Unter den Solarfirmen herrscht heftiger Streit: Während die einen mit der Schließung von Fabriken drohen, wenn es keine neue Förderung gibt, kämpfen andere gegen die Subventionen. Es geht um Einfluss auf eine politische Grundsatzentscheidung – und um Geschäftsinteressen.
Ende Januar, ein Konferenzzentrum am Berliner Alexanderplatz, wo der Energiegipfel des „Handelsblatts“ läuft, so etwas wie der Jahresauftakt der Energiebranche. Am Morgen hat hier schon Wirtschaftsminister Robert Habeck geredet. Auf die Frage, ob es in fünf Jahren noch eine Solarindustrie in Deutschland gebe, antwortete Habeck knapp: Ja. Das zumindest ist das Ziel des Grünen-Ministers: Er will verhindern, dass Europa bei einer Technologie, die für die Energiewende mitentscheidend ist, bald blank dasteht.
Nun ist es Nachmittag, auf dem Podium sitzen zwei führende Vertreter der hiesigen Solarbranche: Gunter Erfurt, Chef des Schweizer Unternehmens Meyer Burger, das in Fabriken in Sachsen-Anhalt und Sachsen Solarzellen und Module produziert, und Mario Kohle, Gründer und CEO des Berliner Solar-Start-ups Enpal, das sich als „Deutschlands führender Anbieter von Lösungen im Bereich der erneuerbaren Energien“ bezeichnet. Was als freundlicher Talk beginnt, führt bald zu einem Disput zwischen den Managern.
Enpal-Chef Mario Kohle
© Enpal
Woher Enpal seine Module beziehe, will der Moderator wissen. Aus China, sagt Kohle. Warum nicht von Meyer Burger? Na ja, sagt Kohle, wenn man „kompetitive Solarpakete“ anbieten wolle, dann täten dies heute alle Anbieter mit chinesischen Herstellern. Es gehe nun einmal in erster Linie um den Preis. Aber Enpal habe sich ja bereit erklärt, in Zukunft auch Module aus deutscher Produktion anbieten zu wollen. Dies ist der Punkt, an dem Erfurt dazwischen geht: „Ihr müsst es einfach nur machen. Andere machen es ja auch.“ Was zu der Frage des Moderators an Kohle führt: Warum bieten Sie denn keine Module aus Europa an? Der Enpal-Chef schweigt lange, setzt zu einer Antwort an, irgendwann sagt er: „Nehmen Sie uns beim Wort, dass wir es tun werden.“
Hersteller drohen mit Fabrikschließungen
Der Schlagabtausch auf der Bühne illustriert einen Konflikt, der sich mitten durch die hiesige Solarwirtschaft zieht. Auf der einen Seite: Junge Unternehmen wie Enpal, 1Komma5° oder Zolar, deren Geschäft in erster Linie der Verkauf und die Vermietung von Komplettpaketen mit Solaranlagen und Speichern an Privathaushalte ist und die dabei unter massivem Wachstumsdruck ihrer Geldgeber stehen. Bei ihnen ist die Bereitschaft gering, höhere Preise für Endkunden in Kauf zu nehmen, um der heimischen Produktion das Überleben zu ermöglichen – solange die Chinesen billig und zuverlässig liefern. Die Start-ups, die seit einigen Jahren die altgedienten Anbieter mit innovativen und aggressiven Vertriebsmethoden herausfordern, fürchten, dass staatliche Eingriffe zu neuer Bürokratie und Verunsicherung bei den Kunden führen.
Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, die noch hierzulande Solarzellen, Module und andere Komponenten produzieren. Sie fühlen sich von den staatlich unterstützten Solargiganten aus China, die den Weltmarkt beherrschen und ihre Module in Europa mitunter unter ihren Produktionskosten verkaufen, ins Aus gedrängt und kämpfen mit Verlusten. Die Modulhersteller Meyer Burger, Solarwatt und Heckert Solar haben bereits angekündigt, ihre Produktion in Deutschland herunterzufahren oder gar zu schließen, wenn die Bundesregierung nicht bald gegen „Preisdumping“ und „Marktverzerrungen“ vorgeht. Retten soll sie eine neue Förderung speziell für europäische Produkte.
