Wirtschaftsminister : Robert Habecks Ost-Tour: Außen hart, innen ganz zart

Auf seiner zweitätigen Tour durch den Osten wagt Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Blick in den Abgrund. Die Aussichten sind düster – das liegt an der Konjunktur, am Fachkräftemangel und an der Wut gegen die Ampel.

 

„Seligenthal“ steht auf dem gelben Ortsschild. Das klingt nach leise plätscherndem Bach, nach Stille und Frieden. Und sehr wahrscheinlich trifft das hier am Südhang des Thüringer Waldes auf 364 Tage im Jahr zu. Nur heute hat sich der grüne Vizekanzler zum Werksbesuch beim örtlichen Süßwarenhersteller Viba angekündigt. Darum ist schon am Ortsschild Schluss mit der Ruhe.

Wütende Menschen haben die Straße versperrt. Einige haben ihre Traktoren mitgebracht, aber es geht um mehr als nur den Streit um die Agrardiesel-Subventionen. Es geht um die Waffenlieferungen an die Ukraine, um Flüchtlinge, um diesen ganzen „Ampel-Mist“. Die Demonstranten singen „Wir haben die Schnauze voll“. Die „Lügenpresse, Lügenpresse!“ wollen sie nicht durchlassen. Wenn sie nicht zu Habeck dürfen, dann darf die Presse auch nicht, so sehen sie das. „Schließt die Reihen“, ruft einer der Männer.

„Aufhängen!“, brüllen einige Demonstranten

Wenige Minuten zuvor, als im Hintergrund Habecks Audi über die einzige Zufahrt, die von der Polizei offengehalten wurde, auf das Werksgelände rollt, brüllen einzelne Demonstranten: „Aufhängen!“ Drinnen zieht sich Habeck schon einen weißen Kittel über, schlüpft mit den Schuhen in Überzieher, ein Haarnetz sitzt über seiner Frisur. Und jetzt schiebt sich der Wirtschaftsminister ein kleines Stück zartschmelzendes Nougat in den Mund, das ein Mitarbeiter der kleinen Besuchergruppe auf einem Tablett serviert. 

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Außen hart, innen ganz zart ­– so endet also die zweitägige Tour des Ministers durch die beiden östlichen Bundesländer Sachsen und Thüringen. Es ist eine kurze Reise, auf der der Vizekanzler einen Blick in die Abgründe wagt, in die Auswirkungen von Fachkräftemangel, Bürokratie, Rezession und einer politischen Verrohung, die mancherorts längst nicht mehr nur droht. 

„Dramatisch schlecht“, sei die Lage. „Die Zeit für Gemütlichkeit ist sicherlich vorbei“, so hat es Habeck selbst prophezeit am Vortag, beim Treffen mit ostdeutschen Handwerksverbänden auf der Leipziger Messe. Darum ist er losgefahren, er will selbst mit den Leuten reden, mit den Meistern und Gesellen, mit den Azubis und Chefs bei Vorzeige-Unternehmen wie Jenoptik, mit den höchst skeptischen Vertretern der Industrie- und Handelskammern in Erfurt.

„Schreiben Sie mir das!“

Und immer ist die Zeit zu kurz, immer muss er schon weiter, immer sagt er dann: „Schreiben Sie mir das“ oder „Geben Sie mir das mit“, „Melden Sie sich bei meinem Staatssekretär“. Bei manchen wird sich der Minister später vielleicht sogar selbst melden, wie vor Kurzem ein Unternehmer auf der Business-Plattform LinkedIn anerkennend feststellte. Er hatte einen bösen Brief an den Minister geschrieben, plötzlich hatte er ihn selbst in der Leitung. 

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„Das Blödeste, was wir tun könnten, ist, in der Vereinzelung zu bleiben“, sagt Habeck. „Jeder mit seinen Sorgen, aber auch mit seinen Ängsten, geht nach Hause, keiner spricht miteinander und alle Vorurteile verselbstständigen sich. Und am Ende haben wir eine Gesellschaft, wo keiner mehr miteinander redet, nur noch gebrüllt wird.“ Dann fällt in Hamburg eine Lesung aus, in Berlin eine Veranstaltung. Erst gestern musste im schwäbischen Biberach der Politische Aschermittwoch der Grünen abgesagt werden, wegen Protesten, die in Tumulten mündeten. Dagegen schien es in Sachsen am ersten Tag der Reise fast unwirklich friedlich, ungewöhnlich auch angesichts der Umfragewerte: 31 bis 35 Prozent für die AfD, die Grünen knapp oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde.

