
Frikadellen mit Kartoffelbrei
Nudeln mit Tomatensoße und Parmesan
Mildes Gemüse-Kokos-Curry mit Reis
Kartoffelpuffer mit Apfelmus (ohne Zuckerzusatz natürlich)
Rühreier mit Kartoffeln und Spinat
Waffeln ohne Zucker mit Honig
Morgens gibt es immer Porridge, also Haferflocken mit einer zerdrückten Banane vermischt und mit Milch aufgekocht. Nach Belieben Honig dazu. (Wir haben das Glück, dass mein Mann das Imkern entdeckt hat und wir eigenen Honig haben – 100 Prozent ohne Zuckerzusatz.) Abends gibt es Brotzeit.
1. Tag
Wir starten das Experiment in der ersten Schulferienwoche. Also weniger Risiko, dass meine Tochter unkontrolliert Zucker zu sich nimmt, zum Beispiel in der Mittagsbetreuung. Morgens will mein Sohn Schokomüsli essen, findet es aber nicht. Ich sage, dass es leer ist und koche Porridge. Dann kommt meine Tochter und will ein Nutellabrot. „Aber Schatz, da ist doch Zucker drin.“ Ihre Antwort: „Ich hasse diesen zuckerfreien Scheiß.“ Schließlich schmeckt ihnen das Porridge doch ganz gut.
Später mache ich einen Großeinkauf. Unglaublich, wie lange das dauert, wenn man alles, was man kauft, ganz genau anschaut. In der Obst- und Gemüseabteilung bin ich am schnellsten. Hier kann man ja wirklich nichts falsch machen. Bei den anderen Lebensmitteln dauert es schon länger. Am Ende stehe ich beim Bio-Bäcker und frage, ob das Brot zuckerfrei ist. Angeblich ist es das. Beim Bestellen eines Olivenfladens merke ich, dass auf der Zutatenliste an der Vitrine Zucker steht. „Oh, da ist ja doch Zucker drin“, sage ich zur Verkäuferin. „Dann nehme ich es lieber nicht.“ Sie verdreht die Augen und packt es wieder aus. „Ich muss einen Artikel über zuckerfreie Ernährung schreiben“, sage ich leicht verlegen. Sonst verdrehe ich selbst immer die Augen, wenn jemand so ein großes Trara ums Essen macht. Jetzt bin ich diejenige. Das ist mir etwas peinlich. Später gibt es Banana-Pancakes, die meinen Kindern sehr gut schmecken und abends Brotzeit mit Rohkost. Erster Tag geschafft!
2. Tag
„Ich sage nicht, dass ich zuckerfrei esse“, protestiert meine Tochter am zweiten Tag. Heute macht sie bei einem Ferienpassprogramm mit und wir überlegen: Was machen wir, wenn sie dort etwas Süßes angeboten bekommt? Ich merke, wie sehr es meine Tochter belastet. Sie will am liebsten gar nicht hingehen. Also sage ich ihr, dass sie das nicht explizit sagen muss und auch etwas essen darf, falls es dort etwas gibt. Unsere Nachbarn wissen mittlerweile alle, dass wir zuckerfrei leben und bieten den Kindern nichts an.
Ich überlege schon, wo ich in den nächsten Tagen nicht hinfahre (Freibad, Volksfest etc.), um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Immer zuckerfrei – schon am zweiten Tag weiß ich, dass das nichts für mich wäre. Erste Erkenntnis: Ich möchte meinen Kindern nicht dauerhaft verbieten, etwas Süßes zu essen. Das macht sie zu Sonderlingen und das will ich ganz und gar nicht.
3. Tag
Heute ist meine Tochter mit einem Schulfreund verabredet. Ich schreibe der Mutter, dass wir ‚zuckerfrei‘ machen und sie meiner Tochter bitte nichts Süßes geben soll. Später ruft mich mein Mann an, der gerade unseren Sohn von der Kita abgeholt hat. „Sorry, ich konnte es nicht verhindern“, sagt er. „Ein Vater hat vor der Kita Lollis verteilt.“ Da konnte er nicht ‚Nein‘ sagen. Alle schlecken Lollis, nur unser Sohn steht daneben und heult. Das geht einfach nicht. Abends gibt es Frikadellen mit Kartoffelbrei. Leider mit Ketchup. Wir hatten noch eine kleine Packung im Kühlschrank. („Sonst hätten sie es nicht gegessen“, meint mein Mann.)
