Prozess gegen VW: Winterkorn teilt aus: „Dinge angemaßt, da hatte er keine Ahnung von“

Am zweiten Tag seiner Vernehmung attackiert Ex-VW-Chef Martin Winterkorn Weggefährten und Untergebene. Alle haben Fehler gemacht, nur er selbst nicht. Sein Auftritt gerät zunehmend zur Farce.

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Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig wird diese Woche ein Mann vernommen, der wohl auch hätte zu Hause bleiben können: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn sagt als Zeuge im Anlegerprozess gegen die Volkswagen AG aus – und erinnert sich an wenig. An diesem zweiten Tag seiner Vernehmung hat sich der Congress Saal in der Stadthalle Braunschweig deutlich geleert.

Winterkorn war lange Jahre für keinen öffentlichen Auftritt vor Gericht zu fassen. Frühere Termine für seine Zeugenaussage mussten aus gesundheitlichen Gründen immer wieder verschoben werden. Dementsprechend groß war das Interesse an dem Mann, der 2015 im Zuge des Dieselskandals seinen Posten als VW-Vorstandsvorsitzender verlor.

Schon am ersten Verhandlungstag wurde klar: Ernsthaft an einer Aufklärung interessiert zu sein, scheint Winterkorn nicht. Immer wieder beantwortet er die Fragen von Richter Christian Jäde mit dem Satz, er erinnere sich an ein Schreiben, Gespräch oder Treffen nicht. Am zweiten Tag nun reagiert Winterkorn bei seiner Vernehmung bissiger. Das letzte Wort seiner Standardantwort betont er meist ganz besonders energisch. Zuweilen scheint er fast entrüstet darüber, dass man ihn fragt, ob er von der Entscheidung seines Konzerns wusste, Abgaswerte illegal zu manipulieren.

Klägeranwalt: „So schlau wie zuvor“

Man sei nach Winterkorns Aussagen „so schlau wie zuvor“, sagt Klägeranwalt Axel Wegner am Rande des Prozesses, der die Musterklägerin Deka Investment vertritt. Immerhin eine Erkenntnis konnte Wegner gewinnen: Wenn der VW-Vorstand offenbar tatsächlich keine Kenntnis davon hatte, dass für den Aktienkurs schädliche Praktiken angewandt wurden, sei dies ebenso fahrlässig. Es könne der Sache der Kläger deshalb nützen, auch wenn Winterkorn angeblich nichts gewusst haben will.

Wegner glaubt jedenfalls an kein schnelles Ende des Prozesses: „Wir rechnen hier nicht mit einer Entscheidung vor 2026“, so Wegner. 2028 könnte dann in nächster Instanz ein Urteil fallen. Nur ein Vergleich zwischen Anlegerinnen und Anlegern und VW könne die Sache beschleunigen. Dazu zeige sich der Konzern aber nicht bereit, so Wegner.

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Die angereisten Aktionäre sind weniger auskunftsfreudig. „Wir sagen nichts“, hört man immer wieder, wenn sie zu ihrer Einschätzung von Winterkorns Auftritt gefragt werden. „Das ist teilweise 18 Jahre her“, sagt ein Kläger zu Capital, der anonym bleiben will. Er zeigt Verständnis für die Gedächtnislücken von Ex-VW-Chef Winterkorn. Um weiter stark in den USA zu bleiben, sei eine neue Strategie nötig gewesen. Dass diese Strategie aber das Gesetz brach, war unverantwortlich.

Im Gegensatz zu den geschädigten VW-Fahrern, scheint es den Anlegern weniger um die illegalen Manipulationen an sich zu gehen, sondern vielmehr darum, dass sie nicht rechtzeitig über den Betrug informiert wurden, um etwa Aktien noch rechtzeitig verkaufen zu können.

Winterkorn zieht über Ex-Mitarbeiter her

Richter Jäde geht bei seiner Befragung chronologisch vor. So ging es zum Beispiel um ein Dokument der Deutschen Umwelthilfe (DUH) aus dem Jahr 2008. Darin beschreibt die DUH, wie lange der Betrug von VW schon bekannt war. Bereits im Jahr 2007 veröffentlichte die DUH eigene Untersuchungen zu von Autoherstellern angewandten, ihrer Auffassung nach illegalen Maßnahmen, wie der Software zur Erkennung des Prüfzyklus und die Verwendung von Abschalteinrichtungen. 2008 schickte die DUH einen Brandbrief an die Bundesregierung und den Verband der Automobilindustrie (VDA), dessen Vorstand Winterkorn zu diesem Zeitpunkt war. In dem Schreiben beschreibt die DUH, wie VW Abgaswerte durch Manipulationssoftware illegal reduziert.

Er habe von alledem nichts gewusst, sagt Winterkorn. Jädes Dokumentenarchiv reicht aber bis in den VW-Konzern hinein. Er führt eine Notiz von Bernd Gottweis an, die der damalige Leiter des Ausschusses für Produktsicherheit bei Volkswagen im Mai 2014 an Winterkorn geschickt hat. Darin informiert Gottweis seinen Chef darüber, dass in den USA „dramatische“ Erhöhungen der Abgaswerte beim VW-Diesel aufgefallen seien.

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„Können Sie sich an diese Notiz erinnern, Herr Winterkorn?“, fragt Richter Jäde. Winterkorn kann. Und setzt zum Gegenschlag an: „Gottweis war für mich ein wichtiger Mann, aber er war jemand, der das Glas immer halb leer gesehen hat. Er hat sich Dinge angemaßt, da hatte er keine Ahnung von.“ Hätte sich ein Techniker an Winterkorn gewandt, wäre er „alarmiert“ gewesen. So ging er Gottweis Warnung nicht nach. Der ehemalige VW-Mitarbeiter Gottweis hatte Winterkorn mit seinen Aussagen in der Vergangenheit schwer belastet. Es wirkt so, als komme seinem früheren Chef die Vernehmung in Braunschweig gerade recht für seine Retourkutsche.

Richter Jäde kommt nun zur einen anderen VW-Legende: Ferdinand Piëch, der von 1993 bis 2002 selbst Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und danach bis 2015 deren Aufsichtsratsvorsitzender war. Jäde bezieht sich auf eine Aussage des 2019 verstorben Piëch. Am Rande einer Aufsichtsratssitzung habe er Winterkorn darauf angesprochen, dass VW ein großes Problem in den USA habe, weil man mit einer Software Abgaswerte manipuliere. Die US-Behörden hätten Hinweise dazu bereits an VW geschickt. Winterkorn habe erwidert: Ein solches Schreiben existiere nicht. Winterkorn stellt das Gespräch anders dar: Er habe Piëch gefragt, ob es in den USA Probleme gebe. Dies habe er verneint.

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