Rechtsextremisten vernetzten sich längst nicht mehr nur mit radikalen Gesinnungsgenossen, mahnt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Sein Chef sieht eine beunruhigende Entwicklung.
Der Verfassungsschutz warnt vor einer Ausweitung rechtsextremistischer Netzwerke. Im vergangenen Jahr sei eine neue beunruhigende Entwicklung zu beobachten gewesen. So hätten sich neben bekannten rechten Akteuren bei Veranstaltungen zuletzt auch „Funktionsträger von nicht extremistischen Parteien, Organisationen und Verbänden“ zusammengefunden, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, in Berlin.
Dort stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen neuen 13-Punkte-Katalog zum verstärkten Kampf gegen Rechtsextremismus vor. Ein Großteil der aufgelisteten Vorhaben ist allerdings bereits bekannt und teils auch schon beschlossen.
„Lose Kennverhältnisse und lockere Netzwerke“
Beunruhigend sei auch die Zusammenarbeit von zum Teil gewaltorientierten Rechtsextremisten mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern auf Bundes- und Landesebene, sagte Haldenwang. Beispielhaft für die Erweiterung des Teilnehmerkreises sei das Treffen in Potsdam im November gewesen, das das Medienhaus Correctiv im Januar öffentlich gemacht hatte.
Auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, berichtete, es gebe „in der rechten Szene vermehrt lose Kennverhältnisse und lockere, teilweise auch virtuelle Netzwerke anstatt ideologisch gefestigter und organisierter Gruppen“. Faeser erklärte: „Insbesondere die sogenannte Neue Rechte versucht, ihre menschenverachtende Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Der verlängerte Arm dieser Rechtsextremisten reicht bis in unsere Parlamente.“ Die AfD wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.
Tarnung und Einflussnahme der Rechtsextremisten
Rechtsextremisten tarnten sich und versuchten – „Kreide fressend, Schafspelze tragend“ – ihre brutalen Vorstellungen zu kaschieren, mahnte Haldenwang. Sie bedienten sich der Ängste und Krisenerfahrungen in der Bevölkerung, um die politischen Ränder zu radikalisieren und ihre Agenda in die bürgerliche Mitte zu tragen.
Beim Rechtsextremismus sei nicht nur auf Gewaltbereitschaft zu achten. „Wir müssen aufpassen, dass sich entsprechende Denk- und Sprachmuster nicht in unsere Sprache einnisten.“ Haldenwang nannte beispielhaft die Begriffe „Remigration“ als millionenfache Aussiedlung von Menschen aus Deutschland sowie die Idee des „Ethnopluralismus“. „Klingt nach Vielfalt, meint aber: jede ethnische Gruppe gefälligst in dem Gebiet, wo sie ursprünglich mal herkommt, und schön getrennt voneinander. Und das soll sich bloß nicht durchmischen.“ Diskussionen über solche Thesen bei einschlägigen Treffen seien zwar nicht strafbar, aber griffen trotzdem die freiheitlich-demokratische Grundordnung an und verletzten die Menschenwürde. Haldenwang sagte, die Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten, die 2022 bei 14.000 gelegen habe, sei 2023 erneut gestiegen.
Steigende Bedrohung durch Rechtsextremismus
Faeser erklärte, der Rechtsextremismus bleibe die größte Gefahr für die demokratische Grundordnung. BKA-Chef Münch sagte, die Zahl der Delikte politisch motivierter Kriminalität habe sich binnen zehn Jahren mehr als verdoppelt. „Besorgniserregend ist insbesondere der Anstieg von Gewaltdelikten und von Hasskriminalität.“ 2023 sei ein Höchststand erreicht worden. „Größtenteils handelt es sich dabei um Propagandadelikte und Volksverhetzung.“ Aber auch bei Gewaltstraftaten gebe es keine Entspannung. Die entsprechenden Statistiken werden im Frühjahr veröffentlicht.
Ein Teil von Faesers neuem Papier ist eine „Früherkennungseinheit“ der Bundesregierung zu ausländischen Manipulations- und Einflusskampagnen, die nach den Worten der Ministerin „hoffentlich in wenigen Monaten“ die Arbeit aufnehmen wird. Sie sei in der Bundesregierung vereinbart, solle aber beim Innenministerium angesiedelt werden. Wie Rechtsextremisten wollten auch einige ausländische Akteure die Demokratie in Deutschland schwächen, heißt es in dem Papier. „So erzeugen autokratische Staaten im Internet mit Fake Accounts künstliche Reichweite, erfinden mit KI-basierten Bildern Geschichten und gaukeln mit kopierten Zeitungswebsites Glaubwürdigkeit vor.“ Die neue Früherkennungseinheit soll solche Kampagnen bereits im Vorfeld erkennen, stoppen oder zumindest kenntlich machen.
Bezug zum Aktionsplan von 2022
Die neuen Vorhaben fußen auf dem „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“, den Faeser im März 2022 vorgestellt hatte. Ein Teil von ihnen ist in dem Vorgängerpapier bereits enthalten.
„Statt den ersten Plan konsequent abzuarbeiten, gibt sie gleich das nächste Paket hinterher“, sagte der Sprecher der Unionsfraktion für politischen Extremismus, Michael Breilmann (CDU), über Faeser. „Es wirkt, als ginge es der Innenministerin vor allem um eine kommunikative Aufhübschung ihrer eigenen Halbzeit-Bilanz.“ Teil des Aktionsplans waren zum Beispiel bereits die Pläne zur Verschärfung des Waffenrechts, bei denen Faeser erneut Fortschritte anmahnte. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangte hier Fortschritte. Faeser gab sich hoffnungsvoll auf eine baldige Einigung in der Ampel-Koalition. In der FDP gibt es Befürchtungen, auch Jäger könnten in Mitleidenschaft gezogen werden.
In dem Papier spricht sich das Innenministerium auch für eine Änderung des Grundgesetzes aus, um das Bundesverfassungsgericht besser vor der Einflussnahme von Demokratiefeinden zu schützen.
Kritik an einseitigem Fokus auf Rechtsextremismus
Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU), warf Faeser vor, auf einem Auge blind zu sein. „Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist wichtig und richtig, die Ministerin vernachlässigt aber sträflich den Kampf gegen Islamismus und Linksextremismus und den damit zusammenhängenden Antisemitismus. Das ist unverantwortlich“, sagte er der dpa.
Faeser selbst äußerte sich in einer Antwort auf eine ähnlich gelagerte Frage entnervt: „Ich werde irgendwann hoffentlich in Deutschland mal nachvollziehen können, warum man niemals über eine Form des Extremismus reden kann, ohne nicht nach den anderen gefragt zu werden.“ Sie betonte: „Wir gehen gegen alle drei Formen des Extremismus hart vor.“ Haldenwang bezeichnete Islamismus und islamistischen Terrorismus als „Riesenschwerpunkt“ für den Verfassungsschutz, betonte aber: „Als größte Gefahr für unsere Demokratie und für die Sicherheit in Deutschland sehen wir in der Tat den Rechtsextremismus. Insofern wird der auch mit einer sehr hohen Priorität bearbeitet.“