4. Tag
Wir wachen ausgeschlafen auf. Unser Sohn hat in seinem Bett durchgeschlafen. Das kam bisher noch nicht oft vor, deswegen freuen wir uns sehr. Mein Mann und ich haben heute ein bisschen Zeit für uns. Spontan entscheiden wir, Mittagessen zu gehen. Als wir genüsslich unseren Backfisch mit Kartoffel-Gurkensalat essen, schaue ich ihn plötzlich mit aufgerissenen Augen an. „Das ist ja gar nicht zuckerfrei!“ Mist, für einen Moment hatten wir es total vergessen. Wir müssen lachen und vereinbaren, es nicht unseren Kindern zu verraten.
5. Tag
Es ist einer dieser heißen Tage. 35 Grad. Meine Tochter spielt mit der Nachbarin im Hof. Ich überlege, ob wir ins Freibad fahren, aber halt! Da könnten die Kinder ja auf die Idee kommen, ein Eis zu wollen. Außerdem gibt es dort doch die leckeren Burger und natürlich Pommes. Also bleiben wir zu Hause. Dafür mache ich die Waffeln ohne Zucker. Schmecken gar nicht so schlecht, aber an Waffeln mit Puderzucker kommen sie trotzdem nicht ran. Nachts schläft unser Sohn wieder durch.
6. Tag
Ein weiterer heißer Tag. „Darf ich mit zum Eisessen gehen?“, fragt meine Tochter. Die Nachbarin hat Besuch von Oma und Opa. Gerade wollen sie gemeinsam zur beliebten Eisdiele um die Ecke aufbrechen und meine Tochter mitnehmen. „Nein“, sage ich und sehe ihre enttäuschten Augen. Zuckerfrei ist echt hart. Dann kommt sie noch mal zu mir. „Mama, bitte, bitte, bitte.“ Sie schaut mich flehend an. Ich knicke ein. „Na gut, geh!“
7. Tag
Fast geschafft. Ich bin erleichtert, denn langsam geht mir die Puste aus. Ich merke, wie ich lockerer werde und immer mal wieder ein Auge zudrücke. Ist doch der letzte Tag. Abends dürfen die Kinder Marshmallows am Feuer grillen. Auch ich gönne mir eins. Boah, schmecken die lecker. Ich bin und bleib halt eine Naschkatze, denke ich mir.
Mein Fazit: Eine zuckerfreie Ernährung ist nicht leicht umzusetzen, besonders mit Kindern. Und ob es unterm Strich für Kinder wirklich ‚gesünder‘ ist, auf industriell hergestellten Zucker zu verzichten, ist fraglich. Denn sie fühlen sich oft als Außenseiter und das kann dauerhaft auch nicht gesund sein. Trotzdem bin ich froh, dass wir das Experiment durchgehalten haben. Es hat mir gezeigt, wie viel Zucker wir zu uns nehmen, wo überall Zucker drinsteckt und welche Alternativen es gibt. Ein bewusster Umgang damit ist sicherlich nicht verkehrt. Weniger Süßes, viel selbst kochen, auf die Zutatenliste schauen. Wenn sich daran hält, dann kommt man schon ziemlich weit bei der Zuckervermeidung.
STERN PAID Gesund Leben 01_22 Zuckerarten 10.09
Was mich wirklich überrascht hat, war das Verhalten meines Sohnes. Nach ein paar Tagen hat er angefangen durchzuschlafen. In seinem Bett. Erst morgens kam er zu uns. Das macht er jetzt schon seit einigen Tagen. Kann Zucker wirklich das Schlafverhalten beeinflussen, habe ich mich gefragt und noch mal recherchiert. Ja, kann er. Eine Studie der Columbia University aus dem Jahr 2016 zeigt, dass ein erhöhter Zuckerkonsum am Tag dazu führt, dass man nachts öfter aufwacht und generell unruhiger ist. Ich bin erstaunt.
Wenn weniger Zucker also dazu führt, dass wir öfter ruhige Nächte haben, dann bin ich bereit, diese Tortur auch noch mal auf mich zu nehmen. Aber jetzt fahren wir erst mal in den Urlaub. Und Urlaub ohne Eis – das geht ja gar nicht.
Vom 18. Februar bis 24. März lädt Moderator Dieter Könnes die Zuschauer von „stern TV am Sonntag“ unter dem Motto „Einfach Zuckerfrei“ ein, gemeinsam in nur fünf Wochen den Zuckerkonsum zu reduzieren. Prominente Unterstützung bekommen sie dabei von Schauspielerin Tina Ruland, die gemeinsam mit zwei weiteren Mitstreitern den kalten Zuckerentzug wagt. „stern TV am Sonntag“ läuft am 18. Februar um 23 Uhr auf RTL und parallel auf RTL+.
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