Wenn das eigene Kind plötzlich AfD-Parolen nachahmt, wird es kompliziert. Wie spreche ich das Thema am besten an? Wir haben einen Experten um Rat gefragt.
Die AfD ist ein ernstes Thema – auch in Deutschlands Kinderstuben. Vor wenigen Tagen erst hatte eine stern-Kollegin die ernüchternde Erkenntnis: „Mein Kind würde die AfD wählen“. Sie war entsetzt darüber, dass ihr 14-jähriger Sohn ohne erkennbaren Anlass plötzlich mit platten, menschenverachtenten Sprüchen aus dem rechten Spektrum auffällig geworden war. Verantwortlich dafür, so fand die Kollegin heraus, war der Podcast „Hoss & Hopf“, der seit Herbst 2022 Kinder und Jugendliche mit AfD-nahen Parolen und einem populistischen Weltbild indoktriniert.
Nach eigenen Angaben erreicht das Format monatlich rund zwei Millionen individuelle Hörer. In den Podcastranglisten von Plattformen wie Spotify oder Apple belegt „Hoss & Hopf“ regelmäßig vordere Plätze. Das bedeutet: Jede der bislang 144 Folgen wird hunderttausendfach von Jungen und Mädchen gehört. Das heißt aber auch: hunderttausendfach die Gelegenheit, Hass, Hetze und rechtes Gedankengut in die noch formbaren Herzen und Hirne der Kinder und Jugendlichen zu pflanzen.
Zwar haben die Betreiber der Videoplattform Tiktok den offiziellen Account von „Hoss & Hopf“ inzwischen verbannt, doch die beiden Podcaster sind nur ein Beispiel für eine ganze Reihe dubioser Vorbilder, die sich im Netz tummeln und versuchen, junge Menschen mit rechten Parolen zu verführen. Und spätestens, wenn ihr Kind plötzlich gegen Flüchtlinge hetzt oder mit AfD-Sprech auffällt, fragen sich Eltern: Was ist da passiert? Und wie kann ich das Thema mit meinem Kind am besten besprechen?
Mein Sohn würde die AfD wählen 11.24
Für solche Fragen ist Thorsten Niebling zuständig. Er arbeitet bei der hessischen Beratungsstelle „Rote Linie“ und ist Co-Leiter der Pädagogischen Fachstelle Rechtsextremismus. In seiner Arbeit ist er spezialisiert auf den Umgang mit Jugendlichen, die sich am rechten Rand bewegen. „Uns erreichen seit einigen Wochen vermehrt Anfragen aus Schulen“, sagt der Sozialpädagoge im Gespräch mit dem stern. „Die Themen der extremen Rechten haben wieder Konjunktur und machen auch vor den Jüngsten nicht Halt.“ Das zeige, so Niebling, wie stark sich der gesellschaftliche Diskurs inzwischen verändert habe.
Experte Torsten Niebling: „Die Themen der Rechten haben Konjunktur“
© Privat
Wie spreche ich mit meinem Kind über die AfD?
Für die Eltern ist es meist ein Schock, wenn sie mitbekommen, wie ihr Kind nach rechts abdriftet – gerade, wenn sie womöglich ein ganz anderes Weltbild haben und in dem Glauben lebten, ihrem Kind dies auch in der Erziehung weitergegeben zu haben. In dieser aufgeheizten Atmosphäre das Gespräch zu suchen, stellt Eltern oft vor große Herausforderungen.
Bei der Kommunikation mit den Kindern komme es vor allem auf eine emotionale Ansprache an, sagt Rechtsextremismus-Fachmann Niebling: „Es hilft, wenn Eltern sich dafür interessieren, was ihre Kinder sich anschauen und welche Quellen sie für ihre Meinungsbildung nutzen.“
Aber wie genau führt man am besten so ein Gespräch mit seinem Kind? Im stern verrät Niebling sieben Sätze, die er Eltern für eine solche Diskussion mit auf den Weg gibt.
