Adele kommt zum ersten Mal seit 2016 nach Europa – für zehn exklusive Konzerte, alle in München. Millionen Menschen haben versucht, Tickets zu bekommen. Die Vorverkaufsslots waren eine Tortur für Fans, tagelang. Unsere stern-Redakteurin in München war eine von ihnen.
„Wenn jeder Musik für TikTok macht, wer macht die Musik für meine Generation? Diesen Job übernehme ich gerne.“ Das hat die britische Sängerin Adele in einem Interview gesagt, als ihr aktuelles Album „30“ erschien. Zu dieser Generation der Millennials gehöre auch ich. Adele ist 35 und nur wenige Jahre älter. 19, 21, 25, 30 – diese Alben, nach ihrem Alter benannt, haben mich durch die vergangenen zehn Jahre begleitet. Und nun kommt diese Frau endlich wieder für Konzerte nach Europa, sogar direkt in die Stadt, in der ich lebe.
Klar, dass ich mir mit Freunden und Familie Konzerttickets holen werde. So zumindest der Plan. Und der von 2,2 Millionen Menschen, die sich der Agentur Live Nation zufolge bis Anfang dieser Woche für den exklusiven Vorverkauf registriert hatten.
Dass der Ticketkauf seit Neuestem wie Lotto spielen ist, habe ich schon mitbekommen. Meine Millennial-Freunde gehören in großen Teilen der Anhängerschaft um Popstars wie Taylor Swift oder Harry Styles an. Einen Platz auf ihren Konzerten zu ergattern, ist Nervenkrieg.
Mittwoch, 10 Uhr: Vorverkauf für registrierte Adele-Fans
Und in den ziehe ich jetzt also auch. Mittwoch, 10 Uhr, ist der Startschuss. Falsch. Eigentlich schon eine halbe Stunde früher, denn über die per Mail versendeten Fan-Presale-Links betritt man einen Warteraum. Fünfmal hintereinander müssen irgendwelche Verifikationscodes eingegeben werden. „Ich bin kein Roboter.“ „Ich bin kein Roboter.“ „Ich bin kein Roboter – verdammt noch mal.“
Um 10 Uhr läuft der Countdown ab, die Seite springt um. Adrenalin. „Du hast einen Platz in der Warteschlange.“ Ich, vier Freunde und mein Vater. Wir wollen Tickets für die ersten Termine am 2., 3., 9. und 10. August. Nur einen Termin kann man auswählen. Mein Warteplatz für den 2. August liegt bei 175.604 Menschen. Mein Vater hat den 9. August gewählt, bei ihm sind es 77.000. Um 11 Uhr muss ich in einen Arbeitstermin. Kein Problem, denn eine Stunde später hat sich der Balken auf meinem Bildschirm nicht mal zwei Zentimeter bewegt.
Taylor Swift Tickets Selbstversuch 14.23
Um halb eins mittags bekomme ich einen Anruf von meinem Vater. Das Verkaufsfenster bei Ticketmaster hat sich nun geöffnet. Adrenalin. Hysterisch schreie ich ihn durch den Telefonhörer an, welche Kategorien er auswählen soll. Vier Tickets wollen wir (mehr geht sowieso nicht). „Es ist alles ausgegraut, ich kann nichts auswählen.“ Das war’s. Mein Wartebalken ist zu diesem Zeitpunkt nicht mal bei der Hälfte. Es soll noch bis 16.30 Uhr dauern, bis sich das Verkaufsfenster auf meinem Bildschirm öffnet. Und freilich ist bis dahin auch keine Karte mehr verfügbar. Enttäuschung.
Mittwoch, 14 Uhr: Der Vorverkauf geht in die zweite Runde
Unterdessen bleiben Freunde von mir noch im Spiel um die Karten. Um 14 Uhr startet die zweite Phase des Presales. Für die Termine ab 14. August (16., 23. und 24.). Um 18 Uhr beginnt der VVK für die letzten beiden Termine (30. und 31.). Für meine Eltern kommen alle diese Termine nicht mehr infrage, für mich und meine Cousine geht noch der 14. und 16. – danach sind Urlaube geplant. Ich gehe zum zweiten Mal in die Warteschlange und lande auf Platz 8251. Ein Hochgefühl. Ich bin in der Poleposition unter meinen Freunden. Unablässig halten wir uns per WhatsApp up-to-date. Noch 6100.
Ein Freund aus der Nachbarschaft hat extra alle Termine abgesagt, „Prioritäten gesetzt“, wie er sagt. Noch 900. Jetzt geht es schnell. Ich bekomme einen Anruf, meine Freunde brauchen doch kein Ticket mehr, eine andere Freundin war schneller dran. Noch 46. „Mach dich bereit, du wirst jetzt weitergeleitet.“ Adrenalin.
Meine Hände zittern… uuuund: Fehlermeldung. „Sorry, but this event no longer exists in our database.” Mein Puls ist auf 180 – und das nicht mehr aus Aufregung, sondern aus Wut. Der Kartenverkauf bei „Ticketmaster“ lief zwar anscheinend ohne größere Ausfälle, trotzdem berichten Fans von technischen Problemen beim Reservieren der Karten. Einige schreiben, sie seien mehrfach aus den Warteräumen gefallen.
So soll das Pop-Up-Stadion im August auf dem Messegelände in München aussehen. Für 80.000 Leue pro Show ist hier Platz.