Seit Anfang des Jahres ist der Konflikt zwischen den Lagern offen ausgebrochen, Attacken und wechselseitige Vorwürfe inklusive. Besonders eingeschossen haben sich die Vertriebs-Start-ups auf Meyer-Burger-Chef Erfurt, der besonders offensiv für neue Förderungen kämpft und damit droht, die Fabriken seines börsennotierten Konzerns in die USA zu verlagern, wo der Staat mit üppigen Subventionen winkt. Die Kritiker werfen Erfurt vor, mehr in eigener Sache zu lobbyieren als im Interesse aller, die einen möglichst schnellen Zubau an neuen Solaranlagen wollen. Ende Januar beendete 1Komma5°-Chef Philipp Schröder eine Diskussion mit Erfurt auf dem Netzwerk Linkedin mit einem Kontaktbann.
Vorkämpfer für mehr Förderung: Meyer-Burger-Chef Gunter Erfurt (r.) bei einem Werksbesuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
© Soeren Stache/dpa
Habeck will Bonus für europäische PV-Anlagen
Die jetzige Eskalation innerhalb der Branche hängt damit zusammen, dass die Politik in nächster Zeit eine Entscheidung treffen muss: Stützt sie die verbliebenen heimischen Hersteller von Solartechnik oder lässt sie sie fallen? Es ist eine Entscheidung von großer Tragweite – für die künftige Energieversorgung des Landes und die Solarbranche in Deutschland.
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht dabei ein Solarpaket, über das der Bundestag nach bisheriger Planung kommende Woche entscheiden soll. In dem Paket will Wirtschaftsminister Habeck auch ein neues Förderinstrument für die heimische PV-Industrie unterbringen: sogenannte Resilienzboni – höhere Einspeisevergütungen für Anlagen und Komponenten aus europäischer Produktion. Damit sollen Hausbesitzer einen Anreiz erhalten, Photovoltaiksysteme aus Europa zu kaufen, auch wenn diese teurer sind als die Pakete chinesischer Hersteller. Habecks Ziel: die PV-Produktion mitsamt der Solarforschung in Deutschland und Europa zumindest halten, um bei der Photovoltaik nicht komplett von einem autokratisch regierten Land abhängig zu sein – ähnlich wie lange beim Gas aus Russland.
Doch bis zuletzt war das Förderinstrument unter den Energiepolitikern der Ampel umstritten. Während SPD und Grüne Habecks Vorschlag stützen, lehnt die FDP solche Markteingriffe ab. Man könne einen „Preiswettbewerb mit Niedriglohnländern“ nicht gewinnen, argumentiert der FDP-Energieexperte Michael Kruse. Falls es tatsächlich Preisdumping und unfairen Wettbewerb gebe, müsse dieser über die Welthandelsorganisation bekämpft werden – statt einzelne Hersteller mit einer „zusätzlichen Milliardensubvention“ zu fördern.
Zudem, so die Kritik der FDP, vermisse man von Habeck ein „vernünftiges Finanzierungskonzept“. Nach Berechnungen von Fraunhofer-Experten würden die Resilienzboni die Kosten für die Solarförderung pro Jahr um einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag erhöhen. Finanziert wird die EEG-Förderung aus dem Klimafonds KTF – der bekanntlich jüngst vom Bundesverfassungsgericht zurechtgestutzt wurde. Am Ende könnte ein Kompromiss in der Ampel auch so aussehen, dass es anstelle von neuen Boni für europäische Anlagen zu Förderkürzungen für die Einspeisung von Strom aus PV-Systemen aus China kommt. Auch dann gäbe es einen Anreiz für die Kunden – und der Bund würde auch noch Geld sparen, wenn auch womöglich zulasten der Nachfrage.
Energiekrise erneuerbare 20:08
Eingriffe führen zu Gewinnern und Verlierern
Wie immer, wenn die Politik über Markteingriffe oder neue Förderregime entscheidet, geht es für die Unternehmen in diesem Markt um eine einfache Frage: Wer gewinnt? Und wer verliert? Auch von den Resilienzboni würden längst nicht alle Unternehmen in der Solarindustrie profitieren. Manche Firmen befürchten sogar negative Auswirkungen auf ihr Geschäft, was die Schärfe des brancheninternen Krachs erklärt. Am Ende kämpft auch in der Ökoenergie-Branche jeder zuerst für seine eigene Interessen – und erst dann für eine bessere Welt.
