Viele Rentnerinnen und Rentner stellen keinen Antrag auf Grundsicherung, obwohl sie darauf Anspruch hätten. Sie fürchten den Zugriff des Sozialamts auf Wohnung und Ersparnisse. Die meisten Mythen rund um die Sozialleistung stimmen nicht.
Ob Eisbecher oder Kinobesuch: Manche Renten sind so niedrig, dass selbst kleine Extras wie diese nicht ins Budget passen. Wer wenig Einkommen hat, das nicht für den Lebensunterhalt reicht, kann Anspruch auf Grundsicherung im Alter haben. Allerdings scheuen viele den Gang zum Sozialamt, berichtet Margret Böwe, Referentin beim Sozialverband VdK: „Besonders Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, möchten im Alter nicht von der Stütze leben.“
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2019 zeigt, dass etwa 60 Prozent aller Anspruchsberechtigten keinen Antrag stellen. Neben der Scham spielt auch Angst eine Rolle. Die Sozialämter prüfen streng, wer wirklich bedürftig ist. „Die Kontrollen sind sehr rigide. Rentner müssen dafür ihre persönlichen Verhältnisse komplett offenlegen. Manche fürchten auch, dass das Sozialamt ihnen oder ihren Kindern etwas wegnimmt“, so Böwe. Die meisten Mythen rund um die Sozialleistung stimmen aber nicht. Es lohnt, sich zu informieren.
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Die Grundsicherung im Alter erhalten Menschen, die bereits regulär in Rente gehen konnten. Aktuell müssen sie also mindestens 65 Jahre und elf Monate alt sein. Ab 2024 steigt die Altersgrenze auf mindestens 66 Jahre. Wer voll erwerbsunfähig ist, kann früher Grundsicherung erhalten. Eine klare Linie, wie niedrig das Einkommen sein muss, gibt es dagegen nicht. Die Deutsche Rentenversicherung rät als Faustregel allen, die weniger als 973 Euro im Monat zur Verfügung haben, einen Antrag zu prüfen. Letztendlich hängen Anspruch und Höhe der Grundsicherung von den Lebensverhältnissen und dem Wohnort ab. Das Grundprinzip ist dabei einfach: Das Sozialamt prüft, wie viel Einkommen eine Person hat und wie viel sie für ihren Lebensunterhalt braucht. Liegt der Gesamtbedarf über dem Einkommen, erhalten Rentner die Differenz als Grundsicherung ausgezahlt.
Wohnkosten in der Rente müssen „angemessen“ sein
Schwierig wird es im Detail, um Einkommen und Bedarf zu berechnen. Als Einkommen zählen grundsätzlich Renten, Pensionen oder die Bezahlung bei Erwerbsarbeit, etwa einem Minijob. Es gibt aber verschiedene Freibeträge und Ausnahmen, wodurch nicht immer die gesamte Summe angerechnet wird.
Der Bedarf setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Für die Lebenshaltungskosten gibt es einen Regelsatz. Alleinstehenden billigt das Sozialamt 502 Euro im Monat zu. 451 Euro sind es bei Menschen, die mit einem Partner zusammenleben, 402 Euro für Rentner, die in stationären Einrichtungen wohnen. Dazu kommen die Kosten für sogenannten Mehrbedarf, etwa bei einer Gehbehinderung. Und schließlich die tatsächlichen Ausgaben für Miete, Heizung und Nebenkosten. Leben Paare zusammen, werden zwei Rechnungen durchgeführt – auch für den Partner, selbst wenn dieser keine Grundsicherung beantragt. Denn dessen Einkommen und Vermögen werden angerechnet.
Damit das Sozialamt die Wohnkosten übernimmt, müssen diese „angemessen“ sein. Was das konkret bedeutet, legen die Kommunen fest, deshalb unterscheidet sich das je nach Wohnort erheblich. In München bezahlt das Sozialamt deutlich höhere Mieten als in der Uckermark. Ist die Wohnung für die Gegend zu teuer, werden Mieter aufgefordert, ihre Wohnkosten zu senken. Eine große Angst in diesem Zusammenhang ist aber unbegründet, beruhigt Böwe: „Niemand wird gezwungen aus der Wohnung auszuziehen. Das Sozialamt kann die auch nicht kündigen. Es ist lediglich so, dass es in solch einem Fall auf Dauer nicht die vollen Mietkosten übernimmt.“ Das ist also kein Grund, den Antrag nicht zu stellen.
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Ihre Ersparnisse müssen Rentner aufbrauchen, bevor sie Grundsicherung beziehen können. Nur ein Schonvermögen von 10.000 Euro pro Person darf übrigbleiben. Auch ein Auto können Rentner neuerdings behalten. Als angemessen gilt ein Wert bis 7500 Euro.
Wohnen Rentner in ihrer eigenen Immobilie, gilt diese ebenfalls als geschütztes Vermögen. Ausschlaggebend ist hier die Größe. Für zwei Personen zum Beispiel gilt ein Haus mit 90 Quadratmetern als angemessen, eine Wohnung dagegen mit 80 Quadratmetern. Ist die Wohnfläche aber zu groß, kann das Sozialamt verlangen, dass dieses Vermögen verwertet wird, etwa durch einen Verkauf. „Allerdings handhaben das die Sozialämter sehr unterschiedlich. Manche entscheiden anders, wenn etwa eine Mietwohnung teurer wäre als die aktuellen Wohnkosten. Es gibt außerdem Härtefallregelungen, zum Beispiel bei Pflegebedürftigkeit“, sagt Böwe. Im Zweifel sollten sich Immobilienbesitzer rechtlich beraten lassen.
Vermögen und Einkommen der Kinder bleiben bei der Berechnung der Grundsicherung in der Regel außen vor. „Das ist eine große Angst von Eltern, die weiterhin in den Köpfen steckt“, berichtet Böwe. „Aber solange der Nachwuchs nicht zu den Spitzenverdienern zählt, kommt der Sozialstaat nicht an sie heran.“ Nur wenn ein Kind mehr als 100.000 Euro steuerpflichtiges Einkommen im Jahr verdient, haben die Eltern keinen Anspruch auf Grundsicherung. Dann muss das Kind Unterhalt für sie zahlen.