James Ruth ist Marketingchef des NFL-Teams Tampa Bay Buccaneers. Im Interview erklärt er die Faszination des Super Bowls und warum American Football in Deutschland boomt.
Herr Ruth, Sie sind Marketingchef des NFL-Teams Tampa Bay Bucceneers. Am Sonntag ist Super Bowl – das große Saisonfinale im American Football zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers. Wie wichtig so ein Tag für Sie und die Amerikaner?
Die NFL würde wohl argumentieren, dass jedes Spiel ein kulturelles Event ist. Aber der Super Bowl ist wirklich anders. Das Echo dieser Veranstaltung ist unübertroffen, das würden wohl alle Amerikaner so sehen. Und natürlich ist auch das Fußball-WM-Finale in den Staaten vom Pomp und der Fan-Mobilisierung her kleiner als der Super Bowl. Selbst, wenn man kein Football-Fan ist: der Feuilleton und die popkulturellen Gespräche drehen sich hier nur noch darum.
James Ruth ist Marketingchef bei den Tampa Bay Buccaneers. Er arbeitete ursprünglich im Investmentbanking, wechselte aber vor zehn Jahren in die amerikanische Fußballliga MLS und war dort für Vermarktung und Sponsorship verantwortlich. Vor seinem Wechsel in die NFL saß er drei Jahre im Leadership-Board des MLS-Teams Austin FC
© Privat
In Deutschland macht es einen großen Unterschied, wer beispielsweise im DFB-Pokalfinale steht. Dortmund gegen Bayern elektrisiert deutlich mehr Menschen als Leipzig gegen Freiburg im vergangenen Jahr. Wie ist das beim Super Bowl?
Anders. Es ist ziemlich egal, wer spielt. Das liegt aber auch am Ligen-System, das monatelang auf dieses eine Spiel zuläuft. Im deutschen Fußball gibt es diese singulären Events weniger. Ein Pokalfinale ist manchmal so ein Event. Aber selbst das spannendste Duell prägt ja nicht wochenlang die Popkultur in Deutschland.
Wofür stehen denn die beiden Finalteams aus Kansas City und San Francisco?
Die Paarung ist tatsächlich interessant, weil die Teams ein komplett anderes Narrativ haben. Die Kansas City Chiefs sind so etwas wie der FC Bayern in Deutschland, ein Team, das in drei der letzten vier Super Bowls stand. Sie sind das Team, das jeder schlagen will und das Team mit den höchsten Zielen. Mit all dem Getöse rund um Taylor Swift und Travis Kelce hat sich das neben dem Feld noch potenziert. Viele Leute lieben Außenseiter im Sport und sind deshalb für die 49ers. Das Spannende ist, dass viele Experten sogar damit gerechnet haben, dass die 49ers um den Super Bowl spielen. Sie sind also sportlich gar kein Außenseiter, werden aber so dargestellt. Das führt dazu, dass neutrale Fans für San Francisco sind – mit Aufnahme der Swifties vielleicht.
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Die Tampa Bay Bucceneers haben den Super Bowl zuletzt 2021 gewonnen. Was macht so etwas mit einer Marke wie den Bucs?
Ich war da selbst noch nicht im Job. Es war aber einer der surrealsten Super Bowls, weil er mitten in der Coronakrise stattfand. Wir haben als erstes Team im eigenen Stadion gewonnen, mussten aber die Zuschauerzahl beschränken und vieles mehr. Das Erlebnis war nicht das Gleiche, das Vermächtnis aber schon. Das ist wie eine Art Gütesiegel, das nie wieder verschwindet.
Dazu hatten Sie mit Spieler Tom Brady einen absoluten Superstar in Ihren Reihen.
Ja, es gab viele fantastische Spieler in diesem Team. Aber ein Spieler kann manchmal ausreichen, um das Niveau von 50 weiteren Spielern im Team zu heben. Das war bei ihm der Fall.