Das gilt umso mehr, seitdem sich der vom russischen Überfall auf die Ukraine und dem kräftigen Strompreisschub ausgelöste Nachfrageboom bei Privatkunden seit Mitte 2023 deutlich abgekühlt hat. In diesem Jahr könnte der Solar-Zubau in Deutschland sogar wieder unter die Marke von zehn Gigawatt sinken, erwartet Peter Knuth, Chef der PV-Fachbetriebskette Enerix – nach enormen 14 Gigawatt 2023. Die Entwicklung macht es für die auf rasantes Wachstum getrimmten Start-ups schwerer, ihre Umsatzziele zu erreichen.
Zu den Gewinnern zählen würden in erster Linie jene Firmen, die wichtige Komponenten für Solaranlagen herstellen – allen voran Meyer Burger, heute Europas einziger Produzent von Modulen mit in Europa selbst gefertigten Solarzellen im Gigawattmaßstab. Hinzu kommen Modulhersteller wie Solarwatt aus Dresden oder Heckert Solar aus Chemnitz. Aber auch heimische Unternehmen, die Vorprodukte und Bauteile für die PV-Systeme liefern, würden ein Stück weit profitieren – von den Produzenten und Weiterverarbeitern von Silizium bis hin zu Herstellern von Wechselrichtern.
Dagegen sorgen sich einige Unternehmen, die ihr Geschäft mit dem Verkauf oder der Vermietung von Komplettpaketen an private Haushalte machen, um ihre Umsätze und Ausbauzahlen. Mitte Januar warnten die Newcomer Enpal, 1Komma5°, Energiekonzepte Deutschland und Zolar, die sich sonst untereinander nicht immer grün sind, in einem gemeinsamen Aufruf vor dem „Prinzip Gießkanne“. Es bestehe die Gefahr, dass das Marktsegment für kleine Dachanlagen, das ohnehin unter Druck stehe, durch die Resilienzboni „weiter gefährdet würde“.
Eine „plumpe Erhöhung der Einspeisevergütung“, so die vier Start-ups in ihrer Stellungnahme, „hätte gravierende Folgen“ – wegen kaum kalkulierbarer Kosten für die Boni den Bund, aber auch wegen der Gefahr, dass die Ankündigung von Förderungen dazu führe, dass Endkunden Investitionen aufschieben, bis mehr Klarheit herrscht. Die Folge: ein zeitweiser „kompletter“ Einbruch der „vorhandenen und nachhaltigen“ Nachfrage.
Bei Enpal und Co verweist man dazu als Beleg auf die Erfahrungen mit einem schlecht umgesetzten Förderprogramm von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) im vergangenen Herbst: Das Förderchaos führte dazu, dass viele Kunden sogar ihre Aufträge für PV-Anlagen stornierten.
Auch die vier Firmen, die zusammen auf 8.000 Mitarbeiter und rund 2 Mrd. Euro Umsatz kommen, halten es für sinnvoll, dass Europa in der PV-Industrie resilienter wird und seine Abhängigkeit von China reduziert. Doch um dies zu erreichen, fordern sie einen anderen Weg als über die privaten Endkunden: eine direkte Förderung für den Aufbau von Produktionskapazitäten wie im Fall der Halbleiterindustrie und spezielle Ausschreibungen, an denen nur Anlagen aus europäischer Produktion teilnehmen können. Der Vorteil: Bei den wettbewerblich angelegten Auktionen, die das EEG vorsieht, geht es um große Dachanlagen und Solarparks – ein anderes Marktsegment, das die Newcomer praktisch nicht betrifft.
„Interessenverband für mehr Subventionen“
Nicht immer war das Verhältnis zwischen den schon länger am Markt aktiven Herstellern und den Herausforderern aus der Start-up-Szene so schlecht. Im Februar 2023 etwa initiierte Enpal einen Appell an die Bundesregierung, die heimischen Unternehmen entlang der gesamten Produktionskette stärker zu unterstützen, um den Wiederaufbau der europäischen PV-Industrie zu ermöglichen. Unterschrieben wurde der Aufruf auch von Meyer Burger und Solarwatt. Noch vor einigen Monaten signalisierte zudem manch ein Start-up-Chef seinem Meyer-Burger-Kollegen Erfurt im persönlichen Austausch, das Konzept der Resilienzmaßnehmen zu unterstützen.
