„Aufgeregte Debatten zur Unzeit“: Mit scharfen Worten hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor weiteren Diskussionen über einen europäischen Atom-Schutzschirm ohne die USA gewarnt. Dies sei eine völlig unnötige „Eskalation“, sagte Pistorius am Mittwoch zu Vorstößen anderer Sozialdemokraten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht gar die „Glaubwürdigkeit“ der bestehenden atomaren Abschreckung in Gefahr.
Stoltenberg sagte am Rande eines Verteidigungsministertreffens im Nato-Hauptquartier, die US-Atomwaffen in Europa und die nukleare Teilhabe Deutschlands und anderer Länder seien „ein funktionierendes nukleares Abschreckungsmittel“. Die Mitgliedsländer dürften „nichts tun, um die Glaubwürdigkeit all dessen zu untergraben“, sagte Stoltenberg zur Frage nach der deutschen Atomwaffen-Debatte.
Pistorius sagte in Brüssel, es bringe nichts, jedes Zitat aus dem US-Wahlkampf auf die Goldwaage zu legen. Die Europäer dürften „nicht ständig wie das Kaninchen auf die Schlange“ starren, sondern müssten ihre Hausaufgaben machen.
Damit spielte der Minister auf die Äußerungen des früheren Präsidenten Donald Trump an. Dieser hatte als aussichtsreichster republikanischer US-Präsidentschaftsbewerber gedroht, er werde im Fall eines Wahlsiegs im November anderen Nato-Ländern im Angriffsfall nicht beistehen, wenn sie nicht genug in die Verteidigung investierten.
Trump habe die US-Atomwaffen zudem gar nicht angesprochen, betonte Pistorius. Er wandte sich damit auch gegen Überlegungen in den Reihen der Sozialdemokraten. Neben der SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen, Katarina Barley, hatte sich auch der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) für eine Diskussion über eine solche gemeinsame europäische Abschreckung ausgesprochen.
Pistorius sieht auch keinen Anlass, auf das Angebot des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einzugehen, der Deutschland und den anderen EU-Partnern mehrfach eine Kooperation bei der nuklearen Abschreckung angeboten hatte. Pistorius sagte, es gebe den US-Schutzschirm, „und wir sollten ihn nicht von uns aus leichtfertig aufgeben oder in Frage stellen“.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwochausgabe) dafür ausgesprochen, Macrons Kooperationsangebote wenigstens zu prüfen. „Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump sollten wir als Aufforderung verstehen, dieses Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der Nato weiterzudenken“, schrieb Lindner.
Als Reaktion auf Trumps Äußerungen legte Bündnis-Generalsekretär Stoltenberg neue Zahlen zu den Verteidigungsausgaben der Nato-Länder vor. Nach seinen Angaben geben in diesem Jahr 18 der 31 Verbündeten mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aus.
Stoltenberg ermahnte die 13 anderen Nato-Länder, ihren Verpflichtungen rasch nachzukommen. Er erinnerte an den Gipfelbeschluss aus dem vergangenen Jahr. „Diese zwei Prozent sind ein Minimum“, betonte der Norweger.
Die Bundesregierung geht von einer Quote von 2,1 Prozent aus. Auf die Frage, warum die Schätzung der Nato dann nur knapp über zwei Prozent liege, reagierte Pistorius „mit einem Schmunzeln“. In seiner Heimat Niedersachsen gebe es den Spruch: „Ein gutes Pferd springt nicht höher als es muss.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb im Onlinedienst X, mit mehr als zwei Prozent des BIP habe Deutschland „das höchste Verteidigungsbudget in Europa“. Das sei „richtig so – für Sicherheit und Verlässlichkeit“.
Unter anderem Spanien, die Türkei und Belgien tun sich Diplomaten zufolge mit der Vorgabe weiter schwer, Frankreich will die Zielmarke erst im kommenden Jahr erreichen.
Auf Vorschlag von Deutschland und Frankreich unterzeichneten insgesamt 14 Länder mit der Ukraine in Brüssel eine Absichtserklärung zur Luftverteidigung. Damit sollen künftige Lieferungen besser koordiniert und die Systeme aufeinander abgestimmt werden. Deutschland macht zudem in einer „Panzer-Koalition“ unter Führung Polens mit, wie Pistorius sagte.
Am Donnerstag kommt der Nato-Ukraine-Rat zusammen. Daran nimmt der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow teil, voraussichtlich per Video.