Stars wie Taylor Swift, die mit Chiefs-Spieler Travis Kelce liiert ist, sind Teil der NFL-DNA
© USA Today Network
Der Super Bowl lebt von all den Stars, die das Spiel besuchen; von den Erzählungen, von der Halbzeitshow, von der Werbung. Stimmt der Eindruck, dass der Super Bowl eher ein Business- als ein Sportevent ist?
Ich verstehe den Eindruck. Ich würde aber sagen, dass beides stimmt. So ein großes Event ist nicht vorstellbar ohne Marken und Sponsoren. Aber der Grund, warum sie dabei sind, ist der kulturelle Einfluss auf die Fans. Wie gesagt, eine Woche im Jahr wird nur über den Super Bowl gesprochen. Und zwar in einem positiven Umfeld, was es so spannend für Marken macht. Der Super Bowl ist deshalb ein kommerzielles Event, weil die Fans sich dafür interessieren. Jeder dritte Amerikaner schaut den Super Bowl. Und sie schauen ihn nicht nur, sie reden darüber und durchlaufen alle Phasen der Emotionen. Das geschieht nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch daneben. Durch die Halbzeitshow, die TV-Spots und alles, was sonst noch dazu gehört. Unternehmen, die nach Größe und Einfluss suchen, kommen in den USA deshalb nicht am Super Bowl vorbei.
Und das rechtfertigt auch die 7 Mio. US-Dollar, die für einen 30-sekündigen Werbespot fällig werden?
Tja, das fragt sich wohl jeder Marketingverantwortliche in den großen Fortune-500-Unternehmen. 7 Mio. Dollar sind eine ganze Menge Geld – wobei die Größe und Wirkung unbestreitbar sind. Trotzdem gehört zur Wahrheit, dass man beim Super Bowl im harten Wettbewerb mit den besten Werbetreibenden steht. Da kann man mit seinem Spot leicht untergehen. Es geht also nicht nur darum, dass man das Geld ausgibt, sondern auch um die Umsetzung und die Strategie dahinter.
Dann anders gefragt: Würden Sie die 7 Mio. investieren?
Wenn ich einen guten Plan habe, ja. Es geht immer darum, wie viel Menschen kann ich erreichen und wie ist das Engagement? Und in den USA funktioniert der Super Bowl doch sehr anders als traditionelle TV-Werbung. Die Leute wollen nicht abschalten, sondern sogar ganz bewusst hinschauen. Manche schauen sogar nur die TV-Spots und diskutieren dann am Montag mit Freunden darüber. Viele Medien produzieren Bilderstrecken, welche Unternehmen dieses Jahr geworben haben. Das sind einzigartige Verlängerungen für die Reichweite eines Unternehmens.
Die NFL funktioniert in vielerlei Form anders als der europäische Sportmarkt. Vieles ist zentralisiert – unter anderem das Marketing. Was ist dann noch Ihr Job als Marketingchef der Tampa Bay Buccaneers?
Eine sehr berechtige Frage. Im Prinzip ist die Zentralisierung überall auf der Welt zu beobachten, auch in der Bundesliga. Ein Teil des Erfolgs speist sich daraus, dass die Internationalisierung der Bundesliga zunächst zentralisiert abläuft. Die NFL und ihr Marketingverantwortlicher Tim Ellis machen hier einen beeindruckenden Job. Nicht nur, an wen wir vermarkten, sondern vor allem, wie wir vermarkten. Die NFL ist eine riesige Forschungs- und Datenmaschine, was die Vermarktung angeht. Für die Teams bleibt trotzdem noch eine große Bandbreite an eigenen Themen.
Und zwar?
Es sind die Teams, die in vorderster Front mit den Fans in Kontakt treten. Diese Verbindung kann die NFL als amorphes Zentralorgan gar nicht herstellen. Und um diese Verbindung herzustellen, gibt es zahlreiche Wege. Wir arbeiten bei den Bucs zum Beispiel daran, eine stärkere eigene Identität zu bekommen. Das ist ein riesiges Projekt.
Wie sieht die aus?