„Eigentlich wollen wir euch alle wieder rausschmeißen“

Was, wenn die AfD im Herbst bei den Landtagswahlen hier wirklich stärkste Kraft wird – oder wie Habeck es ausdrückt, „wenn eine Ideologie mehrheitsfähig wird, die sagt: Eigentlich wollen wir euch alle wieder rausschmeißen“? Mit „euch“ meint Habeck all jene Zuwanderer, die es längst auch in Sachsen und Thüringen bräuchte, um den Fachkräftemangel zu bewältigen. 

700.000 Stellen sind als offen gemeldet, allein im Handwerk seien es mehr als 120.000. Stellen, die nicht mehr besetzt werden können. „Und offene Stellen sind nicht gemachte Arbeit, also verhindertes Wachstum“, sagt Habeck. Darum sei es jenseits des politischen Anstands und der Moral längst eine höchst ökonomische Frage geworden, wie offen eine Gesellschaft sei. Offen für Austausch, für Warenhandel und für Menschen, die hier arbeiten. 

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Tatsächlich taucht das Thema immer wieder auf. Da ist der Leipziger Tischler, der klagt, dass seine Azubis nach Ende ihrer Ausbildung recht verlässlich im öffentlichen Dienst landen. Oder gleich bei Porsche. Da ist der Technik-Chef der Firma Jenoptik, der händeringend nach Facharbeitern, Ingenieuren und Wissenschaftlern sucht: „Wir brauchen auch eine Gesellschaft, wo sich Menschen wohlfühlen.“

„Wer sich abschottet, macht dicht“ 

Das Hightech-Unternehmen hat darum die Kampagne #bleiboffen gestartet. Auf den langen Tischen in der hellen Firmenkantine, wo Habeck drei Dutzend Azubis zum Gespräch trifft, liegen Karten und Aufkleber aus. „Wer sich abschottet, macht dicht“, steht darauf. Oder: „Nicht aufgeschlossen? Bei uns ausgeschlossen.“ Er sei der Wirtschaft „sehr, sehr dankbar für ihre unbedingte Klarheit in der Frage“, sagt Habeck im Anschluss an das Treffen. 

Er ist als Vizekanzler gekommen, als Minister, nicht als grüner Wahlkämpfer. Er will eine Botschaft setzen, es aber bloß nicht übertreiben. Die AfD erwähnt er in den zwei Tagen kein einziges Mal öffentlich. Alles eine Frage der Dosis, wie er selbst auf der Handwerksmesse gelernt hat. Am Stand der „World skills“, einer Art Olympiade für Azubis, soll Habeck aus kupfernen Heizungsrohren ein Herz löten: Es muss heiß genug sein, damit das Lötzinn flüssig wird. Aber wenn es zu heiß wird, dann verdampft es. „Schöne Metapher“, findet Habeck – trotzdem ist sein Zinn zu heiß geworden. Er muss noch mal ran, greift zum Gasbrenner – klick, klick ­– „Oh, Gas ist alle?“ Doch nicht, jemand hatte nur den Hahn zugedreht. Es ist ein bisschen wie im echten Leben. 

Robert Habeck nennt drei Zutaten für den perfekten Sturm

Und im echten Leben sieht die Lage, wie Habeck sie beschreibt, in etwas so aus: Wir müssen weiter viel Geld ausgeben für Energie, die das russische Gas ersetzen muss. Mir müssen weiter viel Geld ausgeben, um die Ukraine und die Bundeswehr auszurüsten. Und wir verdienen gerade weniger Geld, denn unser größter Absatzmarkt, China schwächelt genauso wie die globale Konjunktur. Das seien drei Zutaten, die für den perfekten Sturm sorgen können, sagt Habeck beim Treffen mit Handwerksvertretern. In einem Wort: „dramatisch“.

