„AfD-Verbot“ ist dieser Tage bei Demonstrationen häufig auf Transparenten und Plakaten zu lesen. Doch die drei Verfassungsorgane, die ein solches Verbot beantragen könnten, zögern. Warum?
Dass die AfD und ihre Nachwuchsorganisation, die Junge Alternative (JA), von Jahr zu Jahr mit radikaleren Sprüchen auffallen, ist in Gutachten, Gerichtsentscheidungen und Protokollen von Plenarsitzungen nachzulesen. Dennoch hält eine Mehrheit von Verfassungsrechtlern und Politikern bislang nichts von dem bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zuletzt oft vorgetragenen Wunsch nach einem Verbot der Partei.
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, glaubt sogar, ein voreilig gestellter Antrag auf ein Verbot der AfD würde der Partei in den 2024 anstehenden Wahlkämpfen einen Vorteil verschaffen. Tatsächlich könnte sie dadurch für Protestwähler womöglich noch attraktiver werden.
Verbotsantrag könnte AfD im Wahlkampf nutzen
„Wir müssen die AfD, einschließlich ihrer Untergliederungen vor allem politisch bekämpfen und bei jedem Verbotsverfahren sehr sorgfältig prüfen, ob es dieser Partei, zumindest kurzfristig, nicht mehr nutzen als schaden könnte“, sagt der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, der Deutschen Presse-Agentur. Bis eine Entscheidung über einen solchen Antrag vorläge, würden nach Einschätzung von Fachleuten wahrscheinlich mehrere Jahre vergehen.
Da bei der Nachwuchsorganisation der AfD, der Jungen Alternative (JA), offenbar eine „immer weiter fortschreitende Radikalisierung“ zu beobachten sei, wäre es aber gerechtfertigt, ein Verbot dieses Vereins zumindest sorgfältig zu prüfen, sagt Krings. „Entscheidend und unverzichtbar für ein erfolgreiches Verbot sind dabei die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes“, betonte der Jurist und CDU-Politiker. Über diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Informationen verfüge jedoch nur die Bundesregierung, nicht die Opposition. Daher sei die Bundesregierung hier am Zuge, eine Einschätzung abzugeben, auf deren Grundlage dann auch nur sie ein solches Verbot aussprechen könne.
Darüber, ob eine Partei verboten wird, entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Einen entsprechenden Antrag kann der Bundestag stellen. Auch die Bundesregierung und der Bundesrat haben diese Möglichkeit. Einen überregional agierenden Verein kann dagegen nur die Bundesinnenministerin verbieten. Ministerin Nancy Faeser (SPD) hatte im vergangenen Jahr etwa die Neonazi-Gruppierung „Hammerskins Deutschland“ verboten.
Schlappe für Junge Alternative vor Gericht
Das Kölner Verwaltungsgericht hat vergangene Woche einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt, mit dem die AfD und die JA versucht hatten, eine Beobachtung der Jungen Alternative als gesichert extremistische Bestrebung durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Die AfD-Nachwuchsorganisation hat dagegen Beschwerde eingelegt. Zu den vom Gericht angeführten Gründen zählen unter anderem Verbindungen zu als verfassungsfeindlich eingestuften Gruppierungen wie der Identitären Bewegung und dass die JA einen „völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff vertritt“.
Unter Fachleuten ist allerdings umstritten, ob die JA als eigenständige Gruppierung anzusehen ist oder nicht. Schließlich sind JA-Mitglieder als AfD-Abgeordnete in Parlamente eingezogen beziehungsweise in den Bundesvorstand der Partei gewählt worden.
Grünen-Obmann zweifelt an Eigenständigkeit der JA
Auch der Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestages, Marcel Emmerich, ist skeptisch. Er sagt, die AfD „verfolgt das Ziel, unseren demokratischen Rechtsstaat und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu zerstören“. Und dass eine wehrhafte Demokratie alle rechtsstaatlichen Maßnahmen sorgfältig prüfen müsse, was auch ein Verbotsverfahren einschließe. Dass die Parteijugend der AfD „eindeutig verfassungsfeindliche Ziele“ vertrete, sei für ihn klar, sagt Emmerich der dpa. Dennoch hat er, was ein Verbot der JA durch die Bundesinnenministerin angeht, Bedenken. Der Grünen-Abgeordnete sagt: „Es stellt sich aber ganz grundsätzlich die Frage, ob die AfD-Jugendorganisation eine eigenständige Organisation ist oder ob sie eher als Teil der Partei betrachtet werden muss.“
Ende Januar hat der Bundesrat eine Petition mit dem Titel „AfD-Verbot prüfen!“ entgegengenommen, die seit Mitte August rund 800.000 Menschen unterzeichnet hatten. Die gleiche Forderung war in den vergangenen Wochen bei zahlreichen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus und für den Schutz der Demokratie erhoben worden. Auslöser für die Proteste waren Enthüllungen des Medienhauses Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter im November in Potsdam, an dem auch AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten.
Ehemaliger Verfassungsrichter rät zum Abwarten
Der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio beurteilt die Erfolgschancen eines Antrags auf ein Verbot der AfD momentan als gering, zumindest wenn man nur auf das Programm der Partei und die öffentlichen Äußerungen ihres Führungspersonals schaut. Bei einer Aufzeichnung des Podcasts „Einspruch“ der „FAZ“ sagte er im Januar: „Das, was ich von außen sehen kann, ohne nachrichtendienstliche Quellen, da bin ich eigentlich ziemlich sicher, dass das nicht ausreicht.“ Er wolle daher davor warnen, einen solchen Antrag, über den vermutlich erst in einem Jahr oder in zwei Jahren entschieden würde, jetzt zu stellen. Der Jurist fügte hinzu: „Die AfD, das kann man, glaube ich, ohne nachrichtendienstliche Beobachtung sagen, hat sich radikalisiert seit ihrer Gründung, und wenn das so weitergeht mit der Radikalisierung, dann sollte man das Pulver trocken halten für eine künftige Entwicklung.“ Denn falls 2025 oder 2026 ein Verbotsantrag abgelehnt würde, wäre es aus Sicht von di Fabio sehr schwer, einen neuen Antrag zu stellen, falls es im Jahr 2027 eine „ernsthaft verfassungsfeindliche AfD“ geben sollte.
Dass ein solcher Verbotsantrag gestellt wird, ohne dass der Verfassungsschutz die Gesamtpartei als gesichert rechtsextremistisch einstuft, gilt ohnehin als unwahrscheinlich. Ob das in absehbarer Zeit geschehen wird, hängt stark davon ab, welche Positionen führende Politiker und Politikerinnen der Partei intern und öffentlich vertreten und mit welchen extremistischen Gruppierungen sie regelmäßigen Kontakt pflegen. Zunächst wird der Nachrichtendienst ohnehin eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster abwarten. Dort geht es Mitte März in einer Berufungsverhandlung um die Frage, ob eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln Bestand hat. Das hatte die Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erlaubt.