Aufgrund eines „zwei Geschlechter“-Fanbanners muss der Bundesligist Bayer Leverkusen eine Geldstrafe zahlen. Am Wochenende zogen die Anhänger von Dynamo Dresden mit ähnlichen Spruchbändern nach. Was steckt dahinter, dass Fußballfans die Diversitäts-Debatte plötzlich anheizen?
Ein Thema, das sonst für Diskussionen zwischen linken und rechten Kulturkämpfernsorgt, erhält nun auch Einzug in den deutschen Fußball. Beim Auswärtsspiel gegen Werder Bremen im November 2023 hatten die Fans von Bayer Leverkusen ein Banner hochgehalten, auf dem zu lesen war: „Es gibt viele Musikrichtungen, aber nur 2 Geschlechter.“ Dafür verhängte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nun eine Geldstrafe von 18.000 Euro gegen den Bundesligisten. Der Verein selbst distanzierte sich schon früh von den Fanbannern. „Diese Aktion war geschmacklos und falsch und sie hat nichts mit Werten wie Offenheit und Toleranz zu tun, für die Bayer 04 als Organisation steht“, kritisierte Leverkusens Geschäftsführer Fernando Carro die eigenen Anhänger direkt nach dem Spiel. Entsprechend einsichtig akzeptierte der Bundesligist jetzt die Strafe, die somit rechtskräftig wird.
Erledigt hat sich das Thema damit allerdings nicht. Dafür sorgten vor allem die Fans vom Fußball-Drittligisten Dynamo Dresden. Als Reaktion auf das DFB-Urteil zeigten sie beim Auswärtsspiel gegen den FC Ingolstadt ein ähnliches Spruchband wie zuvor die Leverkusener: „Es gibt nur einen lächerlichen DFB … und zwei Geschlechter.“ Die Aktion ist weniger eine Solidaritätsbekundung mit den Fans von Bayer Leverkusen als vielmehr eine Trotzhandlung gegenüber dem DFB. Von dem Urteil gegen Bayer Leverkusen ließen sich die Anhänger des Drittligisten, den die Geldstrafe deutlich mehr schmerzen dürfte als die Werkself, nicht abschrecken. Ganz im Gegenteil.
Die Fans von Dynamo Dresden konterten das DFB-Urteil
© Sportfoto Zink / Wolfgang Zink
Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft
Es bleibt die Frage, warum sich Fan-Gruppierungen gerade jetzt auf dieses Thema einschießen. Zwar hatte es in der Vergangenheit gelegentlich ähnliche Banner gegeben, ein vergleichbarer Kleinkrieg mit dem DFB blieb aber aus. Außerdem ist ein eindeutiger Auslöser, etwa in Form einer neuen Diversitäts-Kampagne oder -Aktion, nicht auszumachen. Mit der Kritik am DFL-Investorendeal hat das Thema ebenfalls wenig zu tun.
Einen möglichen Anlass hat der „Spiegel“ ausgemacht. Offenbar richtete sich das Leverkusener Banner in erster Linie gegen die Bremen-Fans. Zwar sind die Ultras der beiden Vereine nicht verfeindet, die Werderaner Anhänger gelten aber im Gegenteil zu den Leverkusenern eher als links und progressiv. Ursprünglich hatten die Bayer-Ultras sich in einer Choreografie gegen Freiburg im Februar 2023 als „Raverkusen“ bezeichnet, woraufhin die Werder-Fans im anschließenden Spiel mit einem „Bierkönig ≠ Technoclub“-Banner konterten. Während der erste Teil des Bayer-Spruchbands „Es gibt viele Musikrichtungen“ auf diese Vorgeschichte abzielt, bezieht sich der zweite Teil „aber nur 2 Geschlechter“ wohl auf die linke Ausrichtung der Bremer Ultras.
Ein Grund dafür, dass Vereine wie Dynamo Dresden diese Debatte aufnehmen, obwohl sie mit den Sticheleien zwischen Leverkusen und Bremen nichts zu tun haben, könnte hingegen die allgemein schlechte Stimmung in Deutschland sein. Sport und vor allem der Fußball gelten als Spiegel der Gesellschaft. So ist es nicht ungewöhnlich, dass Themen aus der öffentlichen Debatte in die Fankurven wandern. Eine generelle Missgunst gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen spiegelt sich in der Diversitäts-Debatte wider. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes betont: „Laut EU-Rechtsprechung sind Trans*Personen im Antidiskriminierungsrecht unter dem Merkmal ‚Geschlecht‚ geschützt; in Deutschland zusätzlich unter der Sonderregelung der ’sexuellen Identität‘.“ Gegen dieses Toleranz-Bekenntnis rebellieren die Fans mit ihren Aktionen bewusst.
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Was sagt die Wissenschaft zur Geschlechter-Debatte?
Die Diskussionen, ob es nun zwei oder mehr Geschlechter gibt, führen meist ins Leere, wenn die verwendeten Terminologien nicht eindeutig geklärt sind. Menschen reden bei dem Thema also häufig aneinander vorbei. Während die englische Sprache zwischen „Gender“ und „Sex“ unterscheidet, sind im Deutschen beide Begriffe unter „Geschlecht“ gefasst. Im biologischen Kontext bedeutet das: Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom und Frauen zwei X-Chromosomen.
Jedoch gilt es neben der biologischen Geschlechtsentwicklung auch die Geschlechtsidentität zu beachten. „Die geschlechtliche Entwicklung kann sehr vielfältig verlaufen, da hier viele verschiedene Gene und Hormone zusammenwirken“, erklärt Prof. Dr. med. Olaf Hiort im „Spektrum der Wissenschaft“. „So können die äußeren Geschlechtsmerkmale mitunter eindeutig männlich oder weiblich aussehen, obwohl sich die Keimdrüsen anders entwickelt haben oder die Bildung und Wirkung der Hormone vom Normalfall abweichen“, schreibt der leitendende Arzt im Hormonzentrum für Kinder und Jugendliche des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck. Wie die Geschlechtsidentität mit der hormonellen Variabilität zusammenhängt, sei bislang unklar. „Manche Menschen mit den beschriebenen Besonderheiten bezeichnen sich selbst als intersexuell, während sich andere klar als männlich oder weiblich empfinden.“
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Für Dynamo Dresden könnte es noch teurer werden
Es ist zu erwarten, dass der DFB weiterhin rechtlich gegen derartige Banner vorgehen und Geldstrafen verhängen wird. Auch um die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Schließlich verstoßen die Transparente gegen die Richtlinien zur geschlechtlichen Vielfalt, zu denen sich der DFB auf der eigenen Website bekennt: „Kein Mensch darf auf Grund des Geschlechts benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Frauen, Männer, Trans* und intergeschlechtliche Menschen sollen auch im Fußball gleichberechtigt teilhaben können.“
Für Dynamo Dresden könnte es noch teurer als für Bayern Leverkusen werden. Denn zusätzlich zu ihren Bannern gegen Geschlechter-Vielfalt und den Investoren-Deal der DFL zündeten die Fans Pyrotechnik und warfen Gegenstände wie Flummis auf den Rasen. Ob weitere Fangruppen in der Diversitäts-Debatte die Konfrontation mit dem DFB suchen oder ob sie im Fußball genauso schnell abflacht, wie sie gekommen ist, bleibt abzuwarten.
Quellen:Spiegel, Spektrum der Wissenschaft