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Und wo er nun schon mal bei den schlechten Nachrichten ist: Er werde in der nächsten Woche den neuen Jahreswirtschaftsbericht vorstellen. Darin wird die Wachstumsprognose für das laufende Jahr nicht mehr 1,3 Prozent betragen, wie noch im Herbstgutachten, sondern nur noch 0,2 Prozent – „Die Zeit für Gemütlichkeit ist sicherlich vorbei.“

Nur was kann denn die Ampel tun? 

Die Möglichkeiten des Staates seien spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: begrenzt. Wenn man im nächsten Haushalt wieder 25 Milliarden Euro raussparen muss, wonach es schon jetzt aussieht, kann auch Habeck noch weniger für die Konjunktur tun. Dann kann er nur hoffen, dass zumindest die Binnennachfrage anspringt, weil sich die Tarifparteien auf gute Abschlüsse einigen. Und auch dann wäre man schon froh, wenn es am Ende zumindest doch wieder ein Prozent Wachstum gäbe. 

Sie müssen so viele Leute wie möglich in Arbeit bringen, so schnell wie möglich das vorhandene Geld ausgeben, auf dass es investiert werde. Habeck macht keinen Hehl daraus, dass es gern mehr sein dürfte, wenn es nach ihm ginge. Und weniger nach Finanzminister Lindner. „Jede Entscheidung hat eine Konsequenz“, erklärt Habeck am Mittwochabend unter einer gläsernen Kuppel beim Leserforum der „Leipziger Volkszeitung“. Darüber müsse man ehrlich diskutieren. „Und nicht so tun, als wäre alles für lau möglich.“

Nur wohin dann mit all den Sorgen? Da ist die Kartoffelbäuerin aus Delitzsch, die sich um die hohen Energiepreise sorgt. Die Unternehmerin, der schon die Debatte um die Vier-Tage-Woche Angst macht. Der Leipziger Installateur, der noch immer Heizungsgroll hegt.

„Absehbar komplett zerstört“

Erst vor ein paar Tagen hat der „Heringsdorfer Kreis“, eine Gruppe ostdeutscher IHK-Chefs, „in großer Beunruhigung“ einen offenen Brief an den Kanzler geschickt, sein Vize hat ihn auch bekommen. Ein weiterer dringender Weckruf an die Ampel. „Wenn sich an Ihrem Handeln und Auftreten nichts grundlegend ändert“, schrieben die Wirtschaftsvertreter, „fürchten wir, dass ein ostdeutsches Bundesland nach dem nächsten zu einem Sehnsuchtsort für Rechtsextremisten und wirtschaftlich zum Transitland wird.“ Ansiedlung und Zuwanderung wären „absehbar komplett zerstört“. 

Studie: Handlungsbedarf bei Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund

Von einem „kritischen, aber konstruktiven Ton“ spricht Habeck nach der Zusammenkunft mit den Vertretern der mitteldeutschen Industrie- und Handelskammern in Erfurt. Man darf nicht aus der Runde zitieren, aber so viel ist erlaubt: Der Frust ist mit Händen zu greifen. Viele hätten den Eindruck, „auf Wirtschaft wird zu wenig gehört“, erklärt der örtliche IHK-Chef im Anschluss. 

Und das ist womöglich das Einzige, das die Unternehmer in Erfurt mit den Demonstranten in Seligenthal eint: das Gefühl, überhört zu werden. Der wütende Trupp versperrt weiter die Straße, er lässt niemanden durch. Die Stimmung ist feindselig, gereizt bis aggressiv. Die Polizei will nicht eingreifen, aus Sorge, die Lage könnte eskalieren.

Das sei jetzt „der normale Zustand, dass Bundesminister mit Protest empfangen werden“, sagt Habeck nach der Führung durch das Nougat-Werk. Er steht am Hinterausgang der Fabrik. Er will nicht falsch verstanden werden, vor allem nicht hier, im Osten des Landes. Protest gehöre zur Demokratie, es sei Pflicht jedes Politikers, das auszuhalten. Aber Protest müsse irgendwohin führen, bestenfalls zu einem Gespräch. „Dass der Protest verhindert, dass man miteinander redet, halte ich für eine gefährliche Entwicklung“, sagt der Minister. Dann steigt er in den Audi und fährt weiter in Richtung Bayern. 

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