Umso heftiger wird nun der Kampf zwischen den Lagern ausgetragen. Vergangene Woche trat das Hamburger Solar-Unicorn 1Komma5° unter lautstarkem Protest aus dem Branchenverband BSW aus – weil dieser die Forderung nach Resilienzboni unterstützt. Der BSW sei „ein Interessenverband für mehr Subventionen“, schimpfte 1Komma5°-Chef Schröder, der mit seinem Unternehmen für 2025 einen Börsengang anpeilt. Man selbst wolle dagegen schrittweise von Förderung unabhängig werden. Zudem würden von den Boni nur einige wenige Unternehmen profitieren. Schröders Unternehmen ist jüngst selbst in die Modulproduktion eingestiegen, zunächst mithilfe von Partnern in China, will aber nach eigenem Bekunden bald in Deutschland fertigen.
Gegner neuer Subventionen: 1Komma5°-Chef Philipp Schröder
© Sebastian Gabriel / picture alliance
Am Montag legten dann Schröders Kollegen von Enpal nach. Die Resilienzboni gefährdeten Arbeitsplätze und die Energiewende, warnte das Unternehmen. Es sei „keine Zeit für Experimente“, mit der neuen Förderung drohe am Markt wie im vergangenen Herbst ein Chaos. „Für die Solarbranche ist das ein verheerendes Stop-and-Go, das Tausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzt“, warnte Enpal-Chef Kohle. „Die Kunden können nicht monatelang für überförderte Module Schlange stehen, die es in der Menge gar nicht gibt.“ Die Boni könnten gar „monopolartige Strukturen“ befördern und den Eintritt neuer Anbieter in der Solarindustrie verhindern, sagte Kohle – wohl nicht zuletzt mit Blick auf Meyer Burger.
In anderen Teilen der Energiebranche wird der Kampf der Herausforderer gegen Habecks geplante Förderung dagegen mit Stirnrunzeln beobachtet. Nicht nur der Solarverband BSW hat sich für die Resilienzboni ausgesprochen, sondern auch der einflussreiche Energieverband BDEW, ebenso wie der Maschinenbauverband VDMA.
Unter anderem verweisen die Boni-Befürworter darauf, dass die Kritiker nur mit vagen Annahmen über einen drohenden Nachfrageeinbruch im Fall der neuen Förderung argumentierten. Ebenso abstrakt bleibe die Warnung vor einem Jobabbau, falls die Boni eingeführt würden. Und mit Blick auf die Warnung vor möglicherweise ausufernden Kosten der Förderung heißt es bei einem Solarhersteller: „Wenn Enpal ein so hohes Kundeninteresse am Resilienzbonus erwartet, warum nimmt Enpal dann keine Module mit europäischen Komponenten in sein Portfolio auf?“ Darüber hinaus sei die Aussage nicht zutreffend, dass von den Resilienzboni nur einige wenige Hersteller von Zellen und Modulen profitieren würden, sondern auch andere Firmen entlang der Wertschöpfungskette.
Bis zu einer Entscheidung im Bundestag dürfte die Auseinandersetzung innerhalb der Branche weitergehen – öffentlich, aber auch hinter den Kulissen. Beide Lager haben dazu längst ihre Lobbykontakte in die Politik in Bund und Ländern aktiviert. In der Vergangenheit erfreuten sich die Greentech-Start-up einer gewissen Sympathie in den Ampel-Parteien. Bei Enpal pflegt man gute Drähte zu FDP und Grünen, 1Komma5°-Chef-Schröder ist vor einigen Jahren der CDU beigetreten – die zuletzt ihrerseits Unterstützung für die Resilienzboni signalisiert hatte.
Am Montag sagte Wirtschaftsminister Habeck über die Resilienzboni: „Ich hoffe, dass das jetzt zeitnah zum Abschluss kommt.“ Ob und auf welche Weise ihm die Ampel-Koalition dabei folgt, wird sich womöglich erst kurz vor der Abstimmung entscheiden.