Konjunktur: Deutschland überholt Japan bei den größten Volkswirtschaften. Was steckt dahinter?

Lange stand der Platzwechsel im Raum – jetzt hat Deutschland tatsächlich Japan als drittgrößte Wirtschaft der Welt überholt. Grund zum Feiern ist das aber nicht.

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Die Nachricht klingt auf den ersten Blick nach einer Erfolgsgeschichte: Deutschland überholt Japan als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Der Platzwechsel wurde schon mehrfach prognostiziert, doch jetzt ist er durch neue Konjunkturdaten auch amtlich. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4,46 Billionen Dollar erwirtschaftete Deutschland rund 250 Mrd. Dollar mehr als Japan. 

Das Problem ist: Dahinter steckt keine historische Wachstumsgeschichte, denn der Großteil dieser Entwicklung basiert auf Währungsentwicklungen. Um das BIP zu vergleichen, wird es in Dollar umgerechnet. Und da sich der japanische Yen im Gegensatz zum Euro zuletzt enorm schwach entwickelt hat, profitiert Deutschland bei der Umrechnung in Dollar. Würde man beispielsweise den durchschnittlichen Wechselkurs von 2021 anlegen, hätte Japan rund 5,74 Billionen Dollar erwirtschaftet. Deutschland hingegen nur 4,88 Billionen Euro.

Nichtsdestotrotz gibt es auch realwirtschaftliche Entwicklungen, die den Tausch erklären. Laut Regierungsdaten vom Donnerstag ist die japanische Wirtschaft von Oktober bis Dezember aufs Jahr hochgerechnet um 0,4 Prozent geschrumpft – das zweite Quartal mit negativem Vorzeichen beim BIP in Folge. Von Reuters befragte Experten hatten eigentlich eine Konjunkturerholung erwartet und ein Plus von 1,4 Prozent vorhergesagt, nachdem die Wirtschaftsleistung im Sommer um 3,3 Prozent abwärts revidiert worden war. In Deutschland ist das BIP im gleichen Zeitraum um 0,3 Prozent gesunken, also weniger stark als in Japan. Im kommenden Jahr soll das dortige Wachstum gerade einmal 0,2 Prozent betragen.

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Auch deshalb laufen in Japan ähnliche Debatten wie hierzulande. „Dass Deutschland Japan überholt hat, zeigt, dass wir unbedingt Strukturreformen vorantreiben und eine neue Phase des Wachstums schaffen müssen“, sagte Yoshitaka Shindo, der japanische Minister für wirtschaftliche Wiederbelebung.

Die Zahlen sind für Japan insofern dramatisch, da das Land prinzipiell demografische Vorteile hat. Zwar altert die Bevölkerung stärker, aber mit 126 Millionen Einwohnern leben in Japan noch immer rund 43 Millionen Menschen mehr als in Deutschland. Die Probleme liegen also tatsächlich tiefer und sind nicht nur auf den Wechselkurs zurückzuführen.

Reallohnverluste schwächen Konsum

Ein besonderes Problem ist der Kaufkraftverlust im Land. Die Inflation in Japan betrug im vergangenen Jahr 3,2 Prozent, das Lohnwachstum aber durchschnittlich nur 2,5 Prozent. Ein Aufruf der Regierung an die Unternehmen, dass diese die Löhne steigern sollten, lief offensichtlich ins Leere. 

Der Reallohnverlust übersetzt sich vor allem in sinkende Konsumausgaben, was insbesondere die Bekleidungsgeschäfte und Restaurants zu spüren bekamen. Der private Verbrauch ist eigentlich die tragende Säule der Wirtschaft in dem Fernostland, die nunmehr Risse bekommen hat. Manche Experten erwarten einen weiteren Rückgang des BIP im laufenden Quartal, da die schwache Nachfrage in China, der maue Konsum und Produktionsstopps bei Toyota die Wirtschaft bremsen dürften.

Auch die Investitionsausgaben sanken vor der Jahreswende – und zwar um 0,1 Prozent. Die Prognosen waren von einem Anstieg um 0,3 Prozent ausgegangen. Die Auslandsnachfrage trug den Daten zufolge 0,2 Prozentpunkte zum BIP bei, da die Ausfuhren gegenüber dem Vorquartal um 2,6 Prozent gestiegen sind. „Besonders auffällig ist die Flaute beim Konsum und bei den Investitionsausgaben, die wichtige Säulen der Inlandsnachfrage sind“, sagte Yoshiki Shinke, leitender Ökonom beim Dai-ichi Life Research Institute des gleichnamigen Lebensversicherers in Tokio.

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Die schwachen Daten könnten Zweifel an der Prognose der Bank of Japan (BoJ) aufkommen lassen, dass steigende Löhne die Binnennachfrage beleben werden und damit in absehbarer Zeit ein Ende der lockeren Geldpolitik gerechtfertigt sein könnte. Zuletzt war an den Märkten darüber spekuliert worden, dass die Zentralbank angesichts steigender Löhne und Preissteigerungen ihre Negativzinspolitik im April beenden könnte.

Die Inflation ist zwar seit über einem Jahr höher als die Zielmarke der BoJ von zwei Prozent. Viele Währungshüter haben jedoch betont, dass sie mehr Hinweise sehen wollen, dass der Preisauftrieb durch die Inlandsnachfrage getrieben wird und nicht durch externe Faktoren wie teures Öl. Mehrere Großunternehmen haben ihre Bereitschaft zu weiteren Lohnerhöhungen bereits kundgetan. Notenbankchef Kazuo Ueda nannte diese Entwicklung „ermutigend“.

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