Selbstversuch: Wie es sich anfühlt, Dieter Bohlen zu sein

Warum ist er so beliebt? Zu Bohlens 70. Geburtstag testet unser Autor Dieters fieseste Sprüche – und bepöbelt im echten Leben Bäcker und Mütter.

Heute feiert Dieter Bohlen seinen 70. Geburtstag. Modern Talking habe ich früher kaum wahrgenommen. Für mich war das einfach nicht Musik. Und dann das ganze Elend mit Dieter und Thomas und Nora und Naddel und Verona. War doch klar, dass Bohlen irgendwann einen Penisbruch erleidet.

Doch dann kam die Zeitenwende, als dieser Bohlen, das uninteressanteste Wesen im Universum, auf einmal cool wurde. Bekannte von mir feierten plötzlich seine Sprüche, mit denen er als Juror in einer „Talentshow“ junge Leute bepöbelte. Beispiel: „Du hast einfach nichts drauf, außer vielleicht Zahnbelag.“ Oder: „Das klingt, als wenn sie Dir den Arsch zugenäht haben und die Scheiße oben rauskommt.“

Das Publikum tobte, die Zeitschriften jubelten, endlich hatten wir einen, der es arscht, wie’s ist. Dieter Bohlen wurde ein Titan. Ich verstand das nicht. Im letzten Dschungelcamp träumten junge Menschen davon, Sex mit ihm zu haben.

Die Villa in Tötensen kann er behalten

Ich muss aber auch eingestehen, dass Dieter Bohlen es mit seinen ab heute 70 Jahren weit gebracht hat. Die Villa in Tötensen kann er behalten, aber Millionen, die ihn lieben, und die finanzielle Unbeschwertheit, die er fühlen muss, das muss sehr schön sein. Das schaff‘ ich nie im Leben.STERN PAID 03_23 Dieter Bohlen Interview 14.18

Nun bin ich kein Musikproduzent. Aber die andere, die wirklich große Fähigkeit Bohlens, die, mit er reich und berühmt geworden ist, die könnte ich adaptieren. Vielleicht bringt es was, wenn ich den Dieter in mir entdecke. So dachte es gestern Abend in meinem Kopf. Ich fasste den Entschluss, meine Umwelt härter anzugehen, einfach mal die Leute zu beschimpfen, an der Bushaltestelle, im Döner-Imbiss, beim Bäcker. Vielleicht würde ich beliebt wie Dieter, man lächelte mir auf der Straße zu, und alles andere in meinem Leben würde sich fügen. Ich zog Bohlens fieseste Sprüche aus dem Netz, schrieb sie mir ein klein wenig abgewandelt in die Handflächen und auf Spickzettel und ging nach Hause.

„Du bist wie eine Wolke“

Erster Versuch gleich an der Bushaltestelle. Im Nieselregen steht eine junge Mutter in einer dicken Steppjacke, im Buggy vor sich ihr kleines Baby mit Bärenohrmützchen. Kurzer Blick auf den Spickzettel: „Du bist wie eine Wolke. Wenn du dich verziehst, könnte es noch ein schöner Tag werden!“ Noch bevor ich es aussprechen kann, trifft mich eine Welle der Peinlichkeit, und ich blicke ratlos zwischen Mutter und Kind hin und her, wem ich das nun sagen soll. Da kommt der Bus, ich trage den Buggy samt Baby rein. Fuck.

Ich muss es mir leichter machen mit dem Beleidigen. Wozu sind schließlich Freunde da? Ich gehe zu meinem Kumpel Aadil, er arbeitet in einer Bäckerei, und manchmal hänge ich bei ihm rum, und wir rauchen und trinken Kaffee. Glück gehabt, keine Kunden drin, schnell rein. Über den Tresen mit Brötchen, Croissants und Torten gelehnt sage ich etwas zu laut: „Weißt Du, was der Unterschied zwischen all dem hier und einem Eimer Scheiße ist? Der Eimer!“ 

Aadil guckt leicht irritiert, ich bekomme ein mieses Gefühl im Bauch und lege schnell nach: „Eine Auslage zum Niederknien, aber nur, damit man sich nicht auf die Füße kotzt!“ 

Aadil lächelt. „Der ist gut, muss ich mir merken!“ Und erzählt eine seiner Geschichten aus seinem Leben, in der ihm genau das mal passiert ist. Danach erleichtere ich mein schlechtes Gewissen und kläre ich ihn über mein Experiment auf. Trotz seiner coolen Reaktion, ein bisschen schräg fand er mich schon. Als ich gehe, sagt er: „Pass gut auf dich auf!“

Sehr modern, wenig Talking: Modern Talking

„Du musst dich mal angucken, im Spiegel zu Hause!“

Döner-Imbiss, ganz bewusst nicht mein Stammladen. Ich schaue dem jungen Verkäufer direkt ins Gesicht: „Du musst dich mal angucken, im Spiegel zu Hause! Das sieht irgendwie so aus, als wäre ein seltsames Tier in deinem Gesicht gestorben!“ 

Dem armen Mann entgleiten die Züge, und er fasst sich ins Gesicht: „WAS? WO? WAS HABE ICH DA?!? SAG, IST DA WAS?!?“ Ich knicke ein und erkläre ihm meine ganze Bohlen-Misere. Er lacht und tippt auf sein Handy und hält es hoch. „Ist das der hier?“ Auf dem Display ist ein Bild von Thomas Anders. Dann tippt er noch mal, und zwischen den Imbisskacheln scheppert laut „Cheri Cheri Lady“. Ich hätte nie gedacht, dass mein Karma zu Modern-Talking-Songs greift.

Dieter Bohlen und seine Frauen 12.38

Zu Hause, ein letzter schneller Versuch am Telefon. Aus Gründen der Gendergerechtigkeit sollte abschließend eine Frau an der Reihe sein. Meine Freundin? Das wäre Wahnsinn. Die Mutter meiner Tochter genauso. Also meine Mutter. Sie ist auch gleich am Telefon, aber erzählt erst mal fünf Minuten, ein Konzert. Dann unterbreche ich sie etwas grob: „Deine Stimme klingt wie eine zerschredderte Katze.“ Stille. Atmen am anderen Ende. Meine Hände sind klamm. Dann, weit entfernt und unsicher: „Hallo?“ Ich: „Wenn das Wetter so wäre wie Deine Stimme, würde es Scheiße regnen … äh, also …“ Ich breche ab und erkläre ihr alles. Meine Mutter ist wirklich ein bisschen verwirrt. Aber ist ja auch schon 83.

Es ist nicht leicht, Dieter Bohlen zu sein

Fazit nach zwei Stunden Being Bohlen: Es ist nicht leicht, Dieter Bohlen zu sein. Ich fühlte mich öfter missverstanden und weniger geliebt. War permanent begleitet von Gefühlen der Scham und Peinlichkeit. Aber um ehrlich zu sein: Was ich da veranstaltet habe, war auch nur ein netter Versuch. Ich hab’s einfach nicht drauf. Muss an meiner Kindheit liegen. Oder an Dieter – um es mit den Worten des unsterblichen Barden aus Tötensen zu sagen: „Jeder Mann hat einen Steifen, aber nicht jeder spielt in einem Porno mit.“

Glückwunsch!

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