Viele Sportteams sind zu austauschbar, und keiner weiß, wofür sie stehen. Bei uns in Tampa Bay haben wir zum Beispiel eine lange Historie mit Piraten. Das ganze Stadtmarketing dreht sich darum, und auch unser Logo bei den Bucs ist ein Pirat. Daran lässt sich viel erzählen. Borussia Dortmund und Schalke 04 machen das mit ihrer Arbeiter-Erzählung beispielsweise genauso. Und deshalb habe ich vor 20 Jahren auch angefangen, mich für St. Pauli zu interessieren. Genau dieses Interesse soll geweckt werden. Die Leute sollen sich mit dem Verein und der Historie auseinandersetzen, denn das bindet sie letztlich an den Verein. Gerade bei der Internationalisierung ist Identität wichtig.
Quarterback Baker Mayfield (Nummer 6) ist einer der Stars bei den Tampa Bay Buccaneers. In der laufenden Saison schieden die Bucs in den NFL-Playoffs gegen die Detroit Lions aus
© Newscom World
Unterhält man sich mit NFL-Fans, loben die vor allem, dass der Football ein vereinendes Event ist. Letztlich ist der Verein egal – man feiert zusammen. Wäre eine solche Individualisierung nicht ein Angriff auf diese eigene Stärke?
Als Angriff würde ich das nicht werten, vielleicht als Neujustierung. Es gibt eine starke Verbindung zwischen Fans und ihren Lieblingsvereinen. Man wechselt nicht mal eben den Verein. Die NFL hat es aber geschafft, Rivalität und Fandom auf eine gesunde Weise zusammen aufzubauen. Hardcore-Rivalität wie im Fußball kennen wir nicht.
Und diese Kultur kann auch in Deutschland funktionieren – das Land, das die NFL zum wichtigsten Wachstumsmarkt erklärt hat? Was macht Deutschland so interessant für die NFL?
Es ist klar, dass die NFL irgendwann über die eigenen Grenzen schauen muss. Im Inland geht es zwar um neue, junge Zielgruppen. Aber ansonsten hat sie ihr Potenzial ziemlich ausgeschöpft. Im Ausland ist das ganz anders. Deutschland ist hier eine logische Adresse, weil es eine lange Geschichte der Sportkultur hat – und auch mit American Football. Der Sport hat hier eigentlich immer gut funktioniert.
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In Deutschland regiert immer noch König Fußball. Sie haben vor Ihrem Job den US-Fußballclub Austin FC mit aufgebaut und kennen sich auch im europäischen Fußball gut aus. Wie unterscheiden sich Fußball- von Footballfans?
Fußball und American Football unterscheiden sich schon sehr. Man kann nicht einfach die Fans vom anderen Sport abgraben. Und die amerikanischen Fußballfans unterscheiden sich noch einmal sehr von den europäischen. Auch wenn das aus europäischer Sicht verrückt klingen mag, ich meine das aber ernst: Die Tiefe der amerikanischen Fußballkultur ist einzigartig. Der Prozentsatz der Fans, die sich tiefgehend mit dem Verein und dem Sport auseinandersetzen, ist phänomenal hoch. Wir sehen große Schritte nach vorne beim Wachstum und in der Qualität der Fußballliga MLS. Aber gerade bei der Qualität gibt es noch Luft nach oben. Bei der NFL ist das fast umgekehrt. Die Qualität der NFL wird immer konkurrenzlos bleiben. Aber die Fankultur ist nicht wirklich ausgeprägt, vor allem nicht international. Da helfen uns die Beispiele aus dem europäischen Fußball. Es geht also eher ums gemeinsame Lernen als um gemeinsame Zielgruppen.
Schauen wir auf den kommenden Sonntag: Wer gewinnt den Super Bowl?
Da will ich mich nicht festlegen. Viele Amerikaner werden den 49ers die Daumen drücken. Aber auch der Taylor-Swift-Effekt hat den Chiefs manche Sympathie eingebracht. Wahrscheinlich haben die Chiefs mehr Erfahrung, aber San Francisco dafür die größere Kadertiefe. Es wird ganz sicher ein hochklassiges Spiel. Wer aber gewinnt: keine Ahnung.
Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin „Capital“, das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.