© Live Nation
Wer es geschafft hat, konnte meist keine Tickets der „billigen“, hinteren Plätze auswählen. Die Plätze starten bei 74.90 Euro, schießen aber schnellstens auf Beträge von über 200 Euro. Wer in Bühnennähe sitzen oder stehen möchte, zahlt zwischen 400 und 500 Euro pro Ticket. Utopische Preise, die für großen Ärger sorgen. Meine Freunde, die ihre Tickets bekommen haben, zahlen diesen Preis. Sie sitzen „front of stage“, als Paar zahlen sie knapp 1000 Euro. Ich will mich mit ihnen freuen, wir teilen die große Liebe zu Konzertbesuchen. Aber dass diese inzwischen so teuer sind wie ein kurzer Urlaub, macht mich wütend.
„Du gibst nur reichen, privilegierten Menschen die Chance, dich live zu sehen.“
Damit bin ich nicht allein. Auf dem Instagram-Account von Sängerin Adele entlädt sich der Frust der Fans: „Du gibst nur reichen, privilegierten Menschen die Chance, dich live zu sehen.“ „Was für Preise, ab morgen eine Niere weniger.“ „Sorry, aber bei den Preisen bleibe ich lieber zu Hause.“
Als ich abends ins Bett gehe, teilen Münchner Freunde und Bekannte, die Tickets ergattert haben, ihr Erfolgserlebnis auf ihren Instagram-Stories. Ich bin grantig, wie man hier in München sagt.
Donnerstag, 10 Uhr: Offizieller Vorverkaufsstart
Aber Donnerstag ist ein neuer Tag. Pünktlich um 10 Uhr geht der offizielle Vorverkauf bei Ticketmaster los – ohne Vorregistrierung. Wir probieren es nochmal. Meine Cousine und ich telefonieren, wir landen in der Warteschlange. Platz 13.564 und Platz 2401 – gar nicht mal übel. Nur, dass es heute irgendwie noch langsamer geht. Nach 45 Minuten hat meine Cousine immer noch 659 Menschen vor sich. Ihre Kinder brüllen und der Handy-Akku ist kurz vorm Schlappmachen. Natürlich ist das Ladekabel zu Hause. 562. Die Aufregung steigt. Noch 18. „Das ist Psychoterror“, schreibt sie. Noch 3. Sie ist im Verkaufsraum. Es sieht gut aus. Plätze ausgewählt. Und gleich wieder verloren.
So schnell kann man gar nicht klicken, so schnell sind die billigen Plätze wieder ausverkauft. Sie kann zwei Tickets für uns reservieren, zum Preis von knapp 230 Euro pro Person. Unser Limit liegt bei 150 Euro (die erste Stufe der zweiten Preiskategorie). Wir passen. Aus Prinzip.
Donnerstag, 18.30 Uhr: Überraschender Vorverkauf
Noch eine Chance haben wir auf bezahlbare Tickets. Am Freitag startet Eventim den Vorverkauf. Am Donnerstag um viertel vor sechs abends verschickt Eventim eine Mail, dass der Ticketverkauf spontan um 18.30 Uhr startet. Meine Cousine sieht die Mail 15 Minuten vorher. Um 18.27 sind wir auf der Seite von Eventim. Wir kochen vor Wut. Wer die Mail nicht rechtzeitig sieht, hat verloren. Die nächste Frechheit im Kampf um die Tickets. Wir sind im Warteraum. 30 Sekunden später bekomme ich eine Sprachnachricht. „Ich habe Tickets.“ Wir haben es geschafft. Für 150 Euro pro Person dürfen wir auf den hinteren Plätzen Platz nehmen und uns im Glanz des britischen Superstars sonnen.
Freitag, 10 Uhr: Neue Kontingente, alte Probleme
Wir telefonieren. Als ich in den Warteraum komme, versuche ich meinen Eltern noch Tickets für die ersten Termine zu sichern. Keine Chance. Sie gehen leer aus. Weil sie nicht bereit sind, 350 bis 500 Euro zu bezahlen. Am Freitagvormittag öffnet Eventim neue Ticket-Kontingente, wieder spontan, mit einer Mail um 10.05 Uhr. Die Preise sind absurd, unter 400 Euro gibt es kaum mehr Verfügbarkeiten. Zur gleichen Zeit kursieren auf Verkaufsplattformen wie Ebay bereits Tickets im Wert von 2500 Euro aufwärts.
Wer sich ausrechnet, wie viel Geld die jeweils 80.000 Gäste an den zehn Terminen auf der eigens erbauten Pop-Up-Bühne auf dem Messegelände in Riem hinblättern, dem wird übel. Tickets zu besitzen hat einen fahlen Nebengeschmack. Und es lässt auch Superstar Adele nicht mehr so hell strahlen. Ihre Konzerte werden immer elitärer. Das Album „30“ präsentierte sie der Creme de la Creme von Hollywood 2022 live im Griffith Observatory in Los Angeles, danach konnten Fans sie Wochenende für Wochenende im Caesars Palace in Las Vegas sehen. Zu ähnlichen Preisen wie in München.
„Mir ist es irgendwie vergangen“, sagt meine Cousine am Telefon. Bis August werden wir uns die Vorfreude sicher wieder zurückgeholt haben. Adeles Stimmgewalt live zu erleben, wird uns zweifellos glücklich machen – für diesen einen Abend. Aber der Weg dorthin war alles andere als in Ordnung.