Ich bin interessiert an den Sachen, die du dir angesehen hast.
Es ist enorm wichtig, den jungen Menschen zu signalisieren, dass man Interesse an seinem Leben hat. Wenn eine offene Kommunikationskultur innerhalb der Familie herrscht, dann kann man auch über schwierige Themen leichter sprechen. Es gilt also auch bei fragwürdigen Aussagen erst einmal Interesse daran zu bekunden, welchen Hintergrund sie haben, anstatt reflexartig in Vorwürfe oder Abwehr zu verfallen.
Du bist alt genug, um politische Themen zu beurteilen. Aber es gibt zu dem Thema auch andere Meinungen, die du kennen solltest.
Mit diesem Satz signalisieren Eltern, dass sie ihr Kind und seine Ansicht ernst nehmen. Das ist elementar für ein Gespräch auf Augenhöhe, bei dem auch die Eltern ihre politische Meinung darlegen und erläutern können. Man sollte der Meinung des Kindes nicht direkt kritisch begegnen, sondern lieber hinterfragen, was dahintersteckt und auf emotionaler Ebene Verständnis zeigen.
Angst kann leicht zu Hass führen. Warum wird hier jemand angeprangert?
Rechtsextreme Ansichten sind oft mit Angst verbunden. Angst vor Menschen, die anders aussehen, Angst davor, dass die Welt aus den Fugen gerät. Wenn das Kind vor allem angstbezogene Aussagen trifft, kann man hier nachhaken. Was genau macht ihm Angst? Wer wird angeprangert – und aus welchem Grund? Solche und ähnliche Fragen helfen den jungen Menschen dabei, ihre Ansicht selbst noch einmal zu hinterfragen. Eltern vermeiden so außerdem, vorwurfsvoll zu agieren.
Es gibt etwas, was mir und vielleicht auch dir wichtig ist: Menschlichkeit, Freiheit, Pressefreiheit, Demokratie, Toleranz und Hilfsbereitschaft. Wo findest du das hier wieder?
Kinder mögen einfache Antworten. Unsere komplexe Welt macht das leider manchmal schwierig. Indem wir ihnen vorleben und zeigen, welche Werte uns – und in den meisten Fällen auch ihnen – wichtig sind, können wir dazu einladen, die eigenen Idole aufmerksamer zu betrachten. Und im Dialog über die eigenen Werte lernen wir außerdem, was unserem Kind wichtig ist und welche Bedürfnisse es durch seine Ansicht vielleicht zu erfüllen versucht. Oft geht es dabei nicht um die Inhalte von rechten Akteuren, sondern vielmehr um eine emotionale Ebene, um Zugehörigkeit oder Anerkennung.
Was will dieser Mensch mit dem Inhalt bei dir auslösen?
Machen Sie einen Perspektivwechsel mit Ihrem Kind. Was bringt es beispielsweise „Hoss und Hopf“, dass so viele Jugendliche ihre Inhalte feiern und teilen? Welche Ziele verfolgen die Macher mit ihrem Podcast? Und gibt es vielleicht andere Sichtweisen auf das Thema, die hier weggelassen werden? Ein solches Gedankenspiel ermöglicht es Ihrem Kind, das Ganze nochmal anders zu betrachten. Eltern umgehen so außerdem der Gefahr, ihm direkt die eigene Sichtweise überstülpen zu wollen.
Auch, wenn es manchmal so wirkt: Du musst dich nicht positionieren.
Die Welt teilt sich in Lager auf, so wirkt es zumindest gelegentlich. Für Kinder ist das häufig verwirrend. Sie lernen in den Medien und auf Social Media oft: wer nicht links ist, ist rechts. Das sorgt laut Niebling für Druck, sich zu positionieren. Als Elternteil kann man diesen Druck nehmen, indem man die gesellschaftlichen Entwicklungen einordnet und erklärt, dass es nicht nur schwarz und weiß oder links und rechts gibt auf dieser Welt, sondern noch jede Menge dazwischen.