Dem Hollywood-Piraten war der Wüstenstaat Saudi-Arabien eigentlich fremd. Keine Drinks und kein Spaß. Doch nun überrascht Johnny Depp die Welt mit einer bizarren Freundschaft zum Herrscher Mohammed bin Salam, dem Depp erstaunliche Geständnisse über Jamal Khashoggis Ermordung entlockte.
Wer den Schauspieler Johnny Depp gut kennt, wusste schon immer, dass es einige Gründe gab, warum der 60-Jährige zwar schon in vielen Ländern der Welt war und auch Filme gedreht hat, aber nie viel Interesse für den arabischen Raum zeigte. Seine Filme wurden, wie viele andere aus dem Westen, dort nicht gezeigt. Aber vor allem: Es gab keine Drinks. Keinen Wodka, keinen Wein und schon gar keine „Mega-Pints“, wie im Prozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard das große Glas genannt wurde, das er sich an einem Morgen mit Rotwein abfüllte. Depp, der in dem Prozess zugab, zumindest einige Zeit Probleme mit der Überdosierung von Alkohol und auch anderen Substanzen gehabt zu haben, hätte in den arabischen Ländern wie den Golfstaaten buchstäblich sehr auf dem Trockenen gelegen. Dort ist Alkohol streng verboten, zumindest offiziell, aber dazu kommen wir noch.
Umso erstaunlicher ist es, dass das US-Magazin „Vanity Fair“ in diesen Tagen eine neue und wohl intensive Vorliebe des „Fluch der Karibik“-Stars für die Golfstaaten und speziell für Saudi-Arabien enthüllte. Depp, so das Blatt, habe sich mit dem Herrscher Saudi-Arabiens, Kronprinz Mohammed bin Salman, angefreundet, habe ihn mehrmals besucht, sei in der privaten 747 des Kronprinzen zu einem Jeff Beck Gedenkkonzert nach London geflogen und habe 2023 insgesamt sieben Wochen in dem Wüstenstaat verbracht. Dort sei er durchs Land gereist und habe Künstler und Filmschaffende getroffen und, so Depp, eine ganz neue Meinung über die Kultur und die Menschen entwickelt. „Ich gebe zu, dass ich anfangs etwas naiv war, was die Geschehnisse in der Region angeht, aber inzwischen habe ich die kulturelle Revolution, die dort stattfindet, aus erster Hand erfahren“, so Depp.
Johnny Depp bei einem Filmfestival in Saudi-Arabien
© Tim P. Whitby / Getty Images
Nun wird ein Pirat wie Johnny Depp nicht über Nacht vom Saulus zu Paulus, der Sinneswandel hatte anscheinend auch andere Gründe. Und wie das häufig so ist: Es waren finanzielle. Schon die erste Kontaktaufnahme der Saudis mit dem Hollywood-Star war erkauft. Bei den Dreharbeiten zu „Jeanne du Barry“, einem französischen Kostümfilm, in dem Depp gleich nach seinem Prozess gegen Heard spielte, fragte der Saudi-arabische Kulturminister Prinz Badr Farhan, ob er Depp treffen und sprechen könne, was der Schauspieler zunächst ablehnte, dann aber einwilligen musste, denn die Saudis hatten das klamme Budget des „Barry“-Films mit Millionen Dollars aufgefüllt und bestanden nun höflich, aber bestimmt darauf, den Hauptdarsteller zu sprechen.
