Schon länger steht VW wegen seines Werks im chinesischen Xinjiang in der Kritik. Nach dem Rückzug von BASF aus der Provinz verhandelt nun auch VW mit seinem chinesischen Partner über den Standort.
Nach dem Chemiekonzern BASF prüft nun auch Volkswagen eine Neuordnung seiner Geschäfte in der chinesischen Region Xinjiang. Hintergrund sind Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen. „Der Volkswagen Konzern befindet sich derzeit in Gesprächen mit dem nicht kontrollierten Joint Venture Saic-Volkswagen über die künftige Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten in der Provinz Xinjiang“, sagte ein Konzernsprecher am Mittwoch der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX und der Deutschen Presse-Agentur. „Derzeit werden verschiedene Szenarien intensiv geprüft.“ Ob dabei auch ein Rückzug aus der Region zur Diskussion steht, ließ der Sprecher auf Nachfrage offen. Zum Inhalt der laufenden Gespräche äußere man sich nicht.
Der 2013 eröffnete VW-Standort Urumqi steht wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen in der von Uiguren bewohnten Provinz in der Kritik. Der Konzern hatte im Sommer ein Unternehmen beauftragt, die Arbeitsbedingungen in dem umstrittenen Werk in Xinjiang mit Blick auf die Vorwürfe zu untersuchen. Die Prüfer teilten im Dezember mit, man habe keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden können.
VW hatte bisher darauf verwiesen, dass es sich bei dem Werk Urumqi in Xinjiang um ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem chinesischen Hersteller Saic handele, bei dem der Partner die Kontrollmehrheit habe. Der Vertrag läuft noch bis 2029.
Neue Vorwürfe rund um Bau einer Teststrecke
Am Mittwoch berichtete das „Handelsblatt“, beim Bau einer zum Standort gehörenden Teststrecke im Ort Turpan in der Region könnten Zwangsarbeiter zum Einsatz gekommen sein. Die Zeitung beruft sich dabei auf Hinweise von VW-Mitarbeitern sowie Nachforschungen des Wissenschaftlers Adrian Zenz. Ein VW-Sprecher teilte mit, bisher hätten dem Konzern keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Testgelände vorgelegen. Bei neuen Erkenntnissen oder Hinweisen werde VW diesen nachgehen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Die Teststrecke sei nicht Teil der Überprüfung der Geschäfte in Xinjiang durch das Beratungsunternehmen gewesen, räumte VW ein. „Eine Auditierung der Teststrecke in Turpan im Rahmen des zurückliegenden ESG-Audits am Standort Urumqi war nicht möglich.“ Die beiden Einrichtungen gehörten unterschiedlichen Betreibergesellschaften. Eine eigene Überprüfung des Testgeländes in Turpan hätte mit dem chinesischen Joint-Venture-Partner Saic sowie den zuständigen Stellen in China abgestimmt und genehmigt werden müssen. „Zunächst hatte eine Prüfung des Joint-Venture-Werkes in Urumqi Priorität“, teilte VW mit. Auch zum Vorgehen im Hinblick auf das Testgelände stehe man mit Saic im Austausch.
BASF kündigt Rückzug aus Xinjiang an – Forderungen von Politikern
Der Chemiekonzern BASF hatte am Freitag angekündigt, Anteile an seinen beiden Gemeinschaftsfirmen im chinesischen Korla im Zentrum der Region Xinjiang zu verkaufen, und dabei auch auf jüngste Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen verwiesen. Mehrere Politiker hatten daraufhin Volkswagen aufgefordert, dies ebenfalls zu tun.
„Volkswagen spricht gerne von Integrität und Vorbildfunktion unabhängig von ökonomischem oder sozialem Druck“, sagte am Mittwoch die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen dem „Handelsblatt“. „Wer sich diesem Grundsatz wirklich verpflichtet fühlt, der verabschiedet sich aus Xinjiang.“ Der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand, forderte im „Tagesspiegel“ die Schließung des VW-Werks in Xinjiang: „Eigentlich ist der Skandal bei VW noch einmal größer als bei der BASF, weil das Land Niedersachsen sich als Anteilseigner mitschuldig macht.“ Das von einer rot-grünen Koalition geführte Niedersachsen hält eine Beteiligung von 20 Prozent der Stimmrechte am Volkswagen-Konzern.
„Die Berichterstattung zu den Bedingungen, unter denen die Teststrecke in Turpan errichtet wurde, ist besorgniserregend“, hieß es von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der im VW-Aufsichtsrat sitzt. Die Landesregierung in Hannover nehme die Hinweise auf mögliche Zwangsarbeit sehr ernst. „In allen Geschäftsaktivitäten von Volkswagen und seinen Partnern müssen die elementaren Grund- und Menschenrechte eingehalten werden.“
Weniger als 200 Mitarbeiter im VW-Werk
Der Standort Urumqi hat nach früheren VW-Angaben nur noch rund 197 Beschäftigte, die dort ausschließlich Fahrzeuge für die Auslieferung vorbereiten. Die Autoproduktion wurde am Standort inzwischen eingestellt, die Mitarbeiterzahl von einst 650 deutlich reduziert.
Uiguren, Angehörige anderer Minderheiten und Menschenrechtsorganisationen berichten seit Jahren, dass Hunderttausende Menschen in Xinjiang gegen ihren Willen in Umerziehungslager gesteckt, zum Teil gefoltert und zu Zwangsarbeit gezwungen würden. Die chinesische Regierung bestreitet diese Vorwürfe.
Investoren bemängeln VW-Engagement in China
Die Geschäfte in der chinesischen Provinz sind für VW auch deshalb heikel, weil große Fondsgesellschaften für ein Investment ihrer an Nachhaltigkeit ausgerichteten ESG-Fonds (ESG: Environment, Social, Governance) bestimmte Kriterien einfordern. Am Mittwoch kündigte die Volks- und Raiffeisenbanken-Fondstochter Union Investment in Reaktion auf die neuen Vorwürfe Konsequenzen an. „Damit ist Volkswagen für unsere nachhaltigen Publikumsfonds jetzt nicht mehr investierbar“, schrieb der für die Ausrichtung von ESG-Fonds verantwortliche Manager Janne Werning.