Die Bundesregierung hat eine Kraftwerksstrategie vorgelegt. Das Konzept ist überraschend stimmig, doch es wird nicht reichen, um die Klimaziele zu erreichen. Wir alle müssen umdenken – und zwar schnell.
„Kraftwerksstrategie“ ist nicht gerade ein sexy Begriff, der die Deutschen interessiert aufschrecken lässt. Die Ampelregierung hätte für ihre gestrige Entscheidung eine knackigere Ansprache finden sollen. So etwas wie: „Liebe Leute, hier nun unser Plan, wie wir Euch alle künftig lückenlos mit sauberem, billigem Strom versorgen werden.“ Denn das, was sie unter dem Namen „Kraftwerksstrategie“ bekanntgegeben hat, geht jede Bundesbürgerin und jeden Bundesbürger etwas an. Das Konzept eröffnet uns die allerletzte Chance, unsere selbst gesteckten Klimaziele noch zu schaffen.
Zur Überraschung der meisten Experten und Marktteilnehmer hat die Ampel diesmal einen Plan vorgelegt, der wohl durchdacht wirkt und den Staatshaushalt nicht überfordert. Worum geht es? Deutschland hat lange beschlossen, die Stromversorgung bis 2035 auf 100 Prozent Grünstrom umzustellen. Die Zahl der neuen Windräder und PV-Anlagen nimmt zwar wieder schneller zu, sie allein können das Ziel aber am Ende niemals bewerkstelligen. Denn manchmal weht der Wind einfach nicht, und ganz sicher ist es nachts dunkel, sodass PV-Anlagen null Kilowattstunden produzieren. Also müssen ein paar zuverlässige Kraftwerke bereitstehen, die bei solchen „Dunkelflauten“ einspringen.
Das sollen zunächst vor allem Gaskraftwerke sein, die später mit klimaneutralen Wasserstoff laufen, so hat es die Bundesregierung jetzt entschieden. Sie will dafür in den kommenden Jahren 15 bis 20 Milliarden Euro lockermachen, um einen „Kapazitätsmarkt“ zu finanzieren, auf dem Kraftwerksbetreiber nicht nur für ihre gelieferten Kilowattstunden bezahlt werden, sondern auch für die schlichte Fähigkeit, jederzeit die Produktion aufzunehmen, wenn Bedarf besteht.
Die Kraftwerksstrategie ist keine Garantie für Klimaneutralität
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Wieviel Erzeugungskapazität wir genau brauchen, damit die Lichter niemals ausgehen, haben kluge Köpfe in Berlin und Bonn rauf- und runtergerechnet. Als erstes sollen bis 2030 Gaskraftwerke mit einer Leistung von zehn Gigawatt neu entstehen, was etwa acht Atomkraftwerken entspricht. Denn 2030 ist ein weiteres Schlüsseldatum. Dann sollen die letzten großen heimischen Klimakiller vom Netz, die Kohlekraftwerke. Das ist eine richtige Entscheidung, denn Gaskraftwerke stoßen im Vergleich zur Kohlemeilern bis zu 65 Prozent weniger CO2 aus, selbst wenn sie mit klassischem, fossilem Gas beschickt werden. Mit grünem Wasserstoff gefüttert, werden gar keine Klimagase mehr emittiert.
Die Regierung setzt aber nicht nur auf Gaskraftwerke; das Konzept ist technologieoffen. Auch andere zuverlässige Stromanbieter können sich bewerben, ein Teil des Kapazitätsmarktes zu werden. Landwirte mit Biogasanlagen. Betreiber von Elektrolyseuren zur Wasserstoffherstellung. Besitzer von Batteriegroßspeichern. Die FDP, eine Partei voller schillernder Visionen, hat sogar Kernfusionsreaktoren in die Liste potenzieller Kandidaten aufnehmen lassen, auch wenn deren Marktreife in den Sternen steht.
STERN PAID Interview Frondel Weg mit Stromsteuer14.12
Doch selbst wenn die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung funktioniert, ist das noch keine Garantie, dass Deutschland 2035 beim Strom und 2045 insgesamt klimaneutral sein wird. Genau deshalb ist es wichtig, dass sich alle Deutschen nun noch einmal kräftig anstrengen. Dass sie endlich „Umparken im Kopf“, um einen alten Opel-Werbeslogan aufzugreifen. Das gilt für Unternehmen wie für Privathaushalte. Die wichtigsten Aufgaben sind:
Schluss mit den anhaltenden Dauerbedenken vor einem energetischen Umbau, die durch faktenfreies Geschwurbel von populistischen Politikern immer wieder angefacht werden. Wir brauchen mehr Gaskraftwerke, mehr Windräder, mehr PV-Anlagen, mehr Stromnetze. Die gute Nachricht: Die Bevölkerung wird immer entschlossener, das zu schaffen, die Zahl der Bürgerinitiativen, die alles Neue vor Gericht beklagen, geht deutlich zurück. Schlechte Nachricht: In den zuständigen Landesbehörden, die die Genehmigungen aussprechen, geht alles noch viel zu zäh – weil man nicht will oder weil Personal fehlt.Schluss mit dem Unsinn, die neuen Stromautobahnen in die Erde zu verbuddeln. Was die Bundesregierung auf Druck von Bayern beschlossen hat, um die Widerständler zu besänftigen, erweist sich als ökonomischer und ökologischer Irrsinn. Unterirdische Stromleitungen brauchen viel mehr Zeit, sind wahnsinnig teuer und schaden der Natur mehr als die bewährten Girlanden, die sich durch die Landschaften ziehen. Schluss mit den Bedenken, CO2 aus fossilen Brennstoffen abzuscheiden und unterirdisch in Kavernen zu speichern (CCS). Dieses Verfahren ist weltweit bewährt und nötig, um Gas zum Betrieb von Kraftwerken oder zum Gewinnen von Wasserstoff nahezu klimaneutral zu machen. Glücklicherweise sehen das inzwischen auch viele Grüne ein, darunter Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die Regierung muss bald ihre „Carbon-Management-Strategie“ vorlegen.Schluss mit der Rolle rückwärts bei Heizungen und Verkehr. Die Deutschen sollten mit Lust Wärmepumpen und E-Autos kaufen – zumal die Preise gerade stark sinken. Die Kraftwerksstrategie sowie der Stromnetzausbau berücksichtigen, dass der Strombedarf durch die Elektrifizierung von Wärme und Pkw steigt und deshalb kein Versorgungslücke entstehen darf. Der Umbau ist essenziell: Die Sektoren Haushaltswärme und Verkehr, beide beherrscht von fossilen Energieträgern, gehörten heute zu den größten Klimaschädlingen.