Ronaldo und Neymar hat der Scheich schon. Johnny Depp fehlt ihm noch
Nach dem ersten Treffen sei es dann zum Besuch im Scheichtum gekommen und zu intensiven Gesprächen mit Herrscher Mohammed bin Salman, kurz „MBS“ genannt. Die Strategie des Scheichs scheint dabei offensichtlich und nicht neu gewesen zu sein. Um die immer wieder fragwürdige Reputation des Wüstenstaates, der es mit Menschenrechten nicht so genau nimmt und Flüchtlinge an seinen Grenzen erschießen ließ, wieder aufzupolieren, soll für viel Geld Weltprominenz ins Land gelockt werden. So kam es, dass Fußballer wie Ronaldo und Neymar mittlerweile zwar bedeutungslos, aber schwer bezahlt in der Landesliga kicken, und so soll nun auch Hollywood internationalen Glanz auf den Sand bringen. Angeblich, so „Vanity Fair“ sei Depp dafür ein millionenhoher Vertrag als „globaler Kulturbotschafter“ angeboten worden, darüber hinaus erhoffte man sich, dass Depp als Regisseur seine kommenden Filme im Land drehen werde und so eine landeseigene Filmwirtschaft in Gang bringen könnte. Geplant sei auch eine „Cinecitta“, also ein Studio- und Produktionsgelände. Mit Bauen sind sie in der Wüste ja immer schnell bei der Sache.
Nachts auf der Yacht nahm er seinen Mut zusammen und fragte, was mit Jamal Khashoggi passiert sei
Wie und ob sich Johnny Depp auf solche Deals einlässt und nun bald „Filmbotschafter Saudi-Arabiens“ sein könnte, ist noch nicht bekannt, er selbst sagte nur „Ich hatte Gelegenheit, Menschen aus verschiedenen Teilen der Region zu treffen, die mir ihre Kultur, ihre Traditionen und Geschichten mit großer Offenheit näherbrachten“, aber das sind Bravheiten, die man als Gast so sagt. Viel interessanter ist etwas anderes, etwas, bei dem der Johnny Depp, wie man ihn eigentlich kennt, durchschimmert. Laut Vanity Fair-Recherchen ereignete sich folgende Geschichte: In einer der langen Nächte, die Depp auf einer der riesigen Yachten des Scheichs verbrachte, und dabei, so lässt sich vermuten, auch wieder einen Drink zur Hand hatte, denn Alkohol ist ja nur an Land verboten, in einer dieser Nächte also habe er dem Herrscher MBS in die Augen geblickt, all seinen Mut zusammengenommen und gefragt, was denn nun wirklich 2018 in der saudischen Botschaft in Istanbul passiert sei, als dort der Journalist Jamal Khashoggi ermordet und zerstückelt wurde.
Wer sich noch an die tief brummende Stimme Depps im Gerichtssaal 2022 erinnert, kann sich vorstellen, wie sich das anhörte. MBS soll zunächst geschwiegen und dann erklärt haben, Khashoggi sei kein Journalist gewesen, sondern ein „Agent“ der mit den Feinden des Landes zusammengearbeitet habe und das Reformprogramm des Scheichs zu torpedieren. An jedem Tag in Istanbul sei der Geheimdienst aber nur beauftragt gewesen, Khashoggi zu verhaften, was die Agenten offenbar falsch verstanden und ihn stattdessen ermordeten und die Leiche zerstückelten hätten. Er habe, so MBS zu Depp, den Mord nicht in Auftrag gegeben, aber er sei dafür verantwortlich. Und die Täter seien später verhaftet und verurteilt worden. Ein Wüstenherrscher und ein Schauspieler mit Mega Pint-Vorlieben auf einer Yacht im Roten Meer über einen Mord, der 2018 die Politik der Region ins Wanken brachte – es wird immer verlässlich bizarr, wenn Johnny Depp die Bühne betritt.
Dass sich der Desert Trip für Johnny Depp schon gelohnt hat, zeigte sich bereits 2023, als die saudische „Red Sea Film Foundation“ bekannt gab, sich an Depps nächstem Regieprojekt „Modi“ zu beteiligen. Es ist ein Film über die wüsten Tage des Malers Amedeo Modigliani, der um 1914 in Paris fast an Alkohol und Drogen zerbrochen wäre. Depp, selbst Maler, scheint gut zu wissen, was er da mit Al Pacino und dem Italiener Riccardo Scamarcio inszenieren will. Ob die Scheichs das verstehen und einen solchen Film in ihren Kinos zeigen werden, wird man sehen.